Wenig im öffentlichen Raum Belgiens erinnert noch an die österreichische Herrschaft des 18. Jahrhunderts. Schloss Laeken, die Residenz des belgischen Königspaars, wurde als Sommerresidenz für die österreichischen Statthalter Maria Christina und Albert von Sachsen-Teschen errichtet (Bild 1). Der Palast ihres Vorgängers, Karl Alexander von Lothringen, beherbergt einen Teil der Königlichen Bibliothek in Brüssel (Bild 2). Das Brüsseler Viertel rund um den Warandepark und die Place Royale/Koningsplein ist ein urbanistisches Großprojekt aus der österreichischen Zeit (Bild 3), während anderswo in Belgien viele Straßen in der gleichen Epoche als Chaussee gebaut wurden. Nur wenige Autofahrer sind sich dessen aber bewusst. Im Allgemeinen ist das 18. Jahrhundert der breiten Öffentlichkeit in Belgien relativ unbekannt. Dieser Zeitraum spielte jedoch eine Schlüsselrolle bei der Genese des heutigen Belgiens.

 

Territorium

Fast das gesamte 18. Jahrhundert lang wurde das heutige Belgien von Wien aus regiert. Die sogenannten Österreichischen Niederlande waren der westlichste Teil der großen Habsburgermonarchie. Die Übermittlung von Depeschen und Weisungen von Wien nach Brüssel sowie von Berichten von Brüssel nach Wien dauerte unter normalen Umständen über eine Woche. Kuriere, die per Staffel unterwegs waren, konnten die Reise in sechs Tagen bewältigen. Die politischen Entscheidungsträger mussten deshalb eine zeitliche Verzögerung berücksichtigen, auch wenn es sich um dringende Fragen handelte. Dies erklärt zum Teil die große Autonomie der Niederlande innerhalb der Monarchie.

Nicht das gesamte belgische Territorium gehörte zu den Österreichischen Niederlanden (siehe Karte). Wesentliche Teile der heutigen Provinzen Limburg, Lüttich und Namur gehörten zum Fürstbistum Lüttich, das die Österreichischen Niederlande territorial in zwei Teile trennte. Darüber hinaus waren das Territorium der Fürstabtei Stablo-Malmedy und das Herzogtum Bouillon autonome Kleinstaaten. Andererseits umfasste das alte Herzogtum Luxemburg, das zu den Niederlanden gehörte, sowohl die heutige belgische Provinz Luxemburg als auch das Großherzogtum Luxemburg. Die Herzogtümer Limburg und Österreichisch Geldern lagen ebenfalls teilweise oder vollständig außerhalb des heutigen belgischen Staatsgebiets, nämlich in Deutschland und den Niederlanden.

Der Übergang von der spanischen zur österreichischen Herrschaft in den Niederlanden war sehr turbulent und die Etablierung der österreichischen Verwaltung war schwierig. 1700 starb der spanische Zweig des Hauses Habsburg mit König Karl II. (1661-1700) aus. In den darauffolgenden Jahren brach der Spanische Erbfolgekrieg aus. Das Ergebnis eines Jahrzehnts des Blutvergießens, in dem sich keine der Kriegsparteien militärisch durchsetzenkonnte, war eine Spaltung des spanischen Reiches. Der Friede von Utrecht 1713 wies die ehemals Spanischen Niederlande und die italienischen Gebiete dem österreichischen Prätendenten, Kaiser Karl VI., zu. Gleichzeitig verzichtete der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. (1638-1715) auf einige Städte wie Ieper und Veurne, wodurch die heutige französisch-belgische Grenze entstand. Erst Ende 1715 und Anfang 1716 konnte Karl VI. die Verwaltung dieser Gebiete tatsächlich übernehmen.

Die Österreichischen Niederlande. Karte © Bart De Wit & Hans Blomme, Fachgruppe Geschichte, Universität Gent, Belgien.

