Abstract
Der nachfolgende Analysetext beschäftigt sich mit den Förderungsinstitutionen in der belgischen audiovisuellen Industrie, mit einem besonderen Fokus auf die Filmindustrie und den Effekt dieser Förderungsmöglichkeiten auf ebendiese. Dabei erfolgt ein Vergleich der Situation vor der Einführung bestimmter Förderungsinstitutionen, wie z.B. des Tax Shelter, mit der Situation bzw. dem Produktionsstand nach der Einführung oder auch nach Anpassung/Abänderung bestimmter Fördermaßnahmen. Zur Veranschaulichung der Folgen wird mit einigen Zahlen gearbeitet und es wird sich an Statistiken sowie Grafiken bedient, die die genauen Entwicklungen nachvollziehbar machen.
Inhaltsverzeichnis
- Aufstellung der öffentlichen Filmförderungsanstalten des belgischen Staates und ihre Aufgaben
- Auswirkungen der Etablierung von staatlichen Fördersystemen für die audiovisuelle Industrie
- Anmerkungen
- Quellenverzeichnis
Aufstellung der öffentlichen Filmförderungsanstalten des belgischen Staates und ihre Aufgaben
Zuallererst ist festzustellen, dass die staatliche Förderung in Belgien ein wesentlicher Faktor ist, der eine äußerst wichtige Rolle bei der Finanzierung der heimischen Produktion spielt. Denn es gibt ganze vier Arten der öffentlichen Förderung für die Filmproduktion: 1. die kulturelle Förderung durch die Gemeinschaften, mit dem Centre du cinéma et de l’audiovisuel (CCA) in der Französischen Gemeinschaft und dem Vlaams Audiovisueel Fonds (VAF) in der Flämischen Gemeinschaft, 2. die wirtschaftliche Unterstützung der Regionen, mit Wallimage in Wallonien, screen.brussels in Brüssel und Screen Flanders in Flandern, 3. die steuerliche Unterstützung durch den Föderalstaat anhand des Tax Shelter-Systems und 4. die europäischen Förderungen, hier vor allem der Eurimages-Fonds und das Medienprogramm.[1] Punkt 4 wird in der nachfolgenden Ausarbeitung ausgeklammert; bei den genannten Institutionen liegt das Hauptaugenmerk auf den französischsprachigen Vertretern, sowie generell auf der Französischen Gemeinschaft Belgiens und somit der wallonischen Region.
Unerwähnt ist bisher die Deutschsprachige Gemeinschaft bzw. Ostbelgien geblieben, womöglich da sie den mit Abstand kleinsten Teil der belgischen Filmindustrie und auch den der Demografie und Landesfläche ausmacht. Dennoch sind ihre Bemühungen hinsichtlich der Förderung der audiovisuellen Industrie nicht zu vernachlässigen, denn dort ist die Deutschsprachige Gemeinschaft selbst dafür zuständig. Ihre Aufgaben sind die Kofinanzierung von Projekten, „die im Zusammenhang mit der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens stehen“[2], ohne ,bürokratischen Aufwand‘ und mit logistischer Unterstützung vor Ort, „beispielsweise durch Motivaufnahmeleitung oder Anwerbung von Komparsen aus der Region“[3], unter der Bedingung, dass eine thematische, inhaltliche Ausrichtung auf die Deutschsprachige Gemeinschaft erfolgt, dass es Drehtage in der Region gibt, und dass (qualifizierte) Mitarbeiter aus der Region im Projekt eingebunden werden.[4]
Dasselbe gilt für die Institutionen der anderen drei Regionen (Wallimage (Gründung 2000), Screen Flanders (Gründung 2012) und screen.brussels (Gründung 2016)), aber zusätzlich unter dem Vorbehalt, dass ein Mindestprozentsatz der Finanzierung in der betreffenden Region auszugeben ist und unter dem Vorbehalt weiterer, divergierender Auflagen.[5] Ihre Finanzierungsmittel sind jedoch deutlich geringer als die Beiträge, die das föderale Tax Shelter-System generiert.[6] Vorteilhaft ist nun, dass die regionalen und föderalen Fördersysteme miteinander vereinbar sind, sodass „[l]es dépenses audiovisuelles régionales éligibles à l’aide financière d’un des trois fonds régionaux peuvent en effet simultanément relever du régime du tax shelter“[7].
