Die Geburt der belgischen Fahne

Die belgische Revolution

Als Napoleon 1815 endgültig besiegt worden war, gestaltete der Wiener Kongress die politische Landschaft Europas neu. Die südlichen Niederlande und das ehemalige Fürstbistum Lüttich, zusammen ungefähr das Gebiet des heutigen Belgiens, wurden somit Teil des Vereinigten Königreichs der Niederlande und standen unter der Herrschaft ihres Königs, Wilhelm I. von Oranien-Nassau. Von Beginn an stellt sich diese Verbindung als komplex heraus: Der Norden und der Süden divergieren auf mehreren Ebenen, besonders auf religiöser (Protestanten und Katholiken), sprachlicher (niederländisch- und französischsprachige) oder wirtschaftlicher Ebene (Handelsnation, die jedoch verschuldet ist, und ein aufstrebendes Industriegebiet, das stark besteuert wird).

Während der eine Teil der Eliten und des Bürgertums zufrieden mit den neuen Machthabenden war, war das für den Rest der Bevölkerung nicht der Fall. Tatsächlich wollte sich Wilhelm I. im Süden eine solide Basis schaffen und unterstützte daher massiv das Industrie-, Handels- und Finanzbürgertum sowie den Transport- und Bildungssektor. Diese Gruppen standen ihm daher eher wohlwollend gegenüber. Auf der anderen Seite missfiel seine Politik des aufgeklärten Souveräns, die insbesondere eine verstärkte Kontrolle des Staates über die religiöse Ebene (Lehre, Beschlagnahme und Verkauf von Kirchengütern, Pluralismus, etc.) implizierte, zunehmend dem Klerus und den liberalen Katholiken, die sich Religions- und Lehrfreiheit wünschen. Auch eine weitere Gruppe war unzufrieden mit der Politik des neuen Königs: Es handelte sich um die Liberalen, eine junge politische Strömung auf die der Konservativismus dieses Restaurationsregimes stößt.

Innerhalb dieser Gruppen entstand Opposition, die sich zuerst in der Presse und in Petitionen manifestierte. Die Regierung reagierte darauf mit harter Repression, was jedoch nur mehr Protest und Widerspenstigkeit verursachte, was die Beziehungen zwischen Norden und Süden noch mehr verkomplizierte und das sogar bis in die Sphäre der Minister. Diese wachsenden Spannungen begünstigten die Opposition und führten letztendlich zur revolutionären Bewegung von 1830.[1] Während des Sommers radikalisierte sich die Bewegung. Sie wurde zuerst unter den Arbeitern, Handwerkern, Arbeitslosen und dem Servicepersonal populär; die eintretende Wirtschaftskrise und die daraus resultierenden Unzufriedenheiten verbreiten revolutionäre Ideen in verschiedenen Milieus. Es wurde begonnen, Aktionen zu organisieren und sogar ehemalige französische Soldaten schlossen sich den Revolutionären an (in Paris war gerade das restaurative Regime der Bourbonen gestürzt worden).[2]

Die erste große Demonstration entstand Ende August 1830 in Brüssel, direkt nach einer Aufführung der Oper „La Muette de Portici“, die Freiheitsliebe und Revolte gegen Tyrannen verherrlicht. Eine aufgebrauchte Meute zog durch die Straßen Brüssels und zerstörte die Häuser von Bürgern, die dem niederländischen Staat bekanntlich treu waren. Dieses Ereignis schockte das Bürgertum, das zwar auch Gründe zur Unzufriedenheit hatte, aber der Regierung insgesamt doch gemäßigter gegenüberstand. Als Folge der Unruhen stellte es eine bewaffnete Miliz auf. Ihre Hauptforderung war nun die administrative Trennung des Nordens und des Südens, d. h. ungefähr der heutigen Niederlande und Belgiens. Angesichts der Weigerung des Königs weitete sich der Aufstand nur aus und erfasst das gesamte Gebiet. Am 23. September marschierte die niederländische Armee unter der Führung von Prinz Frederik in Brüssel ein. Sie stieß  auf den Widerstand der verschiedenen Gruppen von Revolutionären, die von der Bürgergarde koordiniert werden. Es wurden Barrikaden errichtet und es kam zu Zusammenstößen im Stadtzentrum, insbesondere rund um den Königlichen Park. Nach einigen Tagen zogen sich die niederländischen Truppen in der Nacht vom 26. Auf den 27. September zurück, um zu großes Blutvergießen und eine Eskalation des Aufstands zu vermeiden. Eine Woche später, am 4. Oktober 1830, verkündete eine provisorische Regierung die Unabhängigkeit der neuen Nation.[3]

Abb. 1: "Épisode des journées de Septembre 1830" von Gustave Wappers, zu sehen im Königlichen Museum für Schöne Künste in Brüssel (Public Domain)