 Wirtschaftswunder

Zu dieser Zeit waren die südlichen Niederlande durch jahrzehntelange kontinuierliche Kriegsführung erschöpft und die Wirtschaft zerrüttet. Darüber hinaus wurden diese Regionen im Rahmen eines geostrategischen Kuhhandels in eine Pufferzone zwischen Frankreich und der Republik der Vereinigten Provinzen (den nördlichen Niederlanden) umgewandelt: die sogenannte "Barriere". In der Praxis bedeutete dies, dass Karl VI. in acht südniederländischen Festungen (siehe Karte) nordniederländische Truppen tolerieren, für deren Unterhalt große Geldsummen nach Den Haag überweisen, hohe Schulden übernehmen und extrem nachteilige Zolltarife akzeptieren musste. 1718 kam es in Brüssel, Mecheln und Antwerpen wegen der wirtschaftlichen Probleme und des Steuerdrucks zu Aufständen.

Gleichzeitig hatten aber einige Kaufleute und Bänker Handelskontakte mit Guinea, Mokka, der Koromandelküste, Bengalen und China initiiert. Dieser Kolonialhandel erwies sich als so erfolgreich – und lukrativ für die erschöpften Staatskassen –, dass der Kaiser seine volle Unterstützung gab und 1722 die sogenannte Ostender Kompanie gründete, benannt nach dem Hafen, von dem aus die Schiffe abfuhren. (Bild 4)

Bild 4. Aktie der Ostender Kompanie vom 2. September 1723. (Gemeinfrei)

Sehr schnell gelang es diesem Unternehmen, den europäischen Teemarkt zu kontrollieren, aber dieser Erfolg enthielt auch die Keime des Niedergangs. Unter dem Druck Englands und der Republik, die ihre eigenen Kolonialunternehmen von einem schwierigen Konkurrenten befreien wollten, löste Kaiser Karl VI. 1731 die vielversprechende Ostender Kompanie auf.

Erst nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg erlebten die Niederlande einen wirtschaftlichen Aufschwung. Eine Kombination mehrerer Faktoren machte dies möglich. Nach 1748 begann eine lange Friedenszeit – eine Erleichterung für die Niederlande, die fast ein Jahrhundert lang das Schlachtfeld Europas gewesen waren. Das "Renversement des Alliances" von 1756, bei dem die Erzfeinde Österreich und Frankreich sich verbündeten, beseitigte auch die militärische Bedrohung durch Frankreich. Maria Theresia weigerte sich weiterhin, der Republik der Vereinigten Provinzen die Barrieresubventionen zu zahlen, und die Zolltarife wurden schrittweise zugunsten der eigenen Wirtschaft angepasst. Darüber hinaus war die Verwaltung in Brüssel mit äußerst talentierten und gewissenhaften Funktionären besetzt, die die öffentlichen Finanzen sanierten und eine wohlüberlegte Wirtschaftspolitik verfolgten. Damit wurde der Kontext für wirtschaftlichen Erfolg geschaffen. Die hohe Bevölkerungsdichte und die strategische Lage der Niederlande trugen zu dieser Blüte bei.

Das einstmals ärmliche Land wurde zu einer äußerst produktiven Region, aus der jedes Jahr große Summen nach Wien flossen. Doch der Erfolg hatte eine Schattenseite. Die soziale Ungleichheit war groß und die Armut nahm enorme Dimensionen an. Ein Proletariat entstand, vor allem auf dem Land, bereits über ein Jahrhundert vor der Herausbildung eines Proletariats von Fabrikarbeitern, für die sich Priester Daens (1839-1907) einmal einsetzen würde.

