Akerman, Chantal – belgische Regisseurin

Während Chantal Anne Akerman der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt blieb, wurde sie in Künstlerkreisen als „Grenzgängerin zwischen Kino und bildender Kunst, zwischen Dokumentation und Experiment“ angepriesen.[1] Schon früh in ihrer Karriere erlangte Akerman unter Cineasten einen geradezu legendären Status als radikale Filmemacherin, formale Erneuerin und Pionierin des modernen feministischen Kinos.[2]

Chantal Akerman wurde am 6. Juni 1950 in Brüssel geboren.[3] Ihre Eltern waren polnische Juden, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Belgien ausgewandert sind.[4] Das Schicksal und die Religion ihrer Eltern sowie Akermans Aufwachsen generell werden häufig in ihren Filmen thematisiert. Sie wusste bereits mit 15 Jahren, dass sie Regisseurin werden wollte, nachdem sie Jean-Luc Godards Elf Uhr nachts (1965) gesehen hatte.[5] Dementsprechend begann sie 1967 die renommierte belgische Filmschule Institut Supérieur des Arts du Spectacle et Techniques de Diffusion zu besuchen.[6] Jedoch war Akerman der Auffassung, dort nichts Weiteres lernen zu können, brach ihr Studium noch im selben Jahr ab und begann im darauffolgenden ein neues an der Université Paris Cité.[7]

Abb.1: Chantal Akerman (©Mario de Munck, Lizenz CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

In dieser Zeit drehte sie ihren allerersten Kurzfilm Saute ma ville (1968), den sie mit nur 18 Jahren in ihrer eigenen bescheidenen Pariser Wohnung filmte.[8] Bereits mit diesem ersten Film erhielt sie überaus positive Kritik, nachdem er 1971 beim Oberhausener Filmfestival gezeigt wurde.[9] Von 1972 bis 1973 lebte Akerman in New York und drehte dort einige weitere Kurzfilme, in denen sich ein starker Einfluss der amerikanischen Avantgarde, insbesondere der experimentellen Filmemacher Michael Snow und Jonas Mekas, abzeichnet.[10] Unter diesen Filmen befindet sich unter anderem der in Toulon preisgekrönte Film Hôtel Monterey (1972).[11] Akermans erster Spielfilm Ich, Du, Er, Sie entstand 1974 und sorgte mit einer recht graphischen lesbischen Sex-Szene für kontroverse Kritik in der Öffentlichkeit, während Filmkritiker ihn weitgehend positiv bewerteten.[12] Auch ihr zweiter Spielfilm Jeanne Dielman, 23 Quai du Commerce, 1080 Bruxelles (1975) erntete viel Lob seitens der Kritiker und Presse, und nimmt 2022, ganz aktuell, sogar den ersten Platz der Sight and Sound Greatest Films of All Time-Abstimmung ein.[13][14]

Insgesamt führte Akerman bei über 40 Filmen verschiedenster Genres Regie, darunter Dokumentationen, Biografien, Experimentalfilme, fiktive Kurz- und Spielfilme etc. Jeder Film behandelt andere Themen, jedoch gibt es einige übergeordnete Thematiken, die wiederkehrend sind, z.B. Identitätskonstruktion und -reflexion, Verlust, Entwurzelung und Heimatlosigkeit.[15] Akermans eigenes Aufwachsen nahm großen Einfluss auf ihre Themenwahl, so behandelte sie auch häufig religiöse bis politisch-gesellschaftliche Themen, wie die Folgen des Holocausts, die von ihrer Familie totgeschwiegen wurden.[16] Außerdem wuchs sie in einer Familie mit sehr vielen Frauen auf, wodurch ihre Filme oftmals die Rolle der Hausfrau und das Gefangensein der Frauen aufgriffen.[17] Obwohl ihre Filme nicht direkt von Feminismus handelten, hatten sie doch häufig eine implizite feministische Botschaft, die durch Akermans persönliche Weltansicht und ihre Filmtechniken zustande kommt.[18] Sie setzt Statements, indem sie Tabu-Themen, wie z.B. den weiblichen Körper, Sex, illegale Migration und gleichgeschlechtliche Beziehungen sehr realistisch und lebensnah inszeniert. Somit normalisiert sie diese Themen nicht nur in der Filmbranche, sondern stößt auch den offenen Diskurs darüber in Kultur und Gesellschaft an.

