Abstract
Vor langer Zeit, im 17. und im 18. Jahrhundert, tobte innerhalb der Strukturen der Katholischen Kirche in West-Europa einen Kampf um die deutung und den Umgang mit der göttlichen Gnade sowie dem Sündenbegriff. Dieser Kampf hatte viele Auslöser, aber keiner war so umstritten wie die Bewegung mit dem Namen "Jansenismus". Heute ist sie beinahe der Vergessenheit anheimgefallen, aber lange Zeit hatte sie (und die Bekämpfung dieser Bewegung) einen deutlichen Einfluss auf "Staat und Kirche". War es aber eine Bewegung? Und gegen wen richtete sie sich? Warum wurde sie so heftig bekämpft? In diesem Beitrag geht es um diese Fragen, aber vor allem um den vergessenen Geburtsorts dieser Bewegung: in Löwen, einer Stadt im heutigen Flandern.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Jansenismus: „Pest“ oder Autonomieverteidigung?
2.1. Ursprünge und Gründe für die Verfolgung des Jansenismus
2.2. Holprige Repression im „flandrischen“ Zentrum des Jansenismus
2.3. Einfluss der europäischen Lage – „Flandern“ Wissensknotenpunkt?
3. Fazit
4. Literatur
5. Gedruckte Quellen
6. Anmerkungen
1. Einleitung
Noch während der Wirren des Dreißigjährigen Krieges und des „Achtzigjährigen Krieges“, in den sich die Republik der sieben Vereinigten Provinzen von den südlichen abtrennen würde, erschien in den bei Spanien verbliebenen südlichen Niederlanden ein theologisches Werk über die Lehren des Kirchenvaters Augustinus. Dieses womöglich bekannteste Werk des Bishofs von Ypern, Cornelius Jansen (genannt „Jansenius“) wurde dabei posthum von seinen Freunden Hendrik Calenus und Libert Froidmont herausgegeben.[1]
Dieses Buch, allgemein als den Augustinus bezeichnet, sorgte bei Katholiken und Protestanten aufgrund von Jansenius‘ Interpretation der Gnadenlehre für Aufsehen, noch bevor es überhaupt gedruckt war. Trotz oder vielleicht wegen der Gegenreaktion, löste es aber auch eine Erneuerungsbewegung innerhalb der katholischen Kirche aus, die allgemein als Jansenismus bezeichnet werden sollte. Jansenius beschrieb den menschlichen Willen als unfrei und die göttliche Gnade als freies Geschenk Gottes, was viele Katholiken an reformatorische Ansichten erinnerte.[2] Hierin waren Ansichten erhalten, die potentiell gegen die kirchliche Hierarchie eingesetzt werden könnten. Jansenius‘ Anhänger sollten, trotz gewaltsamer Repression auf Instigation des Vatikans, besonders in Frankreich, zahlreich werden. Dort kann sie sogar als Wegbegleiter zur Französischen Revolution betrachtet werden.[3] Nicht nur Priester, Bischöfe oder sonstige Kleriker sondern auch Staatsfunktionäre wurden im 17. und 18. Jahrhundert immer wieder des Jansenismus verdächtet, in Frankreich, aber auch im deutschsprachigen Raum, in Spanien, Italien und auch in den Spanischen Niederlanden. Es war ein europäisches Phänomen und so überrascht nicht, dass von Jansenius‘ Werk bis zum Jahr 1800 fünf französische Ausgaben sowie Übersetzungen auf Deutsch, Spanisch, Polnisch, Niederländisch, Spanisch, Italienisch und Latein erscheinen.[4]
Der Jansenismus als europäisches Phänomen wurzelte jedoch in den Spanischen Niederlanden, in einem Teil des heutigen Belgiens, den wir grob und ahistorisch als „Flandern“ bezeichnen können. Darunter verstehen wir hier hauptsächlich die Grafschaft Flandern und das Herzogtum Brabant, die zwei wichtigsten Provinzen der Spanischen Niederlanden. Dieser Beitrag fragt nach den Entwicklungen im Geburtsort des Jansenismus. Fungierte die Region angesichts der Repression als ein Fluchtort des Jansenismus im späten 17. Jahrhundert und trug sie als eine Art Drehscheibe dazu bei, dass der Jansenismus zu einem europäischen Phänomen wurde? Oder wurde sie auch in den Spanischen Niederlanden intensiv verfolgt? Und wie verhielt sich die Entwicklung des Jansenismus zur allgemeinen Entwicklung dieser peripheren Provinz eines spanisch-habsburgischen Reiches, die zunehmend sich selbst überlassen wurde?
Heute ist der Jansenismus kein bekannter Begriff mehr, aber im 17. Jahrhundert (und am Anfang des 18.) besaßen die Verdächtigungen und Kontroversen um Jansenismussympathisanten genug politische Brisanz, um Gesellschaften und Institutionen (allen voran theologische Fakultäten) zu spalten. Als historisches Phänomen ist der Jansenismus folglich unter unterschiedlichen Blickwinkeln erforscht und bewertet worden, jedoch hauptsächlich immer innerhalb nationalen Rahmungen. Die verfügbare Literatur über die konfessionellen Entwicklungen in Italien, „Flandern“ und insbesondere Frankreich ist aber verhältnismäßig gut.[5] Vornehmlich Bruno Bernand stellt dabei den Jansenismus als „Totengräber“ des Ancien Régimes in Frankreich vor . Auch nennt er als Folge der Reformbewegung die Entwicklung einer sogenannten „Oppositionsmentaltität“ (J. Delumeau) in Frankreich.[6] Für den deutschsprachigen Raum, der etwa seit den 1970er Jahren intensiver in Bezug auf das Mäzenatentum und die Instrumentalisierung des Jansenismus im Alten Reich untersucht wird,[7] ist besonders das im Jahr 2023 erschienene Sammelwerk Der Jansenismus im deutschsprachigen Raum, 1670-1789 hervorzuheben. Harm Klueting erklärt den Jansenismus darin sogar als „eine der Wurzeln der katholischen Aufklärung“[8]. Für den Jansenismus in Flandern sind Aufsätze von Autoren wie M. G. Spiertz oder Toon Quaghebeur heranzuziehen, die sich vor allem auf den Einfluss des Jansenismus an der Universität Löwen als „bakermat“ der Bewegung fokussieren. Grundlegend und unverzichtbar sind dabei vor allem die unzählbaren Studien von Lucien Ceyssens.[9] Indem diese Studien hauptsächlich theologischen Aspekte sowie die Auseinandersetzungen mit dem Vatikan oder örtlichen Zensoren in den Blick nehmen, blenden sie jedoch größtenteils die Zusammenhänge zwischen dem Jansenismus (bzw. dessen Bekämpfung) und der allgemeinen staatlichen Entwicklung in den Spanischen Niederlanden oder der Situation am Madrider Königshof aus. Die Rolle der bedrohten Lage der Niederlande, die in jener Periode mehrmals französischen Invasionen zum Opfer fielen und unter wirtschaftlicher Benachteiligung durch die nördlichen Vereinigten Provinzen litten, kommt auch ungenügend vor. In diesem Beitrag sollen zuerst die wichtigsten Thesen des Jansenismus und deren möglichen Implikationen für die römisch-katholische Kirche vorgestellt werden, sowie auch die süd-niederländischen Ursprünge der Reformbewegung. Im Hauptteil wird dann die Repression des Jansenismus in „Flandern“ näher beleuchtet, um die Entwicklung der Bewegung hier spezifisch aus dem Blickwinkel der staatlichen Besonderheiten der Spanischen Niederlande und der Einflüsse größerer europäischer Bewegungen, auch der Einflussnahme von Nachbarstaaten und dem Vatikan zu erklären. Dabei fokussieren wir hauptsächlich die zweite Hälfte des 17. Jahrhundert. Das Phänomen des Jansenisum erlaubt somit nämlich Einblicke in die im Ausland wenig bekannte Geschichte der Spanischen Niederlande, eine Epoche, die häufig noch als die „Decadencia española“ bezeichnet wird.