Neue Nation, neue Flagge

Während der Revolution waren verschiedene Flaggen unter den Truppen zu bemerken. Französische Flaggen, Zeichen eines möglichen Anschlusswillens, waren vor allem in den großen Städten wie Lüttich, Verviers und Namur präsent.[4] Andere Städte verwendeten ihre eigenen Farben, in Brüssel und anderswo werden die Farben Brabants verwendet (schwarz, gelb, rot). Die Bürgerwehr übernimmt ebenso diese Farben, zugleich als Nationalgefühl und um die Idee eines Anschlusses an Frankreich abzulehnen. Lucien Jottrand, Rechtsanwalt, und Edouard Ducpétiaux, Journalist, kreierten auf  Basis dieser Farben die erste belgische Flagge, bestehend aus drei horizontalen Banden (rot oben, dann gelb, dann schwarz). Diese Flagge ist auf dem heroischen Gemälde oben zu sehen, hochgehalten von dem Mann, der auf dem Steinhaufen steht.[5]

Warum aber die Wahl dieser Farben von Brabant? Um dies zu erklären, ist ein Blick zurück in die 1780er Jahre zu werfen. Folgend auf den Tod der Kaiserin Marie-Thérèse wurde ihr Sohn Joseph II. Landesherr der österreichischen Niederlande, auch die südlichen Niederlande genannt (das zukünftige belgische Territorium). Sein Hauptanliegen war es, im Sinne des „aufgeklärten Despotismus“ eine zentralistische Politik zu führen. Die forcierten Reformen in mehreren Bereichen, die er zu diesem Zweck vorsah, führten schnell zu Unzufriedenheit. Erstens folgte er nicht dem üblichen Verfahren der Konsultation der Generalstände, was heftige Reaktionen auslöste. Zweitens sah er auf religiöser Ebene eine stärkere staatliche Kontrolle über die Kirche sowie die Aufhebung bestimmter religiöser Häuser und die Beschlagnahmung und den anschließenden Verkauf ihrer Güter vor. Schließlich führte er im Bereich der Justiz eine neue hierarchische Organisation ein, die die bestehenden Gerichtsbarkeiten ersetzen soll, die abgeschafft werden. Diese Entscheidung, ohne Abstimmung mit den Ständen getroffen, die ihre traditionellen Institutionen umkehrt, ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt und zum auslösenden Element der „Brabanter Revolution“ wurde (1789/1790).[6]

Diese Revolution führte zur Unterzeichnung einer Unionsakte zwischen neun der zehn Staaten, aus denen die Österreichischen Niederlande bestanden: Sie erlangten ihre Unabhängigkeit und bildeten die neuen „Vereinigten Belgischen Staaten“. Diese Unabhängigkeit war jedoch nur von kurzer Dauer; im Dezember 1790 kehrte die österreichische Armee verstärkt zurück und die kaiserlichen Regenten übernahmen wieder die Kontrolle über das Land..[7]

Denn während die erste den Namen „Brabançonne“ trägt, weil Brabant das neuralgische Zentrum war, kann sie im weiteren Sinne als belgisch betrachtet werden, weil sie zur Gründung der Vereinigten Belgischen Staaten führte; diese neue Nation trug bereits den Namen Belgien und ihre Bewohner sahen sich bereits als „Belgier". Die Anführer dieser Revolution trugen auch Kokarden mit den Farben, die später als „belgisch“ bekannt wurden. Dies kommt zu den Ähnlichkeiten auf der inhaltlichen Ebene hinzu (Aufstand gegen eine fremde Macht und ihre zentralistischen Reformen). (Stengers 1992: 325-326)

Die Flagge der belgischen Revolution zeigt also die Farben, die früher das Wappen des ehemaligen Herzogtums von Brabant ausmachten, mit „einem goldenen Löwen (gelb) auf Sandboden (schwarz), Klauen und Zähnen im Maul (rot)“.[8] Später werden die Streifen vertikal arrangiert werden, um sich von der Fahne des Deutschen Bundes abzugrenzen. Diese Flagge ist offiziell von der Verfassung anerkannt, die roten und schwarzen Streifen werden nur wenige Tage später vertauscht.[9]

Was sagt die Verfassung dazu?