Chantal Akermans Filme haben durch ihre besondere Ästhetik großen Wiedererkennungswert. Schon früh in ihrer Karriere stach sie durch ihre experimentellen Einstellungen und Techniken heraus.[19] Einzelne Szenen dauern in ihren Filmen häufig mehrere Minuten an, ohne dass es einen einzigen Schnitt gibt. Dabei hält die statische Kamera aus möglicher Rezipientensicht ,völlig teilnahmslos‘ ihre Position. Akerman selbst ist der Meinung, dass diese fixierten Einstellungen dafür sorgen, das Unsichtbare sichtbar zu machen.[20] Sie wird von Kritikern dafür gelobt, dass sie von Anfang an ihren eigenen Weg gegangen ist und Filme produziert hat, die sich stark von der Norm des Mainstream-Kinos abwenden und hat dafür über die Jahre viele Auszeichnungen und Preise erhalten.[21] Am 5. Oktober 2015 beging sie schließlich in ihrer Pariser Wohnung Selbstmord, anderthalb Jahre nach dem Tod ihrer Mutter, der sie in tiefe Depressionen gestürzt hatte.[22]

 - von Sophie Färber -

Dieser studentische Glossar-Eintrag ist im Rahmen des Romanistik-Seminars "Das BelgienNet III - das Filmland Belgien" im Wintersemester 2022/2023 entstanden. Hier finden Sie die französische Fassung des Glossar-Eintrags.

Anmerkungen:

[1] o.A., „Akerman, Chantal“, in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv (02.06.2015, letztes Update KW 41/2022), URL: http://www.munzinger.de/document/00000019679 (aufgerufen 05.12.2022).

[2] Vgl. ROMNEY, Jonathan, „Chantal Akerman Obituary“, in: The Guardian (08.10.2015), URL: https://www.theguardian.com/film/2015/oct/08/chantal-akerman (aufgerufen 05.12.2022).

[3] Vgl. o.A., „Akerman, Chantal“.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. ebd.

[6] Vgl. ebd.

[7] Vgl. ebd.

[8] Vgl. ebd.

[9] Vgl. ebd.

[10] Vgl. ebd.

[11] Vgl. ebd.

[12] Vgl. ebd.

[13] Sight and Sound ist ein international renommiertes Filmmagazin des British Film Institute, das Film- und Fernsehkunst aus der ganzen Welt fördert.

[14] Vgl. KENNY, Glenn, „Not Quite As Much Of A Country For Old Men: The 2022 Sight and Sound Greatest Films of All Time Poll“, in: Decider (02.12.2022), URL: https://decider.com/2022/12/02/2022-sight-and-sound-greatest-films-of-all-time-poll/ (aufgerufen 13.02.2023).

[15] Vgl. SCHWEERS, Andrea, „Chantal Akerman“, in: FemBio – Frauen.Biograohieforschung (2019), URL: https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/chantal-akerman (aufgerufen 05.12.2022).

[16] Vgl. ebd.

[17] Vgl. ebd.

[18] Vgl. ebd.

[19] Vgl. ebd.

[20] Vgl. ebd.

[21] Vgl. o.A., „Akerman, Chantal“.

[22] Vgl. ebd.

Quellenverzeichnis

KENNY, Glenn, „Not Quite As Much Of A Country For Old Men: The 2022 Sight and Sound Greatest Films of All Time Poll“, in: Decider (02.12.2022), URL: https://decider.com/2022/12/02/2022-sight-and-sound-greatest-films-of-all-time-poll/ (aufgerufen 13.02.2023).

ROMNEY, Jonathan, „Chantal Akerman Obituary“, in: The Guardian (08.10.2015) URL: https://www.theguardian.com/film/2015/oct/08/chantal-akerman (aufgerufen 05.12.2022).

SCHWEERS, Andrea, „Chantal Akerman“, in: FemBio – Frauen.Biograohieforschung (2019), URL: https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/chantal-akerman (aufgerufen 05.12.2022).

o.A., „Akerman, Chantal“, in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv (02.06.2015, letztes Update KW 41/2022), URL: http://www.munzinger.de/document/00000019679 (aufgerufen 05.12.2022).