2. Der Jansenismus: „Pest“ oder Autonomieverteidigung?
2.1. Ursprünge und Gründe für die Verfolgung des Jansenismus
Der Jansenismus entstand in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und sollte mehr als ein Jahrhundertlang vor allem in Frankreich, den südlichen und nördlichen Niederlanden sowie in Italien Anklang finden.[10] Benannt wurden die Anhänger der Bewegung nach dem Theologen Cornelius Jansen, genannt „Jansenius“, von 1635 bis 1638 Bischof von Ypern. Dieser Namen wurde ihnen pejorativ von ihren Gegnern aufgezwungen, da sich die Anhänger keineswegs als Abspaltung der katholischen Kirche betrachteten, sondern diese durch ihr Gedankengut zurück zu ihren Wurzeln bewegen wollten. Insofern es sich um eine Reformbewegung handelte, wollte diese sich nämlich nie außerhalb der römisch-katholischen Kirche stellen, sondern sie hin zu einer strengeren Religiosität erneuern.[11] Jansenius‘ posthum veröffentlichtes Werk Augustinus (1640) bildete die Basis hierfür.[12] Jansenius hatte an der Universität Löwen im studiert, wo er die Lehren des katholischen Theologen Michel Baius kennengelernt hatte, dessen Kerngedanken über die Natur des Menschen und die Gnade Gottes wiederum stark durch die Rezeption des Kirchenvaters Augustinus geprägt worden waren.[13] Die Hauptanregung für seine Überlegungen über die Gnade war jedoch eine Diskussion hierüber zwischen so genannten Molinisten, Thomisten und zwischen Jesuiten und Dominikaner in Rom, die er während seines Studiums aufmerksam verfolgt hatte.[14] Jansenius interpretierte Augustinus‘ Lehren dahingehend, dass der menschliche Willen grundsätzlich unfrei und völlig abhängig von der göttlichen Gnade sei. Demnach könne der Mensch ohne diese Gnade einerseits nichts Gutes in der Welt verrichten und andererseits keine Erlösung finden. Weitere Glaubensgrundsätze waren unter anderem die Prädestination, die allein von Gottes Willen abhängig sei, eine vollständige Unterwerfung des Menschen im pietistischen Sinne sowie eine streng asketische Lebensführung, die als Gegensatz zur Haltung der Jesuiten angesehen wurde.[15]
Abbildung 4: Die Lage der Städte Löwen und Brüssel im heutigen Belgien.
Jansenius‘ Werk erreichte nach seiner Veröffentlichung große Beliebtheit unter Klerikern, an der Universität, in den süd-niederländischen Justiz- und Regierungskreisen sowie auch und insbesondere in der französischen Zisterzienserinnen-Abtei Port-Royal.[16] In Frankreich wurde der Jansenismus am Königshof Ludwigs XIV. dabei als eine Bedrohung für die sehr spezifische „gallikanische“ Einheit von Kirche und Staat empfunden.[17] Es ist zu vermuten, dass die klare Gnadenvorstellung und die Lebensführung der Jansenisten von vielen Katholiken als sehr attraktiv empfunden wurden, die sich Reformen wünschten, jedoch keine Protestanten werden wollten. Jansenius strebte zwar eine Glaubenserneuerung innerhalb der Kirche an. Die Idee, dass Reue und Bekehrung nicht genügen würden, um zum Heil zu gelangen und dass persönliche Pietät wichtiger sei als institutionelle, drohte im Prinzip aber den Nutzen der Kirche in Frage zu stellen. Dass Jansenius durch seine Gnadenlehre zudem ausdrücklich das Ziel verfolgte, die Theologie von den Denkmustern der Jesuiten reinigen, machte ihn nicht gerade unverdächtiger.[18] Folglich stieß Augustinus auf massive Ablehnung in theologischen und besonders jesuitischen Kreisen. Sofort versuchte der Jesuitenorden Jansenius als Schüler von Luther, Zwingli und Calvin zu diffamieren.[19] Auch die spanische Zentralregierung, die erst im Jahr 1632 mit einem Komplott eines Teils des südniederländischen Adels gegen die Monarchie konfrontiert worden war und als „allerkatholischste Dynastie“ sowieso den Katholizismus streng aufrechterhalten wollte, blickte mit Sorge auf die Entwicklungen.[20] Den heftigsten Widerstand leistete jedoch der Vatikan, der von den Brüsseler und Kölner Nuntii vom Augustinus erfahren hatte. Die päpstliche Verurteilungen begannen mit der Zensur des Werkes durch die Bulle „In eminenti“ (1642). Es verurteilte Jansenius‘ Buch, da es einerseits Thesen enthielt, die durch ehemalige Päpste bereits verurteilt worden seien, und andererseits das Gnadenproblem behandelte. [21] Eine Diskussion des Gnadenproblems war seit 1611/1625 verboten.[22] 1653 verurteilte Papst Innozenz X. durch die Bulle „Cum occasione“ fünf Hauptsätze des Jansenismus als häretisch.[23] Die fünfte These besagte beispielsweise, es sei „semipelagianisch zu behaupten, Christus habe für alle Menschen ohne Ausnahme den Tod erlitten oder sein Blut vergossen“[24], da den ketzerischen Gedanken verfolgte, dass Christus nur für das Heil der durch Gott Vorherbestimmten gestorben sei. Wie Jan Roegiers zusammenfasst, interessierte Rom nicht wirklich die theologische Diskussion, sondern die Treue zum Papst und die Aufrechterhaltung der kirklichen Hierarchie, was allein schon daraus deutlich wird, dass ua. die Bulle von 1653 den Augustinus nicht wörtlich gelesen hatte.