 

Die Niederlande und die Habsburger

Die Österreichischen Niederlande waren keineswegs ein Einheitsstaat, sondern eine Reihe von autonomen Fürstentümern oder Regionen – im 18. Jahrhundert sprach man üblicherweise von "Provinzen" –, die alle vom Haus Habsburg regiert wurden und seit der Mitte des 16. Jahrhunderts staatlich miteinander verbunden waren. Im Laufe der Jahrhunderte hatten die aufeinanderfolgenden Monarchen in Brüssel (und in geringerem Maße auch in Mecheln) einen zentralen institutionellen Apparat zur Verwaltung dieser Gebiete aufgebaut. Sowohl die politische Einheit als auch die Tatsache, dass es Regierungsgremien mit Zuständigkeit für das ganze Gebiet gab, schuf allmählich ein Gefühl der Einheit über die provinziellen und lokalen Identitäten hinaus.

Obwohl die zentralen Verwaltungsorgane im Namen des Hauses Habsburg regierten, bekamen die Bewohner dieser Regionen ihren Monarchen nur selten zu sehen. Weder Karl VI. (1685-1740) noch Maria Theresia (1717-1780) besuchten die Niederlande. Joseph II. (1741-1790) machte 1781 eine Inspektionsreise und sein Neffe, Franz II. (1768-1835), versuchte zwischen April und Juni 1794, im Kampf gegen das revolutionäre Frankreich, vergeblich die österreichischen Armeen in den Niederlanden anzufeuern; wenige Monate später besetzte Frankreich die Niederlande.

Bild 5. Karl Alexander von Lothringen. Gemälde von Martin van Meytens. Um 1743. (Gemeinfrei)

Ab 1725 hielt jedoch ein Statthalter königlichen Blutes, ein Mitglied der kaiserlichen Familie, als Alter Ego des abwesenden Monarchen in Brüssel Hof. Der berühmteste war zweifelsohne der äußerst populäre Karl Alexander von Lothringen (1712-1780) (Bild 5), der Schwager Maria Theresias, für den 1775 sogar eine Statue auf der Place Royale in Brüssel enthüllt wurde. Die vielen Feierlichkeiten zu Ehren von Karl Alexander verbergen jedoch, dass er allmählich in eine nurmehr zeremonielle Rolle gedrängt wurde. Die bevollmächtigten Minister, darunter Graf Johann Karl Cobenzl (1712-1770), wurden die wahren Machthaber des Landes.

Gleichzeitig versuchte die rechte Hand Maria Theresias, Staatskanzler Wenzel Anton Kaunitz (1711-1794), die autonomen Niederlande enger an den Kern der Monarchie zu binden. 1757 schaffte er den Hohen Rat der Niederlande ab, das beratende Gremium, das die niederländischen Interessen in Wien vertrat und zum Teil aus Südniederländern bestand. Dies war der Vorbote weitaus weitreichenderer Umwälzungen. Maria Theresia modernisierte das Land behutsam und griff nur gelegentlich in die bestehenden Institutionen auf Provinz- und Lokalebene ein. Dies änderte sich unter Joseph II., der in den 1780er-Jahren radikale Reformen der kirchlichen Organisation, des Verwaltungsapparates und der Justizverwaltung durchführte.

Bild 6. "Le Ballayeur de place." Der Brabanter Löwe fegt Soldaten vom Brüsseler Marktplatz. Gravur. Um 1788/1789. (Rechte: Siehe unten)

 

Revolution

Josephs Reformen schadeten den Interessen vieler etablierter Mächte, insbesondere des Klerus, der Landstände und der Körperschaften. Allmählich wollte eine Koalition von Gegnern das österreichische Regime beseitigen. In den Pamphleten, Zeitungen und Stichen, mit denen man die öffentlichen Meinung zu beeinflussen versuchte, war die Rede davon, das österreichische Joch abzuschütteln (Bilder 6 & 7). Ende 1789 vertrieb eine Patriotenarmee die österreichischen Truppen. Die Herrschaft der Habsburger wurde durch eine Republik ersetzt: die "Vereinigten Niederlandischen Staaten", eine dezentrale Föderation der südniederländischen Provinzen (mit Ausnahme Luxemburgs), die kaum ein Jahr bestehen sollte. Traditionell wird von der “Brabanter Revolution” gesprochen. Obwohl der Widerstand in Brabant am heftigsten war, lenkt dieser Begriff aber von der eigenen Dynamik der Revolution in jeder der südniederländischen Provinzen ab. Außerdem gab es sowohl im Herzogtum Limburg als auch in der Grafschaft Flandern royalistische Gegenrevolutionen.