Auswirkungen der Etablierung von staatlichen Fördersystemen für die audiovisuelle Industrie
Nach einer kurzen Einführung der Konzepte und Aufgaben der Institutionen und der kreativen und finanziellen Förderungsmöglichkeiten, ergibt sich schnell die Frage: Haben sich die Konzepte in der Praxis als wirksam erwiesen oder verkomplizierte die praktische Ausgestaltung die Arbeit in der audiovisuellen Industrie sogar? Während, bezogen auf den Tax Shelter, einige Stimmen das Existenzrecht formulieren: „Belgium’s 2003 tax shelter had an immediate, galvanizing effect on the local industry. Though the country became one of Europe’s most popular shooting destinations and co-production partners, many in the local industry did not find the program equal for all“[8], so gab es auch einige noch kritischere Stimmen gegenüber dem System bzw. gegenüber den Vermittlungsgesellschaften: „leurs commissions seraient trop élevées, leur intervention n'aurait pas assez d'effet sur l'industrie du ciné, ils marcheraient sur leurs plates-bandes... Bref, pour certains, on pourrait se passer de leurs services“.[9]
Der Großteil der nachfolgenden Fakten aus Statistiken und sonstiger Belege bezieht sich aufgrund der Quellenwahl auf den Effekt des Tax Shelter bis zum Jahr 2014, also dem Jahr, in dem eine Überarbeitung zum Zwecke einer Simplifizierung des Gesetzes für die Unternehmen erfolgte. Die Abbildungen 1[10] und 2[11] zeigen die Entwicklung der belgischen und ausländischen Anteile am Budget der von der Französischen Gemeinschaft (FG) anerkannten Spielfilme in Euro, dann als zweites die investierte Summe in die Produktionsfirmen in der FG via Tax Shelter und zuletzt die Anzahl der Spielfilme, die als belgische Filme in französischer Sprache anerkannt sind. Es sind jeweils Steigungen in den Statistiken zu sehen, die meist im Einführungsjahr des Systems im Jahr 2004 sehr deutlich sind und ab dann fortlaufend ein höheres Niveau haben, als vor dem Tax Shelter. Zwar gibt es teilweise auch wellenartige Verläufe, die aber nicht dauerhaft sind. Insbesondere in den letzten Jahren vor 2014 kann man signifikante Sprünge sehen, was vermutlich mit der Überwindung der Startschwierigkeiten oder der Skepsis/des fehlenden Verständnisses bezüglich des Systems zusammenhängt. Vor allem der investierte Betrag in die Produktionsfirmen hat sich beträchtlich und stetig über die Jahre erhöht, von knapp mehr als 5 Millionen Euro im Jahre 2004 auf etwa 80 Millionen im Jahre 2009 und schließlich auf über 120 Millionen im Jahr 2014. Auch bei der Anzahl der Spielfilme hat sich viel getan, sodass sie sich bis 2014 verdoppelt hat von 20 Filmen (2004) auf etwas mehr als 40 Filme (2014) bevor es im Jahre 2015 einen kleinen Abfall gab.