[25] Die Verurteilungen und die spürbaren Versuche der Päpste und besonders der Jesuiten, in den Spanischen Niederlanden alle Spuren des „Augustinus“ oder Jansenius‘ samt Anhänger zu vertilgen, riefen jedenfalls nur mehr sturen Widerstand hervor. Die jansenistischen Anhänger wollten nicht akzeptieren, dass Jansenius als angesehenen Bischof nach seinem Tod als Ketzer gebrandmarkt wurde. Durch die Verfolgung wurden sie hingegen nur entschlossener. Lucien Ceyssens, großer Experte des historischen Jansenismus, behauptete vor diesem Hintergrund, der „Antijansenismus“ sei eigentlich älter als der Jansenismus selber. Die Verurteilungen kamen nämlich noch bevor sein „Augustinus“ überhaupt gedruckt war und provozierten also die Bewegung erst.[26] Das zeigte sich auch kurzfristig nach der Publikation der päpstlichen Bulle „Unigenitus“ (1713), als der Jansenismus zu einer breiten Bewegung für viele wurde, die sich gegen den Zentralismus in Kirche und Staat wandten.[27] Nach einem verbissenen Kampf, in dem Behörden, Schulen und Familien gespalten wurden, sollte sich jedoch der Antijansenismus durchsetzen.
2.2. Holprige Repression im „flandrischen“ Zentrum des Jansenismus
Die Verfolgung in den südlichen Niederlanden, im „Geburtsland“ des Jansenismus, gestaltete sich auffällig schwerfällig. Es zeigte sich immer wieder, dass es bis zur Regierung des Statthalters Max II. Emanuel von Bayern dauern würde, bis sich die spanischen Statthalter gegen die eigenen Kollateralräte durchsetzen konnten, die eine päpstliche Einmischung in niederländische Regierungsangelegenheiten dermaßen bekämpften, dass mehrere Versuche, etwa eine Visitation in Löwen durchzuführen, aufgeschoben und letztendlich abgesagt werden mussten.[28] Erst 1696 einigten sich die spanischen und Brüsseler Räte darauf, Jansenisten aus allen öffentlichen Ämtern zu entfernen.[29] Somit sind wir bei der Verbindung zwischen der Bekämpfung des Jansenismus und der staatlichen Besonderheit der Spanischen Niederlanden angelangt. Die vom spanischen König ernannten Statthalter oder Gouverneure der Niederlande wurden zwar wiederholt zur Bekämpfung des jansenistischen Gedankengutes angewiesen, sie wurden dabei jedoch von örtlichen, regionalen und gelegentlich auch von den eigenen Zentralbehörden in Brüssel daran gehindert. Währenddessen fand der Jansenismus in großen Teilen der gebildeten Bevölkerung Anklang, die durch den herausfordernden Geist des Jansenismus in ihrer „Oppositionsmentalität“[30] (J. Delumeau) gestärkt wurde. Diese Haltung nährte sich auch grundsätzlich aus dem altherkömmlichen Bestehen der niederländischen Landesstände auf ihren gewohnheitsrechtlichen Privilegien und Rechte. Um dieses periphere Gebiet im spanischen Reich zu behalten, hatten die Monarchen seit der Rückeroberung im Achtzigjährigen Krieg diese Autonomiebehauptung auch geduldet, ein Muster, das schließlich essentieller Bestandteil (Hugo de Schepper) der spanischen Regierungspraxis in den Niederlanden wurde.[31] Dass sich Spaniens Griff auf das Gebiet im Verlauf des 17. Jahrhundert immer mehr lockerte, befeuerte diese Entwicklung nur. Indem der Jansenismus in „Flandern“ hauptsächlich eine Reaktion auf dessen Verfolgung war, generierten die päpstlichen Appelle an den Königshof, die Zügel noch enger anzuziehen, vor diesem Hintergrund nur mehr Zustimmung zum Jansenismus. Der Jansenismus war zudem eine Äußerung des intellektuellen Lebens in den Spanischen Niederlanden, lässt er doch auf ein vermehrtes Interesse an dem Lesen volkssprachlicher Bibeln schließen.[32] Die örtlichen und regionalen Behörden zeigten in ihrem Widerstand „la plus grande répugnance à se conformer aux ordres pontificaux“.[33] Besonders die Brabanter Landesstände oder „Staten“ zeigten sich allergisch gegenüber päpstlichen Appelle, Exempel zu statuieren und bestanden auf ihre Autonomie. Deshalb war schon das Verbot bezüglich der Gnadendiskussion nie in den Spanischen Niederlanden verkündet worden, besaß dort also keine Rechtskraft.[34] Die päpstlichen Versuche, sich gegen zögerlichen Behörden in den Spanischen Niederlanden durchzusetzen und dabei einzelne Protagonisten, wie zum Beispiel die Erzbischöfe von Mechelen auf ihre Seite zu ziehen, riefen unweigerlich neue Risse und Widerstandsfronte hervor. Der spanische Königshof und dessen Statthalter gerieten dabei in eine Zwickmühle zwischen der örtlichen Dezentralisierung und päpstlichen Einmischungsversuchen. Die päpstlichen Nuntii und deren Berater in Rom appellierten wiederholt an den spanischen Königshof, zu allererst die Universität Löwen zu „säubern“, indem sie hartnäckig behaupteten, die Universität (und besonders die „strikten“ der Theologiefakultät) sei ein Brutherd des „Jansenismus-pestilenz“[35] und der Rebellion gegen die königliche Autorität, die möglicherweise mit den nördlichen Calvinisten zusammenarbeitete.[36]
