Die frankophone Literatur der Demokratischen Republik Kongo

Folgender Beitrag von Dr. Julien Bobineau bietet einen schematischen Überblick über die frankophone Literaturgeschichte DR Kongo und versucht, die allgemeinen Entwicklungen in den drei großen literarischen Gattungen der Narrativik, des Dramas und der Lyrik im 20./21. Jahrhundert nachzuzeichnen.

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Hinweis: Dieser Aufsatz ist ein Auszug aus folgendem Sammelband: Bobineau, Julien; Gieg, Philipp; Lowinger, Timo (Hg.): Einführung in die Landeskunde der Demokratischen Republik Kongo, Berlin: Frank & Timme 2022.

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Narrativik
  3. Drama
  4. Lyrik
  5. Aktuelle Herausforderungen
  6. Literatur
  7. Anmerkungen

1. Einleitung

Die Literaturgeschichte der Demokratischen Republik (DR) Kongo bietet neben einer Vielzahl an oralen Literaturformen und Werken, die in einer der afrikanischen Sprachen verschriftlicht sind, ein reiches Korpus an frankophonen Literaturen. Die ersten literarischen Texte von (zunächst ausschließlich männlichen)[1] kongolesischen Autoren entstehen zu Beginn der 1930er Jahre, analog zur Verbreitung der populären Malerei durch kongolesische Künstler:innen.[2] Ein koloniales Zensursystem und das flächendeckend wenig ambitionierte koloniale Bildungssystem führen, gemeinsam mit anderen Ursachen, erst ab der zweiten Hälfte der 1940er Jahre zu dem durchaus komplexen Problem der späten Bildung einer indigenen Bildungselite. Gleichzeitig wird dieser intellektuellen Elite, den sogenannten évolués, Rezeption und Produktion von literarischen, wissenschaftlichen oder journalistischen Werken durch die Kolonialverwaltung erschwert: Bis zur Unabhängigkeit der belgischen Kolonie benötigen kongolesische Autor:innen die Zustimmung und ein hiermit verbundenes Vorwort einer europäischen Persönlichkeit, um von der Kolonialverwaltung die Druckerlaubnis für ein Buch zu erhalten. Eine erste Hochphase erlebt die kongolesische Literatur unmittelbar nach der Unabhängigkeit (1960) in den Jahren zwischen 1965 und 1975, die zum einen durch die Neugründung des Staates Zaïre (1971) und dem damit verbundenen Nationalismus sowie zum anderen durch eine Phase der politischen Enttäuschung motiviert ist. In den 1980er Jahren wird die kongolesische Literatur vorwiegend im Ausland geprägt, da eine Vielzahl an Schriftsteller:innen und Intellektuellen das Exil in Europa oder in den USA wählen, um der anhaltenden wirtschaftlichen Krise und der totalitären Zensur durch die Geheimdienste des zaïrischen Staatspräsidenten Joseph-Désiré Mobutu (1930-1997) zu entfliehen. In den 1990er Jahren stürzt die kongolesische Literaturszene in eine Periode der Lethargie, die ihren Ursprung in dem immer stärker werdenden politischen und wirtschaftlichen Niedergang des Landes, den Folgen des Rwanda-Konfliktes (1994) und den späteren Bürgerkriegen (ab 1996) findet. Auch wenn sich vielfältige Interessenverbände und Organisationen kongolesischer Schriftsteller:innen wie bspw. die Union des écrivains congolais um eine Verbesserung der Situation bemühen, sieht sich die kongolesische Literatur heute mit besonderen Herausforderungen konfrontiert: Neben der Frage nach der Wahl einer ‚geeigneten‘ literarischen Sprache und der prekären wirtschaftlichen Situation, in der sich kongolesische Autor:innen und Verleger:innen befinden, sorgt sich der Staat kaum um eine kulturpolitische Förderung der geschriebenen Künste.

 

2. Narrativik

Im Jahre 1949 verfasst Paul Lomami Tshibamba die symbolistische Erzählung Ngando, die gemeinhin als ‚Urtypus‘ der frankophonen Erzählliteratur des Kongo gilt. Ngando vereint mythische und reale Elemente der afrikanischen Oralliteratur, wenn Tshibamba die Geschichte eines Reptils erzählt, das von Hexern gesteuert werden kann:

Qui ne le connaît, ce saurien aux pattes palmées, au corps lourd et couvert d’écailles aussi dures que le roc; ce gigantesque lézard, vivant aisément aussi bien sur terre que sous l’eau, ‚ngando‘ enfin, le crocodile, animal malfaisant qui se prête toujours au seul service de l’homme contre l’homme, en servant de véhicule ‚sous-marin‘ à ceux qui ont recours à ses offices homicides…

Les féticheurs et les ‚ndoki‘ tout particulièrement sonst les usagers familiers de ‚ngando‘. Ils entrent dans sa carcasse et se font transporter sous l’eau dans les localités éloignées pour ravir quelqu’un et se font ramener avec leur butin humain à leur point de départ.

Parfois, dociles à des groupes d’initiés, les ‚ngando‘ remplissent seuls des missions dangereuses et ravissent des êtres humains pour les amenere à ceux qui les ont commissionnés (Lomami-Tshibamba 1949: S.27).