Abgesehen von der zweiten Statistik, sind die Daten der anderen beiden Statistiken nicht nur auf den Effekt des Tax Shelters zurückzuführen, denn es müssen auch die Leistungen der anderen Förderungsanstalten berücksichtigt werden, sowie die verschiedenen Finanzierungsträger.[12] Hierbei ist erneut wichtig, die Komplementarität einiger Hilfestellungen zu betonen, denn obwohl es zwischen den drei regionalen Fonds einen gewissen Wettbewerb um die Bewerbung von Produzenten gibt, bleibt der Tax Shelter einer ihrer „Verbündeten“.[13] Dadurch seien wallonische Anbieter international viel wettbewerbsfähiger und die Schlagkraft von Wallimage habe sich durch den Tax Shelter sogar verzehnfacht.[14] In Grafik 3 wird die Verteilung der belgischen Anteile im Jahre 2014 an der Finanzierung von Spielfilmen, die als französischsprachige Filme anerkannt werden, in % angegeben. Es wird ersichtlich, dass der Tax Shelter den mit Abstand größten Teil des ,Kuchens‘ einnimmt mit etwas mehr als ein Drittel der gesamten Anteile, was mehr als doppelt so hoch ist, wie der sich auf dem zweiten Platz befindende Produzentenbeitrag, genauso wie es im Vergleich zum drittplatzierten CCA der Fall ist. Ansonsten ist nur noch Wallimage mit seinen 9% wirklich erwähnenswert und zum Vergleich sieht man, dass der flämische Förderer VAF mit 1,3% den deutlich geringeren Marktanteil der flämischen Produktion vertritt.
Um einen letzten Gedankengang in dieser Analyse auszuformulieren, sind die indirekten oder teilweise auch direkten Auswirkungen der Fördermöglichkeiten, die nicht in Statistiken festgehalten werden oder nur schwer erfassbar sind, zu erwähnen. Dabei handelt es sich bspw. um die Schaffung von Arbeitsplätzen, das Entstehen einer Reihe von Produktionen, die womöglich ohne die Förderprogramme nicht entstanden wären (z.B. ausländische Produktionen samt Dreharbeiten auf belgischem Boden), das Profitieren auch auf Seiten der französischen und europäischen Produzenten, wodurch immer mehr französisch-belgische Koproduktionen entstanden sind, usw.[15] Vor der Zeit der Förderungsanstalten gab es z.B. auch noch keine wirkliche Organisation von Werbeveranstaltungen für die breite Öffentlichkeit (z.B. Vorpremieren in Städten ohne Kinokomplexe) und keine auffällige Medienpräsenz durch Partnerschaften mit Print- und audiovisuellen Medien, jedenfalls nicht in dem Ausmaß.[16] Nicht zu vernachlässigen sind auch die folgenden Punkte: Mehr Schauspieler, Techniker, Hersteller von Kulissen und Kostümen, Studios, technische Dienstleister, usw.[17] Aufgrund dessen kann festgestellt werden, dass die staatlichen Filmförderungsmöglichkeiten Belgiens unerlässlich für den Aufschwung der belgischen Kultur und für das belgische Know-how sind.[18]
Alles in Allem wird aus den Beobachtungen und Fakten deutlich ersichtlich, dass die Etablierung von staatlichen Fördersystemen sich, laut zitierter Quellen, weitgehend positiv auf die belgische audiovisuelle Industrie ausgewirkt hat. Seit der Coronakrise 2020 und auch noch in der aktuellen Zeit haben die in dieser Industrie beteiligten Parteien jedoch einige Befürchtungen, vor allem in Bezug auf das Tax Shelter-System. Dies liegt daran, dass im Sommer 2022 neue, als unklar angesehene Gesetze (insbesondere hinsichtlich der Provisionen der Vermittler und Produzenten) erlassen wurden. Zudem kam neuerdings auch das aktuelle wirtschaftliche Umfeld zu den Herausforderungen hinzu, da aufgrund der Auswirkungen der Energiekrise und der Inflation die Margen der Investoren unter Druck geraten könnten. Als größte Herausforderung wird jedoch die befürchtete Nichtverlängerung der Verdoppelung der Investitionsobergrenzen angesehen, weshalb einige Unternehmen sogar den Eindruck haben, dass die Situation schlimmer als während der Pandemiezeit werden könnte. Zuletzt wird das Weiterführen dieser Verdopplung zunehmend dadurch als unerlässlich angesehen, da ab diesem Jahr der neue Sektor der Videospielindustrie in den Genuss der Steuervergünstigung kommen kann, was dazu führt, dass noch mehr Bereiche einen Teil des Kuchens für sich beanspruchen können.[19]
- von Batuhan Sisaneci-
Dieser studentische Text ist im Rahmen des Romanistik-Seminars "Das BelgienNet III - das Filmland Belgien" im Wintersemester 2022/2023 entstanden. Hier finden Sie die französische Version dieses Artikels.