Ihrerseits zogen die Behörden den König und dessen Vertreter auf ihre Seite mit der Behauptung, dass nur der König Repressionsmaßnahmen genehmigen könne. So wurde ein Internuntius namens St. Anastasius in der Mitte des 17. Jahrhunderts wiederholt frustriert. 1645 erließ der Rat von Brabant, der höchste Gerichtshof im Herzogtum, so genannte „Kassationsurteile“ gegen eine Resolution einiger Löwener Dozenten auf Instigation des Internuntius. In dieser Resolution sah der Rat ein direkter Verstoß gegen die königlichen Rechte. Seit 1641 suspendierte der Rat Vorgänge gegen den „Augustinus“ oder dessen Anhänger immer wieder, weil er auf einen königlichen Beschluss wartet. So auch wieder 1645: ohne königliches „Placet“ seien die päpstlichen Bullen nicht zulässig.[37] Indem das Generalgouvernment in Brüssel deshalb eine Genehmigung in Madrid einholen musste, gewannen die Behörden durch die langen Beratungszeiten weitere Zeit, um die päpstlichen Initiativen zu verzögern. Erst ein Jahr später betonte König Philipp IV. in seiner Antwort, dass ein königliches placet nicht notwendig sei und die päpstliche Bulle ohne jegliche Behinderung in den Niederlanden veröffentlicht und umgesetzt werden sollte.[38] 1653 riet der König dem Rat von Brabant erneut, sich nicht in diese theologische Materien einzumischen, aber zugleich wies er das Brüsseler Gouvernement an, vorsichtig vorzugehen und den Nuntius von harten Appellen abhalten, da dies die Brabanter Stände und Behörde nur mehr verärgern würde.[39] 1659 gab es immer noch Beschwerden vom Nuntius über die zögerliche Umsetzung päpstlicher Bullen. Scheinbar wollte man besonders in Brabant immer noch ein königliches „placet“ haben.[40] Somit konnten sich Päpste und Nuntius nur in Madrid beschweren, während die Statthalter behaupteten, alles sei konform umgesetzt worden. Dabei handelte sich der Vatikan die zögerliche Umsetzung in den Niederlanden auch selber ein, indem sich mehrere Formfehler in die Formulierung der Bullen und Schreiben schlichen, wodurch es sich nach Ansicht der niederländischen Behörden formal nicht (wie von Rom behauptet) um eine dogmatische Materie handelte, sondern um eine rechtliche, die ein placet bedurfte. Damit war wieder Zeit gewonnen. Allein deshalb schon hatte sich die Publikation der Bulle „In Eminenti“ von 1641 um zehn Jahren verzögert.[41]
Neben der Weigerung der örtlichen Behörden, sich dem Druck der Päpste oder der Jesuiten zu beugen, ist auch eine Rivalität zwischen Rom und Madrid bezüglich der Oberhoheit über die Universität Löwen als Ursache für die stockende Repression des Jansenismus anzusehen. Die spanischen Könige, vielmehr deren Statthalter, besetzten eigene, königliche Lehrstühle in Löwen und Douai (die zweite süd-niederländische Universität, bis dieser Ort 1668 an Frankreich feil), während die Stadt Löwen die anderen Lehrstühle überwachte[42] aber Rom versuchte ebenso Kontrolle zu erlangen. Deshalb dauerte es bis 1700, bis das Gouvernment des bayerischen Kurfürsten Max II. Emanuel den Jansenismus vollständig aus der Theologiefakultät vertreiben konnte.[43] Durch die Rivalität bestanden in Löwen währenddessen genug Freiräume für jansenistische Sympathien. Während sich Spanien und Rom sogar kaum auf einen modus operandi für Visitationen an der Universität Löwen einigen konnten, war die Universität selbst zunehmend gespalten zwischen Königs- und Romgetreuen einerseits und jansenistischen Lehrern andererseits. Oberflächlich zeigte sich die Universitätsleitung angesichts des Repressionsdruckes aber einig und wehrte Einmischungsversuche von örtlichen oder zentralen Behörden entschieden ab. Das Brüsseler Gouvernment stieß immer wieder auf Autonomiebehauptungen der dortigen seniores.[44] So vermerkte das Rektorat auf einer schriftlichen Bitte Brüssels, sich zu einem Visitationsvorgang zu äußeren „non observatur“. [Referenz]. Wie widerspenstig die Universität war, ist u.a. daran abzulesen, dass sie den päpstlichen Internuntius im Frühjahr 1647 provozierten, indem sie an einer prominenten Stelle ein Porträt Jansenius‘ aufhängen ließ.[45] Die Universität Löwen hielt dabei eine besondere Position inne, da sie als autonome Institution innerhalb der Stadt Löwen galt.[46] Jedes gedruckte Buch in Löwen benötigte entweder die Genehmigung des amtierenden königlichen Zensors oder eines katholischen Zensors. Der königliche Zensor von Löwen wurde meistens von den zivilen Behörden oder dem Generalgouverneur ernannt. Letztgenannter war umgeben von jesuitischen Vertrauten und Beichtvätern, und auch der Erzbischof konnte durch die jesuitische Präsenz in Brüssel stark für anti-jansenistische Maßnahmen beeinflusst werden.[47] Ein Beispiel ist der spanische Jesuit Pedro de Bivero, der bis ins Jahr 1651 Hofprediger der Erzherzöge in Brüssel war.[48] Er versuchte Zeit seines Amtes, jansenistische Professoren von jeder Bischofsernennung auszuschließen.[49] Auch verbot der spanische König, jansenistische Positionen teilende Personen für das Amt des königlichen Zensors zu nominieren.[50] Die Distanz zwischen den Zentralbehörden in Madrid und in Brüssel erschwerte die Koordination einer effektive Repression. Neben dem langen Weg, den die Berichte und Weisungen zurücklegen mussten, war auch die ständige Störung durch den französischen Feind ein wachsendes Problem. Die mangelnde Koordination bewirkte jedenfalls launige Entscheidungen. So erklärt sich, dass im Juni 1694 Karl II. den Statthalter verbieten musste einen Dr. Johann-Libert Hennebel an der Universität Löwen zum Zensor zu ernennen, da ausgerechnet diesem gerade jansenistischen Sympathien unterstellt würden![51] In neuem langwierigen Schriftwechsel musste dann geklärt werden, dass es sich um ein Missverständnis handelte, wodurch wieder Zeit verloren gegangen war. Dies dürfte durchaus eine strukturelle Taktik gegenüber Madrid gewesen sein. Dass es sich beim Umgang mit Jansenismus nämlich auch um eine Behauptung der eigenen Autonomie gegenüber dem Königshof in Madrid handelte, erscheint 1651 aus einer Denkschrift des Geheimen Rates, der den Statthalter in Verwaltungs- und Gerichtsangelegenheiten beriet, unbedingt wieder einen süd-niederländischen Vertrerter bei der römischen Kurie zu haben (zwar dem spanischen Botschafter untergeordnet), um dort direkt die eigenen Interessen zu vertreten. So sei es bis vor einigen Jahrzehnten immer der Usus gewesen.