Erst später folgen weitere narrative Texte, darunter Le mystère de l’enfant disparu (1962) von Timothée Malembe als die Geschichte eines jungen, kongolesischen Protagonisten im Vorfeld der Unabhängigkeit. Thomas Kanza veröffentlicht mit der autobiographischen Erzählung Sans Rancune (1965) einen der ersten kritischen Romane, in welchem er das ambivalente Verhalten der Belgier:innen in ihrem Heimatland und in der Kolonie kontrastiert. Gabriel Ilunga-Kabulus Roman Journal d’un revenant (1968) übt hingegen Kritik an den Politiker:innen der DR Kongo, welche die politischen Geschicke während der Ersten Republik (1960-1965) leiten. Ilunga-Kabulus Roman gilt als Vorläufer einer kongolesischen Strömung der frühen 1970er Jahre, die sich am Strukturalismus orientierte: Innerhalb des sogenannten Konkretismus, der international bereits ab den 1950er Jahren in der Malerei, der Architektur und der Poesie als verdichtende, künstlerische Haltung zu beobachten ist, steht das Zeichen an sich und in seiner allumfassenden Erscheinung im Vordergrund, während die symbolische Repräsentation und die Mehrdeutigkeit der Sprache in den Hintergrund rücken.

Zu den ersten Vertretern des kongolesischen Konkretismus zählt Zamenga Batukezanga, der in seinem Prosa-Text Les hauts et les bas (1971) das Verhalten seiner kongolesischen Landsleute bei der Nachahmung von Europäer:innen in Bezug auf Geld und Konsum karikiert, wohingegen er seine späteren Romane in folkloristische Kontexte einbettet. Zur gleichen Zeit formiert sich eine antikonkretistische Gegenbewegung, der sich auch Yves-Valentin Mudimbe anschließt. Mudimbes Erzähltexte sind von der Schilderung der instabilen Periode unmittelbar nach der Unabhängigkeit des Kongo geprägt: Sowohl Entre les eaux (1973) im Stile des französischen Nouveau Roman, als auch der Kriminalroman Le bel immonde (1976) handeln von der Thematik des Bürgerkrieges und des gewaltvollen Widerstandes, während Mudimbe in Shaba deux (1989) die kriegerische Shaba-Invasion im heutigen Katanga verarbeitet. 1980 migriert Mudimbe in die USA, lehrt dort ab 1988 als Literaturwissenschaftler an der Duke University (Durham) und gilt seither als Exilliterat. Seine einflussreiche kulturwissenschaftliche Studie The Invention of Africa (1988) untersucht die Konstruktion von Afrika-Bildern und gilt in den Postcolonial Studies als Schlüsseltext. Bereits in den 1970er Jahren avanciert Georges Ngal zu Mudimbes bedeutsamsten Kritiker. In seinem Roman Giambatista Viko ou Le viol du discours africain (1975) stellt Ngal einen ‚europäisierten‘ Intellektuellen aus Afrika den Verfechtern der afrikanischen ‚Traditionen‘ gegenüber. Giambatista Viko, ein aufstrebender Universitätsprofessor aus Afrika und zugleich ambitionierter Schriftsteller, wird aufgrund eines vom ihm verfassten Romans beschuldigt, die afrikanische Oralkultur entweiht zu haben. Vor einem Ältestengericht muss sich der Protagonist und Ich-Erzähler schließlich verantworten. Im Verlauf des Prozesses versucht der entfremdete Giambatista Viko, seine verloren geglaubte Identität neu zu verorten. Gemeinsam mit seinem Doppelgänger Niaiseux reflektiert Viko die Stellung des Menschen in der Welt, die Rolle der Vernunft und den Zustand einer Gesellschaft, die durch den Kolonialismus geprägt wurde:

[Niaiseux:] - Notre roman ne serait-il pas un sacrement d’initiation à ce retour à la nature, à l’eau claire, au chant des oiseaux, à la brise du soir caressant les feuilles d’arbres, courbant l’herbe verte ! Ah ce retour à la nature que la culture occidentale recherche tant ! Ce serait une manière de leçon ? Nous réconcilier avec l’organique, le corps, la nature ; nous réintégrer dans l’univers dont raison et culture nous avaient séparés.
[Giambatista Viko:] - Mais pour que la nature renaisse en quelque sorte en nous, est-il nécessaire de tuer l’humain ?

- Oui, ressusciter la bestialité pour que l’homme se redécouvre : retrouve sa vraie figure !

- Qui réside dans l’équilibre entre la raison et la nature.

- Le prix de cette renaissance est le service funèbre de la raison ! (Ngal 1984: S.126-127).

Zum Archetypus des ‚europäisierten‘ Intellektuellen zählt auch der im damaligen Léopoldville geborene Henri Lopes. Lopes verbringt seine Schul- und Studienzeit in Brazzaville, in der Zentralafrikanischen Republik sowie in Frankreich, ehe er in der Politik und Verwaltung des Kongo-Brazzaville u.a. als Außen- und Premierminister tätig wird. Als Autor veröffentlichte Lopes mehrere Romane, darunter Sans tam-tam (1977), Le chercheur d’Afriques (1990) und Le Pleurer-rire (1982). In Le Pleurer-rire leidet der Erzähler, ein Haushofmeister, unter der Geschichte seines Herren, einem Diktator, der durch einen Putsch an die Macht gekommen ist und totalitär über sein Land in Subsahara-Afrika regiert. Lopes reflektiert hier die gewaltvollen Spuren, welche die europäische ‚Kultur- und Zivilisierungsmission‘ während der Kolonialzeit in Zentralafrika hinterlassen hat und führt dem Leser die europäische Doppelmoral bei der Unterstützung von afrikanischen Diktatoren vor. Später folgen die Romane Dossier classé (2002), Une enfant de Poto-Poto (2012) und Le Méridonal (2015).