Anmerkungen:
[1] Vgl. COLLARD, Fabienne et al., La production cinématographique, Brüssel, 2016.
[2] o.A., „Filmförderung“, in: ostbelgienmedien.be, URL: https://ostbelgienmedien.be/desktopdefault.aspx/tabid-4458/7901_read-44520/ (zuletzt eingesehen am 14.02.2023).
[3] Ebd.
[4] Vgl. ebd.
[5] Vgl. COLLARD, Production cinématographique, S. 79.
[6] Vgl. ebd., S. 80.
[7] Ebd.
[8] CROLL, Ben, „Government Mandated Tax Shelter Boosts Belgian Film Industry“, in: variety.com (20. Mai 2017), URL: https://variety.com/2017/film/global/government-mandated-tax-shelter-boosts-belgian-film-biz-1202434895/ (zuletzt eingesehen am 13.02.2023).
[9] o.A. „Les effets du tax shelter sur l’économie du cinéma belge“, in: lecho.be (15. Mai 2007), URL: https://www.lecho.be/content/echo/fr/mme-articles/88/64/71/8864714 (zuletzt eingesehen am 13.02.2023).
[10] Redaktioneller Hinweis: Die Abbildungen sind hier zu sehen: Vgl. COLLARD, Production cinématographique, S. 95.
[11] Redaktioneller Hinweis: Die Abbildungen sind hier zu sehen: Vgl. ebd., S. 96.
[12] Vgl. COLLARD, Production cinématographique, S. 69.
[13] Vgl. TINTIN, Zoé, Un incitant fiscal au service de la culture. Étude de la mise en place du tax shelter pour les productions audiovisuelles et scéniques en Belgique, Lüttich, 2021.
[14] Vgl. ebd., S. 48.
[15] Vgl. SIMON, Pierre-Antoine, A qui profite le tax shelter?, Louvain-la-Neuve, 2010.
[16] Vgl. COLLARD, Production cinématographique, S. 76.
[17] Vgl. o.A., Les effets du tax shelter.
[18] Vgl. TINTIN, Un incitant fiscal au service de la culture, S. 59.
[19] Gesamter Absatz vgl. SACRÉ, Jean-Francois, „Solide croissance pour les levées de fonds Tax Shelter en 2022“, in: taxshelter.be (6. Januar 2023), URL: https://www.taxshelter.be/fr/content/solide-croissance-pour-les-levees-de-fonds-tax-shelter-en-2022 (zuletzt eingesehen am 13.02.2023).
Quellenverzeichnis
COLLARD, Fabienne et al., La production cinématographique, Brüssel, 2016.
CROLL, Ben, „Government Mandated Tax Shelter Boosts Belgian Film Industry“, in: variety.com (20. Mai 2017), URL: https://variety.com/2017/film/global/government-mandated-tax-shelter-boosts-belgian-film-biz-1202434895/ (zuletzt eingesehen am 13.02.2023).
SACRÉ, Jean-Francois, „Solide croissance pour les levées de fonds Tax Shelter en 2022“, in: taxshelter.be (6. Januar 2023), URL: https://www.taxshelter.be/fr/content/solide-croissance-pour-les-levees-de-fonds-tax-shelter-en-2022 (zuletzt eingesehen am 13.02.2023).
SIMON, Pierre-Antoine, A qui profite le tax shelter?, Louvain-la-Neuve, 2010.
TINTIN, Zoé, Un incitant fiscal au service de la culture. Étude de la mise en place du tax shelter pour les productions audiovisuelles et scéniques en Belgique, Lüttich, 2021.
o.A., „Filmförderung“, in: ostbelgienmedien.be, URL: https://ostbelgienmedien.be/desktopdefault.aspx/tabid-4458/7901_read-44520/ (zuletzt eingesehen am 14.02.2023).
o.A., „Les effets du tax shelter sur l’économie du cinéma belge“, in: lecho.be (15. Mai 2007), URL: https://www.lecho.be/content/echo/fr/mme-articles/88/64/71/8864714 (zuletzt eingesehen am 13.02.2023).