[52] Der Ausgang dieser Initiative ist unbekannt. Die Reibungen zwischen den niederländischen Behörden und dem Königshof sollten aber bis zum Ende der spanischen Herrschaft die Verfolgung jansenistischer Sympathien erschweren. Im November 1695 (kurz nachdem große Teile Brüssels von französischer Artillerie zerstört worden waren), erinnerte Statthalter Max Emanuel den Geheimen Rat erneut daran, wie oft er und die Räte vom König und vom Papst ermahnt worden seien, gegen Jansenisten in geistlichen und zivilen Ämtern vorzugehen. Um „extirper cette secte“ sei es erforderlich, alle Kandidaten gründlich auf Neigungen zu prüfen und besonders an der Universität zu Löwen die Seminare zu säubern. Hauptgrund für den fortschreitenden Wucher des Jansenismus sei laut dem Statthalter örtliches Desinteresse und Zuneigung zu diesen Ideen. Örtliche Gerichte sollten auch aufhören, sich in diese Verfahren einzumischen.[53] Dem Jansenismus war unter diesen Bedingungen ein langes Leben in den südlichen Niederlanden gegönnt. Auch nach den schwerwiegenden Maßnahmen im 18. Jahrhundert wie unter der Statthalterschaft Maria Elisabeths, bestand der Jansenismus im Untergrund weiter.[54]
Abbildung 8 visualisiert treffend die herrschende Auffassungen im katholischen Milieu in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Dass die Karikatur nota bene von einem flämischen Zeichner (genannt Albert Flamen) in französischen Diensten angefertigt wurde, demonstriert nochmals, wie zerrissen die Lager in den Spanischen Niederlanden waren und wie verflochten der Konflikt mit dem Ausland. Links, auf dem Thron, ist der französische König zu sehen, der unter der Anleitung des Heiligen Geistes, das „mal“ vertreibt. Ganz oben ist der Papst zu sehen. Beide treffen mit ihrem Blitz den siebenköpfigen Drachen, der das Böse im Jansenismus verkörperlicht. Rechts fliehen mutmaßliche Jansenisten in die Armen der Lutheraner und Calvinisten, womit der Zeichner impliziert, der Jansenismus sei ein Vorwerk des Protestantismus. Überschrieben ist die Zeichnung mit einem Zitat aus dem Matthäusevangelium über gerechte Urteile auf Erden als eine Vorwegnahme des himmlichen Urteils.
Abbildung 9 Ausschnitt des obigen Bildes. Hier werden Thesen des Jansenismus als einzelne Köpfe des satanischen Drachens dargestellt, der vom königlichen und päpstlichen Bannfluch getroffen werden ("foudroyé") .
2.3. Einfluss der europäischen Lage – „Flandern“ Wissensknotenpunkt?
Die Zeit des Jansenismus war geprägt von bedeutenden politischen, religiösen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648), der als religiöser Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken im Heiligen Römischen Reich begonnen hatte, führte zu weitreichenden Zerstörungen und politischen Veränderungen. Der Westfälische Frieden (1648) kennzeichnete nicht nur das Ende des Dreißigjährigen Krieges in Mitteleuropa, sondern hatte auch den Achtzigjährigen Krieg (1568–1648) zwischen Spanien und den inzwischen unabhängig gewordenen, nördlichen Provinzen der Niederlande beendet.[55] Die südlichen Niederlande verblieben unter der Herrschaft der spanischen Habsburger, die nach wie vor aber in einen geopolitischen Konflikt mit Frankreich standen.[56] Über die Bedeutung des Jansenismus für die Spannungen zwischen Spanien und Frankreich liegen kaum Forschungsarbeiten vor. Schließlich fokussierten Historiker bisher vor allem den Antijansenismus innerhalb nationaler Rahmungen, also die Verfolgung in den spanischen Gebieten, oder in den französischen Gebieten. Es gibt aber Indizien, dass die republikanischen Tendenzen im Jansenismus als Sicherheitsbedrohung dargestellt wurden. Im April 1676 warnte Kardinal Nithard aus Rom dem spanischen König Karl II., dass der Jansenismus in den Niederlanden immer mehr Feld gewann. Er zeigte dabei nota bene auf den Erzbischof von Mechelen als Hauptförder des Jansenismus.[57] Gerade aus Rücksicht auf die jansenistischen Tendenzen durften die spanischen Könige jedoch nicht zu „französisch“ gegen die Bewegung vorgehen, da Ihnen dies zwar die Anerkunnung der örtlichen Kleriker gebracht hätte, zugleich aber die Treue der Bevölkerung gekostet, die jede Anlehnung an Frankreich verwarf.[58]
Ein Vergleich mit der Repression in Frankreich verdeutlicht daher, welchen Strukturumständen die süd-niederländischen Regierung unterworfen war und also wie die Spanischen Niederlande insgesamt „funktionierten“. Die Spanischen Niederlande waren ein quasi-autonomer Teil des spanischen Reiches, das aufgrund seiner Lage Freiheiten in verwaltungstechnischen und politischen Angelegenheiten besaß. Wenn die Regierungsumstände eine effektive Repression erschwerten, erlaubten die Freiräume dann dem Jansenismus, aufzublühen? Und welche Folgen hatten die politischen und institutionellen Umstürze wegen des Kampfes um die spanischen Erbfolge? Besonders der Einfluss des französischen Nachbarn sollte sich hierbei geltend machen.