Ein weiterer Romancier und Dichter, der wie Lopes insbesondere im Kongo-Brazzaville wirkt, die Literaturszene des Kongo-Kinshasa dennoch weitreichend beeinflusst, ist Tchicaya U Tam’si. Sein umfangreiches Werk umfasst Gedichtzyklen, Dramen und Romane, darunter eine miteinander verbundene Roman-Trilogie. Diese Trilogie, bestehend aus Les Cancrelats (1980), Les méduses ou Les orties de la mer (1982) und Les Phalènes (1984), gilt als einflussreichste Arbeit U Tam’sis, in welcher sich der Autor der kolonialen Vergangenheit, der Brutalität des Kolonialsystems und der Ausbreitung der christlichen Religion aus Sicht der Afrikaner:innen widmet. In seinem früheren Roman Le Zulu, suivi de Vwène Le Fondateur (1977) verarbeitet U Tam’si zudem den in Subsahara-Afrika weitreichend bekannten Shaka-Stoff.

Auch der im Congo belge geborene Sony Labou Tansi wirkt wie Lopes und U Tam’si in beiden kongolesischen Staaten.[3] Neben Dramen und Gedichten verfasst Labou Tansi eine Reihe an narrativen Texten, darunter den regimekritischen Roman L’Anté-peuple (1979 bzw. 1983). Angestoßen durch diese Erzählung verlagert sich der Blickwinkel der narrativen Texte mit den Romanen von Pius Ngandu Nkashama und fokussiert das System der mobutistischen Unterdrückung: Nkashama wird im Rahmen eines Professoren-Streiks an der Universität Lubumbashi inhaftiert und verarbeitete diese Erlebnisse in seinen Romanen Le Pacte du sang (1984) und La Mort faite homme (1986). In der Folge ist in der Mitte der 1980er Jahre eine aufkeimende Kritik an Mobutus Kleptokratie in der kongolesischen Erzählliteratur zu beobachten, wobei die Vielzahl der kritischen Romanciers aus dem Exil im Ausland ‚heraus schreiben‘: Antonio Junior Nzau thematisiert in Traite au Zaïre (1984) die Auswirkungen der Korruption, während Lumuna Sando in Lovanium (1982) die Niederschlagung der Studentenproteste im Jahre 1969 in der Hauptstadt Kinshasa beschreibt. Auch Thomas Mpoyi-Buatu beteiligt sich in der Hochphase der kulturellen Unterdrückung durch das Mobutu-Regime und dem gleichzeitigen Niedergang der zaïrischen Wirtschaft an einem kritischen Diskurs über das korrupte System. Der Roman La re-production (1986) erzählt die Kolonialgeschichte des Kongo und setzt sie mit der neokolonialen Diktatur in Zaïre unter Mobutu in Bezug. Ähnlich verfährt der im Kongo-Brazzaville geborene Journalist, Musiker und Autor Sylvain Bemba in seinem utopischen Roman Léopolis (1984), in welchem er die Geschichte der Kolonialzeit und der Unabhängigkeitsbewegung in die historische Gegenwart projiziert.

Der kongolesische Roman der frühen 1990er Jahre beschäftigt sich weiterführend mit der Frage nach der kolonialen ‚Schuld‘: Romanciers wie Achille Ngoye mit Kin-la-joie, Kin-la-folie (1993), Maguy Kabamba mit La dette coloniale (1995) und Charles Djungu-Simba mit Des milliers de vies au taux du jour (1996) stellen subtile Fragen nach einer materiellen und moralischen Verantwortung Belgiens für die koloniale Ausbeutung. Im Anschluss an den Ausbruch der beiden Kongo-Kriege (1996/97 und 1998-2003) dominieren narrative Zeugnisse jener kriegerischen Auseinandersetzungen wie in Eddie Tambwe Kitenge bin Kitokos En quête d’une ombre (2001). Mit Pie Tshibanda verlagert sich die Aufmerksamkeit auf die Situation der kongolesischen Diaspora in Belgien: Der äußerst erfolgreiche, autobiographische Roman Un fou noir au pays des blancs (1999) erzählt die Geschichte des Journalisten Masikini wa Mungu, der Mobutus Zaïre aus politischen Gründen verlassen muss und sich im belgischen Exil niederlässt. Dabei werden inter- und transkulturelle Probleme verarbeitet, mit denen sich der Protagonist in Europa konfrontiert sieht, wie bspw. Rassismus und die Suche nach der eigenen Identität:

Relatant pour lui-même ses premiers jours dans un village du Brabant wallon, Masikini avait écrit dans son journal: ‚Pour une fois que j’avais un logement indépendant en Europe, le silence autour de moi me fit très mal. Habitué à entendre les querelles de mes enfants, j’avais du mal à supporter ce calme qui accentuait ma solitude […].‘ Un autre sentiment qui avait tenaillé Masikini fut celui de l’anonymat: on aurait dit qu’il avait perdu jusqu’à son nom propre. Désormais, on le désignerait par un nom commun! On dirat à son passage: ‚T’as vu le Black qui passe?‘… ‚le nègre‘… ‚l’étranger‘! En le croisant, une vieille dame tiendrait fermement son sac à main. Une jeune fille le saluerait surtout pour conjurer le mauvais sort.

Masikini se fit de son milieu une image tout à fait négative. Il fait froid en Europe, les gens y sont toujours pressés, ils ont besoin de silence. S’il fallait payer par les armes la quiétude, certains n’hésiteraient pas (Tshibanda 2004 [1999]: S.56-57).

Tshibanda entwickelt auf Basis der Handlung eine komödiantische Stand-Up-Performance, im Rahmen derer der Autor selbst bisweilen weltweit in über 2.500 Inszenierungen aufgetreten ist. Heute zählen Koli Jean Bofanes Mathématiques congolaises (2008), Congo Inc. (2014) und La Belle de Casa (2018) zu den bedeutsamsten kongolesischen Erzählungen, während junge Autor:innen aus der DR Kongo – wie bspw. Fiston Mwanza Mujila mit seinem viel beachteten Debütroman Tram 83 (2014) – internationales Aufsehen erregen.