Der Artikel der belgischen Verfassung, der die Nationalflagge betrifft, wurde, seit er geschrieben wurde, nie geändert. So ist dort euch heute noch zu lesen, dass „Die belgische Nation  […] die Farben rot, gelb und schwarz [wählt] und als Wappen des Königreichs den belgischen Löwen mit dem Wahlspruch: L’UNION FAIT LA FORCE (=EINIGKEIT MACHT STARK).ʺ[10] Das macht Belgien folglich zum einzigen Land weltweit, dessen Flagge nicht der Reihenfolge folgt, die in der Verfassung vorgegeben ist.[11] 

Die belgische Fahne heute

Mehrmals im Jahr muss die belgische Flagge verpflichtend an öffentlichen Gebäuden gehisst werden. Zusätzlich zu diesen Daten werden die Flaggen zudem zu Besuchen ausländischer Staatsoberhäupter oder bei bestimmten Zeremonien gezeigt. Die Tabelle unten zeigt die offiziellen Daten der Beflaggung der öffentlichen Gebäude.[12]

Offizielle Daten Ereignis
20. Januar Geburtstag von Königin Mathilde
17. Februar Gendenken an verstorbene Mitglieder der königlichen Familie
7. April Ehrung belgischer Militärangehöriger, die auf Friedensmissionen verstarben
15. April Geburtstag von König Philippe
1. Mai Tag der Arbeit
5. Mai Tag des Europarats
8. Mai Sieg der Alliierten 1945 und Ende des Genozids
9. Mai Europatag
6. Juni Geburtstag von König Albert II.
2. Juli Hochzeitstag von König Albert II. und Königin Paola
21., 22., und 23. Juli Nationalfeiertag
11. September Geburtstag von Königin Paola
24. Oktober Tag der Vereinten Nationen
11. November Waffenstillstand von 1918
15. November Festtag des Königs
4. Dezember Hochzeitstag von König Philippe und Königin Mathilde
Bewegliches Datum Wahl des europäischen Parlaments

Anmerkungen

[1] WITTE, ʺLa révolution".

[2] Ibid.

[3] N.N., ʺL‘insurrectionʺ.

[4] PIRENNE, Histoire, p. 27.

[5] LOGIE, De la régionalisation.

[6] COURSIN, „Un document", p. 125-143.

[7] N.N., „La République“.

[8] N.N., ʺLes drapeaux".

[9] LOGIE, De la régionalisation.

[10] ʺDe Belgische Grondwet".

[11] BOUCKAERT, ʺLe drapeauʺ.

[12] N.N., ʺLe pavoisement des édifices publicsʺ, in: Belgium.be – Informations et services officiels, en ligne.

 

Quellen

BOUCKAERT, Celine, ʺLe drapeau belge est à l’envers depuis 183 ansʺ, in: Le Vif, 20 juni 2014, URL: https://www.levif.be/belgique/le-drapeau-belge-est-a-lenvers-depuis-183-ans/ (9 juni 2023)

COURSIN, Régis, „Un document inédit sur l’entrée du Brabant en révolution“, in: Annales historiques de la Révolution française, Nr. 412, 2023, p. 125-143.

ʺDe Belgische Grondwetʺ, in: Belgische Senaat, URL: https://www.senate.be/doc/const_fr.html (9 juni 2023)

LOGIE, Jacques, De la régionalisation à l’indépendance. 1830, Paris, Editions Duculot, 1980.

PIRENNE, Henri, Histoire de Belgique: De la révolution de 1830 à la guerre de 1914, Lamertin, 1932.

STENGERS, Jean, „La révolution brabançonne, une révolution nationale ?“, in: Bulletins de l’Académie Royale de Belgique, 1992, p. 323-369.

WITTE, Els, ʺLa révolution belge de 1830-1831ʺ, in: Encyclopédie d’histoire numérique de l’Europe [online], URL: https://ehne.fr/fr/node/21720 (20 juni 2023)

N.N., „La République des Etats-Belgiques-Unis“, in: Connaître la Wallonie, URL: https://connaitrelawallonie.wallonie.be/fr/histoire/atlas/la-republique-des-etats-belgiques-unis-1790 (20 juli 2023)

N.N., „La révolution brabançonne“, in: Histoire des Belges, URL: https://www.histoire-des-belges.be/au-fil-du-temps/temps-modernes/revolution-brabanconne (20 juli 2023)

N.N., ʺLes drapeaux de la Belgiqueʺ, in: Belgium.be – Informations et services officiels, URL: https://www.belgium.be/fr/la_belgique/connaitre_le_pays/la_belgique_en_bref/symboles/drapeaux (9 juni 2023)

N.N., ʺL‘insurrectionʺ, in: Belgium.be – Informations et services officiels, https://www.belgium.be/fr/la_belgique/connaitre_le_pays/histoire/la_belgique_a_partir_de_1830/origine_et_essor/revolution_belge (12 juni 2023)

 

Bilder

Episode de la révolution de 1830 van Gustave Wappers, Public Domain.

Tricolore van 1830 met de horizontale verdeling van de strepen, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=867196

Wapenschild van het Hertogdom Brabant, reproductie, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=28854585

Drapeau d’Etat de la Belgique. https://www.justifit.be/b/drapeau-belge-a-lenvers/