Die wiederholten Invasionen französischer Armeen, die immer seltener von den spanischen Truppen und fremden Hilfsarmeen aufgehalten werden konnten, setzten das Gebiet unter erheblichen wirtschaftlichen und finanziellen Druck. Anders als Historiker und das breitere Publikum lange gedacht haben, war „Flandern“ im Zuge der Emigration vieler Protestanten in die niederländische Republik der Vereinigten Provinzen sowie der französischen Kriege nicht eine „Wissenswüste“ geworden, in der es kaum noch Forschung oder Intellektuellen gab.[59] „Flandern“ war zwar ein Ort durchgängiger Kriege, dementsprechend aber auch als Ort der Zusammenkunft und der Innovationen. Somit florierten insbesondere die Kartografie, die Militärarchitektur, Vermessungen, das Waffendesign und das Ingenieurswesen in den flämischen Zentren.[60] Beispiele dafür sind die Jesuitenschule der Mathematik in Antwerpen oder die im Jahr 1675 gegründete Militärakademie in Brüssel.[61] Das führt uns zur Rolle der Universität Löwen, insbesondere der theologische Fakultät, in der Weiterentwicklung und Verbreitung des jansenistischen Gedankengutes. Insgesamt wird der Universität Löwen im späten 17. Jahrhundert keine internationale Glanzrolle zugebilligt, da sie insgesamt verschlossen und konservativ gewesen sei. Einzig die theologische Fakultät hätte, konnte u.a. wegen der kontrareformatischen Rolle innerhalb der Kirche und des spanischen Reiches eine weitreichende Bedeutung entwickeln.[62] Seit dem späten 16. Jahrhundert hatten die spanischen Behörden den Einwohnern der Niederlande verboten, an fremden Universitäten zu studieren, wo sie vielleicht ketzerischen Lehren begegenen konnten. Trotz vielen nachgewiesenen Ausnahmen von dieser Regel, rekrutierten die Universitäten von Douai und Löwen zunehmend und ausschließlich ihre Studenten aus den südlichen Niederlanden.[63] Dennoch internationalisierten diese Universitäten indem sie zu Ausbildungszentren für die katholische „Kontrareformation“ wurden und englische, irische, schottische, holländische und auch deutschsprachige Katholiken auffingen, die aus ihren reformierten Heimatländern geflohen waren.[64] In süd-niederländischen Städten wie Antwerpen, Löwen, Douai, Doornik/Tournai und St-Omer/St Omaars entstanden mehrere englische, irisiche oder schottische „Kolleges“. Löwen war dabei das unbestrittene Zentrum der irischen Katholiken. Zugleich wurde hier, vielfach unter jesuitischer Anleitung, Missionare ausgebildet, die nach Irland, England oder Schottland zurückkehrten und dort häufig zu Äbten oder Bischöfen avancierten. Grund für diese starke Verbundenheit mit den britischen Inseln war erstens die geografische Nähe der südlichen Niederlande, zweitens aber auch die explizite Befugnis des päpstlichen Nuntius in Brüssel für diese Inseln.[65] (Aus diesen Gründen sollte es bis weit ins 19. Jahrhundert in Belgien eine starke Präsenz der britischen Katholiken geben.) Vor dem Hintergrund der Rolle in der katholischen Reformation ist zu verstehen, weshalb der örtliche Jesuitenorden besonders hartnäckig gegen die Brabanter und Löwener Widerstände vorging und versuchte sogar, das königliche Seminar an der Universität käuflich zu erwerben, was Philipp IV jedoch verbat.[66]
Somit konnten die südlichen Niederlande sowohl an den Universitäten als auch im Verlagswesen ein Fluchtort für Jansenisten bleiben, an dem das Gedankengut weiterentwickelt werden konnte. In Frankreich verlief die Repression währenddessen wesentlich konzentrierten und direkter, wo Ludwig XIV. die päpstlichen Bitten um Verfolgung intensiv umzusetzen schien. Ein Höhepunkt bildete die Auflösung des Klosters Port-Royal im Jahr 1709 und der Zerstörung dessen Klöstergebäude ein Jahr später. Das Kloster war der umbestrittene Knotenpunkt des französischen Jansenismus. Zahlreiche französische Jansenisten mussten im Zuge dieser Entwicklung am Anfang des 18. Jahrhunderts flüchten. Für sie war das benachbarte Flandern ein bevorzugtes Fluchtziel. So lebten die französischen Jansenisten Antoine Arnault, Pasquier Quesnel und Daniel Gerberon in Brüssel im Exil.