3. Drama

In der Geschichte des kongolesischen Dramas spielt insbesondere das Laientheater aufgrund seines Informations- und Erziehungscharakters sowie der mündlichen Tradierung eine besondere Rolle. Viele dieser populären Dramen werden ausschließlich mündlich als Bühnentext aufgeführt, ohne dass der Schrifttext als Publikation erscheint. Die Geburtsstunde des modernen kongolesischen Theaters wird in die 1920er Jahre datiert, nachdem es zuvor von 1890 bis 1920 v.a. von den Motiven der kirchlichen Missionierung geprägt war, die versuchten, das christliche Dogma mit Hilfe des Theaters zu verbreiten. Unter der Leitung belgischer Missionare gründen sich alsbald vereinzelt Theaterensembles, z.B. die Ligue du folklore congolais (LIFOCO), die folkloristische Themen[4] in der Form des europäischen Dramas auf die Bühne bringen. Der Rückbezug auf die Folklore im Sinne einer sichtbaren Überlieferung eigener Traditionen lässt sich hierbei als kulturelle Auflehnung gegen die koloniale Fremdherrschaft werten. Dieser Aspekt der Auflehnung manifestiert sich verstärkt im kongolesischen Theater der 1950er Jahre, als der Ruf nach der politischen Unabhängigkeit des Landes und der faktischen Beendigung des Kolonialismus stetig größer wird. Als bedeutsamste Dramatiker dieser Zeit zeichnen sich der spätere Erzbischof von Kinshasa, Joseph-Albert Malula, sowie Justin Disasi, L.S. Bondekwe und Albert Mongita aus, die allesamt aus dem klerikalen Umfeld stammen. Die Inhalte jener Autoren, die mit ihren Dramen das sogenannte théâtre autochtone begründen, unterscheiden sich dabei grundlegend von den Texten der ersten kongolesischen Theaterensembles unter belgischer Leitung, denn die äußeren und inneren Strukturen des modernen kongolesischen Theaters orientieren sich maßgeblich an der Lebenswirklichkeit der kongolesischen Rezipient:innen. Insbesondere in der Mitte der 1960er Jahre ist eine breite Wirkung und eine große Popularität des kongolesischen Theaters zu beobachten, denn im Gegensatz zu den Vertriebsstrukturen in Lyrik und Narrativik ist die Publikation des Schrifttextes im Drama nicht zwangsläufig nötig, da insbesondere das populäre Drama mittels Aufführungen verbreitet werden kann.

Ab der Mitte der 1960er Jahre politisiert sich das Drama zunehmend mit Stücken wie Un nègre au pouvoir (1966) von Marcel-Joseph Mulumba und Le Bourgmestre de ... Bouchez Monsieur le Bourgmestre (1967) von Antoine Kabwasa. Zu Beginn der 1970er Jahre ist eine verstärkte Historisierung des dramatischen Stoffes zu erkennen, die sich in einem Rückgriff auf historische Figuren der kongolesischen Geschichte wie bspw. Ngongo Lutete, König M’Siri oder Simon Kimbangu und deren Dramatisierung äußert. Zu den einschlägigen, dramatischen Stücken mit historischem Bezug zählen Un Trône à trois (1969) von Valérien Mutombo-Diba N’Funi oder Simon Kimbangu ou le messie noir (1972) von Elébé Lisembe. Analog zu dieser Historisierung dramatischer Stoffe ist unter dem Einfluss von Mobutus propagandistischer Kulturpolitik eine politische Instrumentalisierung des Theaters zu beobachten: So organisierte die zairische Einheitspartei Mouvement Populaire de la Révolution (MPR) im Jahre 1972 das erste zaïrische Theaterfestival, das allerdings unter dem ideologischen Einfluss von Mobutus Konzept der afrikanischen authenticité steht. Innerhalb dieses Zeitraumes werden zudem wichtige kulturelle, jedoch staatlich kontrollierte Institutionen wie das Conservatoire National de Musique et d’Art Dramatique (1967) als Vorläufer des heutigen Institut National des Arts sowie das Théâtre National Congolais (1969) und das Ballet National (1975) gegründet. Durch Mobutus staatlich gelenkte Kultur- und Medienpolitik der ausgeprägten Theaterförderung trägt auch die nationale Verbreitung des Fernsehens zwischen den Jahren 1970 und 1980 dazu bei, dass Dramen von Theatergruppen wie Salongo oder dem Théâtre Nozi aufgezeichnet und im Fernsehen – in Teilen angelehnt an das südamerikanische Konzept der Telenovela – ausgestrahlt werden.

Neben den ‚staatstreuen‘ Autor:innen, die sich für Mobutus Propaganda instrumentalisieren lassen, sind zudem eine Reihe an engagierten Schriftsteller:innen auszumachen, die weitestgehend implizit mit ihrer Sozialkritik auf Missstände hinweisen. Hierzu zählen u.a. Norbert L. Mikanza als Begründer des Théâtre du petit nègre in Kikwit (1967-1969), der in Procès à Makala (1977) auf das Problem der Jugendkriminalität aufmerksam macht, sowie Pius Ngandu Nkashama, der mit dem staatskritischen Stück La Délivrance d’Ilunga (1977) den selbstreflexiven Stil einer neuen Generation afrikanischen Autor:innen verkörpert. Das Stück handelt von Ilunga, furchtloser Kämpfer und Protagonist eines blutigen Dramas, der sein Dorf mit Edelmut vor fremden Angreifern beschützt. Nach der Gefangennahme seines Vaters klagt er Ntambue, den Chef des Dorfes, und die damit verbundene Obrigkeit an:

ILUNGA: […] Tu n’as pas à nous jeter au visage la pudre de ton rang de prince. On n’est pas prince pour avoir eu des pères rois, si on ne mérite pas de l’être. Et toutes ces institutions ne nous intéressent plus.