Bild 7a. Medaille der flämischen Landstände anlässlich der Ent-Huldigung Josephs II. 1790, recto. (Rechte: Siehe unten)
Bild 7b. Gleiche Medaille, verso. (Rechte: Siehe unten)

Die Revolution wurde von Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und eigenen Zielen vorangetrieben. Die Hauptfraktion, die sogenannten "Statisten", bestand aus Anhängern einer Gesellschaft, die auf Privilegien für bestimmte Gruppen oder Körperschaften mit Vertretung in den Landständen (niederländisch Staten; französisch états) basierte. Sie wollten eine Rückkehr zum Regime vor den Reformen Josephs II. Ihr charismatischer Führer war Hendrik Van der Noot (1731-1827). Die "Vonckisten" hingegen, benannt nach dem Rechtsanwalt Jan Frans Vonck (1743-1792), waren sozial viel heterogener. Sie gruppierten vor allem Personen, die bisher von der Vertretung in den Landständen ausgeschlossen waren. Sie wollten eine breitere politische Vertretung der Bevölkerung. Nachdem die Truppen des gemeinsamen Feindes Joseph II. vertrieben worden waren, traten die gegenseitigen Widersprüche der Statisten und Vonckisten hervor. In den meisten Regionen konnten sich die Statisten durchsetzen. Historiker sehen die Revolution als Vorbote des späteren unabhängigen Belgiens. Es ist kein Zufall, dass die Farben der belgischen Flagge auch die Farben der von den Revolutionären angesteckten Kokarden (Bild 8) und der Wappen der meisten niederländischen Fürstentümer sind. 

Bild 8. Kokarde der "Brabanter Umwälzung", ca. 1789/1790. (Rechte: Siehe unten)

 

Vermächtnis der österreichischen Zeit

Die österreichische Zeit hatte in vielerlei Hinsicht einen unverkennbaren Einfluss auf Belgien. Im späten 18. Jahrhundert wurden die Grundlagen für die industrielle Revolution gelegt, die das kleine Land im 19. Jahrhundert reich machen sollte. Das kulturelle Nationalgefühl entwickelte sich während der Revolution gegen Joseph II. langsam zu einer politischen Kraft. Das Adjektiv "belgique" (als Übersetzung von "niederländisch") entwickelte sich zum heutigen Ländernamen. Kulturell gesehen sind die Königlichen Akademien Belgiens die Erben der 1772 unter Maria Theresia gegründeten Académie impériale et royale des sciences et belles-lettres de Bruxelles. Und schließlich würde die Französisierung der Elite in Brüssel und der Verwaltung in weiten Teilen des Landes während des 18. Jahrhunderts zu den späteren Brüchen zwischen den Sprachgemeinschaften führen, die die belgische Politik bis heute beherrschen. Mit anderen Worten: die österreichische Ära hat Belgien stark geprägt, obwohl dies in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist.

- Dr. Klaas Van Gelder, Universität Gent -

 

Bildrechte:

Bild 6: Unbekannter Künstler, ca. 1787/1789 © Rijksmuseum. Link: https://www.rijksmuseum.nl/nl/collectie/RP-P-OB-77.668.
Bild 7:  Theodore Van Berckel, De Staten Van Vlaanderen Op Het Afschudden Van Het Oostenrijks Juk. S.l.: s.n., 1790 © Universiteitsbibliotheek Gent. Link: https://lib.ugent.be/catalog/rug01%3A001409665/items/800000088925.
Bild 8: Unbekannter Hersteller, ca. 1789/1790 © Koninklijke Oudheidkundige Kring van het Land van Waas. Link: https://erfgoedinzicht.be/collecties/detail/bc561f80-4632-56c3-8daa-fd26a1e2edc3