Sie fanden Verbündete bei den Mitgliedern der Kollateralräte der Brüsseler Regierung, beratende Gremien der spanischen Statthalterschaft, und beim bereits genannten Rat von Brabant.[67] Auch konnten Brüssel und Löwen als internationale Zentren des Handels und der Zusammenkunft unterschiedlicher Nationalitäten und Konfessionen als offenes Umfeld und Fluchtort vieler französischer Jansenisten für den Austausch von Ideen dienen. Die Verbreitung jansenistischer Bücher ging in Flandern mehrheitlich von Brüssel aus, in der die Professoren sowie Arnault, Quesnel und Gerberon ihre Bücher trotz der Zensurmaßnahmen der katholischen Kirche in geheimen Verlagen und Druckereien produzieren ließen.[68] Dazu kam, dass Zensoren einerseits geistliche oder politische Positionen innehatten, andererseits waren zahlreiche Zensoren Anhänger des Jansenismus, was dazu führte, dass die Veröffentlichung einiger Bücher gebilligt wurde.[69] An der Schwelle zum 18. Jahrhundert verschärfte sich jedoch die Verfolgung in den Spanischen Niederlanden infolge der Umstürze, die durch den Spanischen Erbfolgekrieg und den Antritt eines Tronfolgers aus dem französischen Königshauses verursacht wurden, die auch französisch-inspirierten Regierungsreformen mit sich brachten. Exiljansenisten wie Quesnel wurden in dessen Zuge dennoch verhaftet und mussten flüchten. Mit dem Antritt des österreichischen Zweiges der Habsburger als neue Landesherrn verschärfte sich die Lage nur. Durch den drastischen Regierungswechsel konnte sich der Widerstand in Löwen nicht lange halten. Kurz nach Antritt der österreichischen Landesherrschaft, um 1715, nahm die theologische Fakultät der Universität Löwen formal die antijansenistische Bulle Unigenitus an. Ab 1730 ist auch die Praxis belegt, dass die Verleihung von akademischen Graden oder Würden immer mit der Pflicht einherging, sich dem Antijansenismus zu verpflichten.[70] Während die Universität lange mit der (stillen) Unterstützung der spanischen Statthalter gegen Rom rechnen konnte, stellte sich die neue österreichische Landesregierung gegen die Universität und klar auf die Seite Roms. Die Statthalterin Maria Elisabeth, Schwester des Kaisers Karl VI., zeigte sich als „grande dame fort pieuse“ bereit, zusammen mit ihrem (erneut jesuitischen) Beichtvater und dem Nuntius und dem Erzbischof von Mechelen die jansenistische Präsenz in Löwen endgültig zu beseitigen.[71] Wenn hierdurch die öffentliche Verteidigung jansenistischer Thesen in Löwen oder in den nun Österreichischen Niederlanden erschwert wurde, verschwand dieses Denken jedoch nicht. Vielmehr entwickelte die theologische Fakultät eine besondere Kreativität darin, sowohl den Jansenismus als auch den Antijansenismus in einem „dritten Weg“ zu kombinieren, der beide Lage zufriedenhalten könnte.[72] Diesem Zwischenweg war jedoch kein langes Leben beschert, da sich nun zunehmend die Regierung als der größere Feind der theologischen Überlegungen zeigen sollte. Unter Einfluss neuer aufklärerischen Ideen über die gestalterische Rolle des Staates, versuchte die österreichische Landesregierung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, vor allem unter Kaiserin Maria Theresia und noch mehr unter ihrem Sohn Joseph II., eine Art katholische „Landeskirche“ zu kreieren und wandte sich nun ausdrücklich gegen die Jesuiten und den direkten Einfluss Roms.[73] Durch diese Wendung sah sich die Fakultät in ihrer Rolle als Ausbildungszentrum der katholischen Reformation gefährdet und richtete sie sich nun stärker auf die Kirche aus, also diesmal gegen die Regierung. Da die jansenistische Lehre in Löwen weiterhin implizit akzeptiert wurde, sich nun aber mehr mit der römischen, thomistischen Lehre versöhnte, konnte die Universität wieder auf die Unterstützung Roms rechnen, um ihre Rolle als Ausbildungszentrum für die Mission in benachbarten protestantischen Gebieten zu intensivieren.[74] Somit konnte die abgemilderte Form des Jansenismus weiterleben und in andere Gebiete getragen werden. Zumindest in Bezug auf die „holländische“ Mission des späten 18. Jahrhunderts konnte nachgewiesen werden, dass eine beträchtliche Zahl an Priestern hier von Löwen aus mit jansenistischen Lehren geprägt worden war. Eine weitaus größere Zahl an Priestern in „Holland“ hatte stattdessen zwar ihre Ausbildung in Köln oder Douai (nun französisch) genossen, dass sie aber dennoch jansenistsche Sympathien aufzeigten, ist ein Indiz dafür, dass auch diese Nachbarregionen noch im 18. Jahrhundert vom jansenistischen „Zentrum“ beeinflusst worden waren.[75]
3. Fazit
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Jansenismus in den Spanischen Niederlanden im 17. Jahrhundert als eine belagerte Drehscheibe der Bewegung und der Gegenbewegung anzusehen ist. Sowohl die spanischen Zentralbehörden als auch die Statthalter in Brüssel versuchten auf Geheiß der Päpste zwar gegen die Reformbewegung vorzugehen, jedoch beschränkten sich die Maßnahmen meist auf akademische und kirchliche Disziplinarmaßnahmen in Form von Zensuren, der päpstlichen Verurteilung der jansenistischen Thesen und der Diffamierung einiger Professoren und Kleriker. Eine effektive Bekämpfung in Form einer Entfernung, Verhaftung oder Bestrafung von Personen wurde erst durch das Aussterben der spanischen Habsburger und den Konflikt um das spanische Erbe ermöglicht, der endlich Raum für institutionelle Änderungen bot. Bis dahin konnten örtlichen und regionalen Gremien und Gerichtshöfe Repressionsschritte aufhalten, da sie gegenüber dem König und dem Papst auf Autonomie pochten. Zugleich duldete auch der spanische Königshof nicht viel päpstliche Einmischung in den eigenen Territorien. „Flandern“ bot in diesem Kontext einen Fluchtort für viele emigrierten und verfolgte Franzosen. Es ist anzunehmen, dass die religiöse Heterogenität, der kulturelle sowie handelsoffene Standort und die nur bedingte institutionell-religiöse Kontrolle in den Spanischen Niederlanden zur Attraktivität als Fluchtort beitrug. In seiner weitverbreiteten und geduldeten Präsenz in weiten Schichten der (gebildeten) süd-niederländischen Bevölkerung zeigte der Jansenismus sich vor allem als ein Symptom einer Neigung zur Autonomie und weitgehender Dezentralisierung, die als zentrale Komponente im spanischen Herrschaftssystem in den Niederlanden eingebaut war. Einzig die „harten“ Umbrüche des spanischen Erbfolgekrieges würden eine Umschaltung auf eine härtere Verfolgung ermöglichen. Diese Phase dauerte jedoch nicht lange. Um Ihre Herrschaft als neue Landesherren anerkennen zu lassen, sollten sich die österreichischen Habsburger darauf einlassen, die alten Regierungspraktiken weitgehend fortzusetzen und die örtlichen Privilegien anzuerkennen. Vorerst.
- Von Pauline Resch und Yves Huybrechts
4. Literatur
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5. Gedruckte Quellen
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-Henri Lonchay, Joseph Cuvelier und Joseph Lefèvre (Hrsg.), Correspondance de la Cour d'Espagne sur les affaires es Pays-Bas au XVIIe siècle, Bde. 5 und 6, Brüssel, 1935/1937.
Anmerkungen
[1] SPIERTZ, „Jansenisme”, S. 148.
[2] JUNG, Reformation, S. 217.
[3] JUNG, Reformation, S. 218.
[4] ROEGIERS, „Komplotte“, S. 397.
[5] SCHMITT-MAAß, „Einleitung“, S. 4.
[6] BERNARD, „Le jansénisme“, S. 108.
[7] BERNARD, „Le jansénisme“, S. 108.
[8] KLUETING, „Der bekannte Unbekannte“, S. 39.