NTAMBUE: Prends garde, Ilunga, tu me provoques. Tu pourras le regretter !

ILUNGA: Je ne regretterai rien d’autre que de n’avoir pas pu défendre mon père. De l’avoir laissé mourir, sans fair un geste pour le délivrer. Je regretterai toujours d’avoir cru à tes mensonges. De t’avoir suivi jusqu’ici. J’ai perdu ma mère, j’ai perdu mon père. Je n’ai plus rien à perdre dans la vie. Et tout ce qui nous arrive, arrive par ta seule faute ! […]

NTAMBUE: Tu insultes le roi, ne l’oublie pas. Le chef du village.

ILUNGA: Je me moque du chef et du roi. Je me moque de ce chef et de ce roi qui n’a pas su défèndre mon Pére. Qui me laisse orphelin (Nkashama 1977: S.17).

Überträgt man diese Passage auf die realpolitischen Gegebenheiten im Staat des selbsternannten chef des Zaïrois, Joseph-Désiré Mobutu, wird die offensichtliche Kritik an den physischen und psychischen Konsequenzen der totalitären Staatsführung des zaïrischen Autokraten deutlich.

In der Folge entwickelt sich das Drama kontrapunktisch zum schwächelnden totalitären System und äußert sich bspw. mit der Thematisierung der Apartheid in Südafrika in Les Flammes de Soweto (1979) von Buabua wa Kayembe Mubadiate, On crie à Soweto (1980) von Musangi Ntemo, Nelson Mandela (1989) von Mushatamba und Black Uhuru: hommage à Nelson Mandela (1990) von Mova Sakanyi kritisch in Bezug auf politische Unterdrückung in den dekolonisierten Staaten Afrikas. Zur gleichen Zeit beschäftigen sich einige Dramatiker:innen zudem mit dem Phänomen der Korruption, darunter Lutumba Mpasi, Kompany wa Kompany oder Pierre Mumbere Mujomba, wobei letzterer die zaïrische Kleptokratie in seiner Komödie Année blanche pour Kalemba (1989) mit satirischen Elementen parodiert. Seit den 1990er Jahren entwickelt sich das rezente kongolesische Drama in eine tendenziell experimentelle Richtung: Während auf der einen Seite versucht wird, orale Traditionen mit klassischen Theaterkonventionen in Einklang zu bringen, integrieren Dramatiker:innen und Ensembles insbesondere im Bereich des Laientheaters verstärkt partizipatorische Elemente und Mnemotechniken in Text und Aufführung.

 

4. Lyrik

Der Journalist und Politiker Antoine-Roger Bolamba gilt als erster Poet der DR Kongo, nachdem er mit den Premiers essais (1947) eine Anthologie lyrischer Texte publiziert. Im Zuge der Unabhängigkeit wird Bolamba als Staatssekretär des Kultusministeriums (1960/61) und späterer Informations- und Tourismusminister (1963) auch politisch aktiv. Bolambas Nationalbewusstsein und seine politische Haltung werden insbesondere in seinem zweiten Gedichtband Esanzo, chants pour mon pays manifest, der 1955 mit einem Vorwort des senegalischen ‚Dichterpräsidenten‘ Léopold Sédar Senghor in Paris erscheint. Hierin kritisiert Bolamba die koloniale Gegenwart, wenn er die ausländischen Wirtschaftsakteure, den Paternalismus der belgischen Kolonialmacht und die Stellung der Kirche innerhalb des Kolonialsystems in seinen lyrischen Texten subtil angreift:

Esanzo

Ding ding ding!
ce qui nous plaît c’est la floraison des lucioles
sur la plante transparente
de la nuit… ding!

Ce qui nous plaît c’est le regard vivant
derrière la grille
de la mélancholie… ding!

Ce qui nous plaît c’est le cou sans tête
les jambes sans pieds
les brass ans mains
du suppôt de la nuit… ding!

Le jour oublie son panier de résolutions
dans sa hutte sauvage
les temps passe en emportant
sur ses ailes nos souvenir défunts

Ding ding ding!
ce qu’il nous faut c’est létreinte solide
du bois et du feu… ding!

Ce qu’il nous faut c’est le pont du bonheur
où deux cœurs qui s’ignorent
échangent des cadeaux… ding!

Ce qu’il nous faut c’est le lait
que nous verse
le désir inassouvi… ding!

(Bolamba 1977 [1955]: S.66-68)

Ein weiterer, einflussreicher Dichter jener Zeit, der hier bereits als Romancier eingeführt wurde, ist Tchicaya U Tam’si. Ebenso wie Bolamba wird der junge U Tam’si nach der Publikation seiner Gedichtsammlungen Le mauvais sang (1955) und Feu de brousse (1957) von Senghor gefördert und protegiert. Im Anschluss an die Unabhängigkeit 1960 findet die poetische Produktion in der DR Kongo maßgeblich in literarischen Salons statt, aus denen sich später lyrische Autorenzirkel herausbilden. Thematisch beschäftigen sich die Dichter:innen jener Periode v.a. mit politischen Sujets des nun unabhängigen Kongo. Zwischen den Jahren 1965 und 1970 erlebt die Poesie einen großen Aufschwung, der aus der Gründung diverser lyrischer Autorenzirkel wie La Pléiade du Congo oder Balise, dem Aufbau des staatlichen Verlages Editions Belles Lettres durch das Kultusministerium und die Ausschreibung verschiedener Poesie-Preise wie dem Prix Sébastien Ngonso, dem Concours littéraire Léopold Sédar Senghor oder dem Premier Prix de poésie Mobutu Seseko resultiert.

Die großen lyrischen Themen sind zu jener Zeit durchaus von Mobutus politischem Programm eines ‚afrikanischen Neuanfangs‘ beeinflusst: Einerseits verarbeiten Poeten wie Philippe Masegabio, Gabriel Sumaïli, Clémentine Nzuji oder deren Bruder Dieudonné Kadima-Nzuji die Enttäuschungen über die unmittelbare Phase nach der Unabhängigkeit, die von Bürgerkrieg geprägt ist und die politischen sowie sozioökonomischen Verheißungen nicht erfüllt. Andererseits erhoffen sich die zeitgenössischen Poet:innen von dieser Zeit, dass der als ‚Vater der Nation‘ inszenierte Präsident Mobutu die Lebensumstände der Kongoles:innen verbessern würde. Analog zu Mobutus authenticité-Kampagne richtet sich der lyrische Fokus vermehrt auf ‚afrikanische‘ Themen. Zu nennen sind an dieser Stelle Masegabio mit dem Gedichtband Somme première (1968), Sumaïli mit Aux flancs de l’Equateur (1966) und Dieudonné Kadima-Nzuji mit Ressacs (1969). Der kurzzeitige, politische und gesellschaftliche Aufschwung im Zuge der Staatsumbenennung des Kongo in ‚Zaïre‘ durch Mobutu im Jahre 1971 überträgt sich im literarischen Umfeld auch auf die Poesie: Noch im selben Jahr und den Jahren darauf veröffentlicht der von Valentin-Yves Mudimbe gegründete Verlag Mont Noir zahlreiche poetische Zyklen, darunter die Anthologien Déchirures (1971) von Mudimbe, Testament (1971) von Sumaïli, Lianes (1971) von Clémentine Nzuji, Prélude à la terre (1971) von Dieudonné Kadima-Nzuji, Chants intérieurs (1971) von Nguwo, Remous de feuilles (1972) von Elisabeth-Françoise Mweya und Flammèches (1972) von Lambert Kabatantshi. Die Dichter:innen stellen sich zu dieser Zeit wichtige Fragen nach einer genuin afrikanischen und zaïrischen Identität vor dem Hintergrund der jahrhundertlang andauernden Kolonialherrschaft und den neuen politischen Gegebenheiten. Zunächst beherrscht die Euphorie über die ‚Afrikanisierung‘ die Topoi der Lyrik, die im Zuge der zaïrischen Misswirtschaft in einen Skeptizismus umschlagen und sich im weiteren Verlauf der 1970er Jahre in einen Pessimismus verkehren, der im Laufe der 1980er Jahre in poetische Hoffnungslosigkeit und alltägliche Lebensmüdigkeit mündet. Diese pessimistische Entwicklung deutet sich bereits 1971 in Clémentine Nzujis Gedichtband Lianes an:

A la chute des feuilles

j’avoue ma crainte

De voir cette Mort

qui déshabille les arbres

Le bruit des feuilles qui tombent

s’accorde aux cadences de mon cœur

Car les pas inattendus de l’Innommable

précèdent aussi mes gestes.

Que l’on me pleure déjà

dis-je

je suis plus morte que vive

(Nzuji 1971, S.9)

Im Anschluss an die von Mobutu ausgerufene Demokratisierung von Zaïre im Jahre 1990 ist in einer darauffolgenden Phase innerhalb der Lyrik erneut eine euphorische Aufbruchsstimmung sowie eine ‚engagierte Poesie‘ zu beobachten. So positioniert sich Kama Sywor Kamanda in der politischen Opposition, ruft sich selbst gar zum Präsidentschaftskandidaten aus und verfasst neben Liebesgedichten und nostalgischer Lyrik über die afrikanischen Ahnen v.a. engagierte, freiheitliche Poesie.

Nach dem Machtwechsel von Mobutu zu Laurent-Désiré Kabila im Frühjahr 1997 wenden sich die kongolesischen Lyriker wie bspw. Arthur Jano Bakasanda in seiner Anthologie Champs poétiques. Le tison maléfique (1996) wieder dem Thema der politischen Transition und den damit verbundenen Subfeldern zu, wie dem verfehlten Demokratisierungsprozess, den Grausamkeiten der Bürgerkriege und innenpolitischen Konflikten. Nach der Ermordung von Laurent-Desiré Kabila avancieren die Fortführung der autoritären Politik durch Joseph Kabila, der anhaltende Bürgerkrieg im Osten des Landes und die vorherrschende sozioökonomische Perspektivlosigkeit zu den dominierenden Topoi der kongolesischen Lyrik.