[9] Siehe besonders die vierbändige Reihe Jansenistica: studiën in verband met de geschiedenis van het Jansenisme, Mechelen, 1950-1962.
[10] CAMMAERTS, „Receiving approbations”, S. 2.
[11] BERNARD, „Le jansénisme“, S. 107.
[12] SPIERTZ, „Jansenisme”, S. 146.
[13] SPIERTZ, „Jansenisme”.
[14] CEYSSENS, „Diepere gronden“, S. 395-420.
[15] SPIERTZ, „Jansenisme”, S. 148f.
[16] BERNARD, „Le jansénisme“, S. 102.
[17] McMANNERS, Church and Society.
[18] QUAGHEBEUR, „De rol”, S. 265.
[19] QUAGHEBEUR, „De rol”, S. 267.
[20] ROEGIERS, „Komplotte”, S. 398.
[21] SPIERTZ, „Jansenisme”, S. 149.
[22] Ebd.
[23] Ebd.
[24] SLEE, „Jansenius, Cornelius”, S. 76.
[25] ROEGIERS, „Les Intellectuels“, S. 152f.
[26] Zitiert von: ROEGIERS, Jan, „Les Intellectuels“, in: Renaud Gahide und Dirk Vandemeulebroecke (Hrsg.), La Belgique espagnole et la principauté de Liège 1585-1715, Brüssel, 2006, Bd. 2, 133-156, hier S. 151.
[27] SPIERTZ, „Jansenisme”, S. 145.
[28] QUAGHEBEUR, „The university of Louvain“, S. 703.
[29] Siehe: Lonchay/Cuvelier/Lefèvre, Correspondance, Bd. 5, S. 637, Nr. 1684.
[30] BERNARD, „Le jansénisme“, S. 108.
[31] SÁNCHEZ, „La Monarquía hispánica “,S. 525.
[32] AGTEN, „The Impetus”, S. 321.
[33] Philipp IV an Leopold Wilhelm, Madrid, 10. Mai 1647, in: Lonchay/Cuvelier/Lefèvre, Correspondance, Bd. 6, S. 641, Nr. 1485.
[34] SPIERTZ, „Jansenisme”, S. 149.
[35] Siehe: CEYSSENS, La fin, Bd. 1, p. 330.
[36] QUAGHEBEUR, „The university of Louvain“, S. 701-703 u. 711
[37] Siehe: Lonchay/Cuvelier/Lefèvre, Correspondance, Bd. 6, S. 628, Nr. 1454.
[38] Philipp IV an Castel-Rodrigo, Madrid, 18 Januar 1646, in: Lonchay/Cuvelier/Lefèvre, Correspondance, Bd. 6, S. 632, Nr. 1462.
[39] Bd. 6Nr. 1579, S. 686f.
[40] Siehe z.B. Philipp IV an Caracena, Madrid, 13. Juni 1659, in: Lonchay/Cuvelier/Lefèvre, Correspondance, Bd. 6, S. 710, Nr. 1641 und ebd., S. 712, Nr. 1645.
[41] ROEGIERS, S. 152
[42] SYMOENS-RIDDER, „L’enseignement supérieur“, S. 84
[43] ROEGIERS, „Les Intellectuels”, S. 153.
[44] QUAGHEBEUR, „The University of Louvain”, S. 697.
[45] COE, Bd. 6 S. 640, Nr. 1482
[46] Ebd.
[47] Vgl. QUAGHEBEUR, „De rol“, S. 267.
[48] Ebd., S. 268.
[49] Ebd.
[50] CAMMAERTS, „Receiving approbations”, S. 12.
[51] Karl II. an Max Emanuel, Madrid, 10. Juni 1694, in: Lonchay/Cuvelier/Lefèvre, Correspondance, Bd. 5, S. 612, Nr. 1616.
[52] Lonchay/Cuvelier/Lefèvre, Correspondance, Bd. 6, S. 665, Nr. 1531.
[53] Dekret Max Emanuels, Brüssel, 28. November 1695, in: Lonchay/Cuvelier/Lefèvre, Correspondance, Bd. 6, S. 857, Nr. 2041.
[54] BERNARD, „Le jansénisme“, S. 106.
[55] PENNINGTON, Europe in the Seventeenth Century, S. 41.
[56] Vgl. ebd.
[57] Brief Kardinal Nithards an Karl II, Rom, 18. April 1676, in: Lonchay/Cuvelier/Lefèvre, Correspondance, Bd. 6, S. 789, Nr. 1859.
[58] Philipp IV an Gamarra, Madrid, 4. Juni 1664, in: Lonchay/Cuvelier/Lefèvre, Correspondance, Bd. 6, S. 750, Nr. 1653.
[59] Siehe hierzu die Einführung in Sven Dupré [u.a.] (Hrsg.), Embattled Territory. The Circulation of Knowledge in the Spanish Netherlands, 2016, Gent.
[60] MARTENS/DIEK, „Engineers”, S. 105.
[61] MARTENS/DIEK, „Engineers”, S. 95.
[62] RIDDER-SYMOENS, „L’enseignement supérieur“, S. 86.
[63] Ebd., S. 90f.
[64] Ebd., S. 89 und CLOET, „L’Église et son influence“, S. 56f.
[65] CLOET, „L’Église et son influence“, S. 56f.
[66] Philipp IV an Leopold Wilhelm, Madrid 19. April 1651, in: Lonchay/Cuvelier/Lefèvre, Correspondance, Bd. 6, S. 662, Nr. 1528.
[67] ROEGIERS, „Komplotte”, S. 399.
[68] CAMMAERTS, „Receiving approbations”, S. 2.
[69] CAMMAERTS, „Receiving approbations”, S. 12.
[70] CLEMENS, „L’influence“, S. 361.
[71] ROEGIERS, „L’Augustinisme“, S. 348f.
[72] ROEGIERS, „L’Augustinisme“, S. 333.
[73] Siehe hierzu: ROEGIERS, Jan, „De jansenistische achtergronden van P.F. de Neny’s streven naar een ‘Belgische Kerk’”, in: Bijdragen en Mededelingen betreffende de geschiedenis der Nederlanden, Nr. 91, 1976, S. 429-454.
[74] CLEMENS, „L’influence“, S. 363ff. und ROEGIERS, „L’Augustinisme“, S. 360.
[75] CLEMENS, „L’influence“, S. 370.