5. Aktuelle Herausforderungen

Trotz dieser umfangreichen Literaturgeschichte haftet der DR Kongo laut Djungu-Simba heute an, „[...] zum einen kein Land von Schriftstellern zu sein und zum anderen Literatur zu produzieren, die nicht gelesen wird“ (2013: S.149). Einzig die Exilliteratur habe dazu geführt, dass kongolesische Literaturen international rezipiert werden. Diese spezifische Situation ist laut Djungu-Simba auf das Verhalten vier wesentlicher Akteure in der Kulturpolitik, der Verlagslandschaft, der Literaturkritik und dem Bereich der Autor:innen zurückführen: Den bisherigen kongolesischen Regierungen unterstellt Djungu-Simba ein generelles Versagen auf kulturpolitischer Ebene, insbesondere hinsichtlich der aktiven Förderung von inländischer Literaturproduktion.[5] Die kongolesische Verlagslandschaft weist in Bezug auf die belletristische Literatur eine vergleichbare Passivität auf, die größtenteils aufgrund des komplexen Zusammenspiels aus kaum vorhandenen Finanzmittelen, fehlenden Kompetenzen im Bereich Unternehmertum und der Undurchsichtigkeit des kongolesischen Buchmarktes basiere. Aus wirtschaftlichen Gründen versuchen viele kongolesische Verlage, sich insbesondere im Bereich der Schulbuchproduktion zu positionieren, da hier Absatzzahlen durch Verträge mit dem Kultusministerium gesichert werden können, anstatt unternehmensstrategisch auf die – sicherlich risikoreicheren – Marktsegmente in der Belletristik zu setzen. Darüber hinaus gestalten sich die innerkongolesischen Vertriebswege fernab der urbanen Zentren aufgrund der Landesgröße und dem stellenweisen sehr schlechten Zustand der Transportinfrastruktur als schwierig, weshalb sich die unmittelbare Verbreitung der im Kongo publizierten Werke meist auf diejenigen größeren Städte beschränkt, in denen diese gedruckt werden.

Der Literaturkritik unterstellt Djungu-Simba ein „Desinteresse an der Beurteilung einheimischer Literatur“ (ebd.: 156); die Literaturkritiker:innen fokussieren in ihren akademischen und publizistischen Schriften stattdessen allgemeine, literaturtheoretische Abhandlungen oder andere Gebiete der frankophonen – meist westafrikanischen oder afrokaribischen – Literaturen. Die Gruppe der kongolesischen Schriftsteller:innen unterliegt stärker noch als die Verlage den Widrigkeiten des wirtschaftlichen Prekariats: Lediglich ein sehr geringer Teil gehört dem Berufsschriftstellertum an, während die meisten kongolesischen Autor:innen neben der literarischen Arbeit einem Zweitberuf nachgehen. In der Folge ist zu beobachten, dass eine große Anzahl der in der DR Kongo produzierten literarischen Werke insbesondere in Frankreich oder Belgien veröffentlicht werden, um von einer größeren Vertriebsreichweite profitieren zu können. Die Veröffentlichung von literarischen Werken in Europa ist dabei beinahe gleichzusetzen mit einer Nichtverfügbarkeit in der DR Kongo: Aufgrund der z.T. fehlenden Vertriebswege zwischen den Verlagshäusern in Europa und dem Buchmarkt in Subsahara-Afrika stehen die meisten dieser Werke den kongolesischen Rezipienten:innen nicht zur Verfügung.

Als zusätzliche Herausforderung sehen sich Schriftsteller:innen im Zuge eines postkolonialen Sprachdiskurses mit der Frage konfrontiert, welcher der vielzähligen Sprachen sie sich bedienen sollen. Neben der Amtssprache Französisch sowie den vier offiziellen Nationalsprachen Lingala, Kikongo, Tshiluba und Swahili existieren in der heutigen DR Kongo über 200 weitere afrikanische Sprachen und Dialekte sowie eine Anzahl an nicht-indigenen Sprachen wie libanesisches Arabisch, Englisch, Chinesisch und Griechisch, die von größeren Gruppen in urbanen Zentren gesprochen werden. In der DR Kongo zählt die französische Sprache heute zumindest aus offizieller Sicht zu den dominanten Sprachen, v.a. auf der administrativen Ebene, in der Hochschulbildung und in den größeren Städten. Aus Sicht der Schriftsteller:innen lässt sich mit der Verwendung der französischen Sprache aufgrund der weltweit großen Anzahl an Erst- und Zweitsprecher:innen insbesondere aus globaler Sicht eine potentiell höhere ‚Sichtbarkeit‘ für den Vertrieb von Literatur erzielen. Doch aus sprachsoziologischer Perspektive ist die Stellung der französischen Sprache in der DR Kongo durchaus problematisch: Lediglich 12-15% der Kongoles:innen beherrschen die französische Sprache, wodurch das Französische eher eine Minderheitensprache für gebildete Eliten darstellt als eine regelmäßig genutzte Alltagssprache. Die Frage, ob sich Schriftsteller:innen der französischen Sprache oder einer der afrikanischen Sprachen bedienen, ist somit unweigerlich mit dem ambivalenten Konflikt zwischen einer potentiellen Wahrnehmung des literarischen Werkes auf dem internationalen Buchmarkt und einer flächendeckenden Rezeption in der DR Kongo verknüpft. Doch selbst im Falle des Rückgriffes auf eine der vier offiziellen afrikanischen Sprachen (Lingala, Swahili, Kikongo, Tshiluba) würde aufgrund der großen sprachlichen Diversität des Landes keine transregionale Nationalliteratur begründet werden. Heute ist der hohe Stellenwert der französischen Sprache als Medium der Eliten eine zweifellos negative Nachwirkung der Kolonialaktivität des belgischen Staates, der die Verbreitung der langue française durch die aktive und passive Unterdrückung afrikanischer Sprachen begünstigte.

— Julien Bobineau, Universität Würzburg —

 

6. Literatur

Primärliteratur:

  • Bolamba, Antoine-Roger (1977 [1955]): Esanzo, Sherbrooke: Editions Naaman.
  • Lomami-Tshibamba, Paul (1949): Ngando (Le crocodile), Brüssel: Editions G.A. Deny.
  • Ngal, Georges (1984): Giambatista Viko ou Le viol du discours africain, Paris: Hatier.
  • Nkashama, Pius Ngandu (1977): La délivrance d’Ilunga, Paris: Pierre Jean Oswald
  • Nzuji, Clémentine (1971): Lianes, Kinshasa: Editions du Mont Noir.
  • Tshibanda, Pie (2004 [1999]): Un fou noir au pays des Blancs, Tournai: Renaissance du livre.

Sekundärliteratur:

  • Conteh-Morgan, John (1994): Theatre and Drama in Francophone Africa. A critical introduction, Cambridge u.a.: Cambridge University Press.
  • Djungu-Simba, Charles (2013): „‚Diese Literatur ist unverkäuflich! Die kongolesische Literatur auf dem französischsprachigen Buchmarkt“, in: Muepu Muamba (ed.), Moyo! Der Morgen bricht an. Stimmen aus dem Kongo, Frankfurt a.M.: Brandes & Apsel, S.146-158.
  • Mukenge, Tshilemalema (2002): Culture and Customs of the Congo, Westport/London: Greenwood.
  • Ngal, Georges (2007): Littératures congolaises de la RDC 1482-2007. Histoire et anthologie, Paris u.a.: Harmattan.
  • Riesz, János (2013): Südlich der Sahara. Afrikanische Literatur in französischer Sprache, Tübingen: Stauffenburg.
  • Stamm, Norbert (1998): ‚Den Kongo schreiben.‘ Geschriebene Heterogenität: das Werk Sony Labou Tansis, Bayreuth: o.V.

Weiterführende Literatur:

  • De Meyer, Bernard/ten Kortenaar, Neil (2009): The Changing Face of African Literature. Les nouveaux visages de la littérature africaine, Amsterdam/New York: Rodopi.
  • Garscha, Karsten/Riemenschneider, Dieter (1983): Afrikanische Schriftsteller im Gespräch. Die Funktion moderner afrikanischer Literaturen, Wuppertal: Hammer.
  • Gehrmann, Susanne (2009): Remembering colonial violence: Inter/textual strategies of Congolese authors, in: Tydskrif vir Letterkunde 46:1, S.11-27.
  • Jansen, Karl Heinz (1981): Literatur und Geschichte in Afrika. Darstellung der vorkolonialen Geschichte und Kultur Afrikas in der englisch- und französischsprachigen fiktionalen afrikanischen Literatur, Berlin: Reimer.
  • Halen, Pierre/Riesz, János (1995): Littératures du Congo-Zaïre. Actes du colloque international de Bayreuth (22-24 juillet 1993), Amsterdam/Atlanta (GA): Rodopi.
  • Jadot, Joseph M. (1959): Les écrivains africains du Congo belge et du Ruanda-Urundi. Une histoire - Un bilan - Des problèmes, Brüssel: o.A.
  • Kadima-Nzuji, Mukala (1986): Congo/Zaïre, in: Albert S. Gérard (ed.): European-language writing in sub-saharan Africa, Budapest: Akad. K., S. 541-557.
  • Kadima-Nzuji, Mukala (2012): Théâtre et destin national au Congo-Kinshasa. 1965-1990, Paris: Harmattan.
  • Kimani, Cecilia (2009): Publishing in Africa, in: Kimani Njogu/John Middleton (ed.), Media and identity in Africa, Edinburgh: Edinburgh University Press, S.103-113.
  • Malonga, Alpha Noël (2007): Roman congolais. Tendances thématiques et esthétiques, Paris: Harmattan.
  • Moudileno, Lydie (2006): Parades postcoloniales. La fabrication des identités dans le roman congolais, Paris: Karthala.
  • Muamba, Muepu (2013): Moyo! Der Morgen bricht an. Stimmen aus dem Kongo, Frankfurt a.M.: Brandes & Apsel.
  • Riva, Silvia (2006): Nouvelle histoire de la littérature du Congo-Kinshasa, Paris: Harmattan.
  • Tshitungu Kongolo, Antoine (2002): Panorama de la poésie congolaise de langue française, Paris u.a.: Harmattan.

 

7. Anmerkungen

[1] Vgl. weiterführend zur Rolle afrikanischer Schriftstellerinnen im kolonialen und postkolonialen Kontext z.B. Riesz 2013 (S.157-189) und Mukenge 2002 (S.132-135).

[2] Die ersten Werke kongolesischer Autoren in Form von Grammatiken und Bibel-Übersetzungen außerhalb der französischen Sprache lassen sich bereits am Ende des 19. Jahrhundert finden (cf. Ngal 2007: S.46). Hiernach folgen mit einer Robinson-Crusoe-Adaption und einer Märchen-Anthologie von Timotéo Vingadio im Jahre 1928 die beiden ersten literarischen Werke eines kongolesischen Autors.

[3] Stamm zitiert den kongolesischen Schriftsteller Labou Tansi, welcher den kolonialen Grenzen nur wenig Bedeutung zumaß, wie folgt: „Je ne sais pas si j’appartiens au Zaïre ou au Congo. Mes parents ont eu des terres sur les deux côtés“ (1998: 61).

[4] Conteh-Morgan beschreibt die ‚folkloristischen‘ Themen des traditionellen afrikanischen Theaters als ritual performance: „Collective life itself in its very rhythms (agrarian and seasonal), social processes (birth, puberty, circumcision, nuptials, enthronement) and responses to life-crises (sickness, death, social conflict, misfortune or natural disaster – all seen as a threatening eruption of disorder) is subject to a never-ending cycle of ‚social ceremonial‘ in which sacred or secular ritual perfomances are an important component“ (1994: S.11).

[5] Diejenigen Literaturpreise, die Staatspräsident Mobutu zwischen den Jahren 1965 und 1975 initiierte, dienten eher als „Liturgie der Selbstlegitimierung“ (Djungu-Simba 2013: S.151) und sind demnach nicht als nachhaltige Förderungen der literarischen Kunst um ihretwillen zu bezeichnen.