Dormael, Jaco Van – belgischer Regisseur
Jaco Van Dormael – ein belgischer Regisseur mit Wiedererkennungswert
Jaco Van Dormael wurde am 9. Februar 1957 im belgischen Elsene/Ixelles, in der Region Brüssel-Hauptstadt, geboren. Er arbeitet sowohl als Drehbuchautor als auch als Regisseur.[1] Bevor er begann, sich im Rahmen eines Studiums mit dem Filmwesen zu beschäftigen, war er als Clown beim Big Flying Circus tätig und agierte als Regisseur von circa zehn Kindershows.[2] Die dabei gemachten Erfahrungen beschreibt er folgendermaßen: „Avec les enfants, on s'adresse à des spectateurs qui ont peut-être une perception du monde beaucoup plus délirante, surréaliste et poétique que nous adultes ... et ça laisse plus de place.“[3] Diesen freien Raum füllt Van Dormael im Rahmen seiner Filme. Sein Bildungsweg umfasst das Film- bzw. Kinostudium am Institut national supérieur des arts du spectacle et des techniques de diffusion (kurz INSAS) in Ixelles in Belgien und das anschließende Studium der Regie an der École nationale supérieure Louis-Lumière in Saint-Denis in Frankreich.[4]
Neben Reportagen und Werbespots produziert er bereits seit 1980 Filme, von denen Toto le héros von 1991 seinen ersten Spielfilm darstellt. Jener Film, der in der Sammlung Page Blanche erschienen ist, gewann bei den Filmfestspielen von Cannes im selben Jahr die Goldene Kamera, den Prix Jeunesse sowie den Prix du Public.[5] Der Film behandelt die Geschichte von Thomas, der glaubt, mit seinem Nachbarn bei der Geburt vertauscht worden zu sein und daher seine Zeit damit verbringt, in Gedanken ein anderes Leben zu leben, was schließlich dazu führt, dass er einen Racheplan gegen seinen Nachbarn schmiedet.[6] Auch Le Huitième Jour aus seinem Repertoire gehörte zur offiziellen Auswahl bei den Festspielen 1996.[7] Darin begegnen sich zufällig der strebsame Harry und der am Down-Syndrom erkrankte, aber lebensfrohe George und entwickeln eine intensive Freundschaft, die den beiden dabei hilft, mit ihren Problemen umgehen zu können.[8] Van Dormaels Filmographie umfasst darüber hinaus die Werke Mr Nobody (2009) und Le tout nouveau testament (2015), die jeweils einen internationalen Bekanntheitsgrad erlangt haben. Mr Nobody stellt als Rückblick Möglichkeitsformen des Lebens des Hauptcharakters Nemo Nobody dar.[9] Le tout nouveau testament handelt davon, wie ein junges Mädchen ein neues Testament verfasst und als Gegenfigur für ihren Vater fungiert, der im Film als Gott in menschlicher Gestalt auftritt.[10] Über Van Dormael kann des Weiteren gesagt werden, dass er neben seiner Arbeit mit Filmen ebenfalls als Regisseur von Theaterstücken und Opern auftritt. Als Beispiele lassen sich die Theaterstücke Kiss & Cry (2011), Cold Blood (2015) sowie Amor (2017) anführen, die zusammen mit der Choreografin Michèle Anne de Mey entstanden sind.[11] Das Stück Kiss & Cry dreht sich um unsere Erinnerung an Wesen, die aus unserem Territorium verschwunden sind,[12] während in Cold Blood und Amor Lichtinszenierungen gezeigt werden, welche sich um die Themen Leben, Liebe und Tod drehen und auf existenziellen Erfahrungen der Choreografin beruhen.[13] Auch bei der romantischen Oper Stradella (2014) von César Franck wirkte er beispielsweise mit.[14]
Ein zentrales und immer wiederkehrendes Thema in seinen Werken ist das Potenzial, welches sich aus der Vorstellungskraft des Menschen erschöpft.[15] Dieses Motiv tritt auch in Toto le héros auf, sodass Van Dormael über die Hauptfigur sagt: „[Thomas] se rend compte à la fin du film que sa vie n'était pas une histoire, qu'il ne l'a pas vécue, parce qu'il scénarisait sa vie et qu'il a fait de lui un personnage.“[16] Während Thomas sein Leben lang darüber nachgedacht hat, wie sein Leben aussehen könnte, hat er dabei die Realität aus den Augen verloren.[17]
Auffällig bei der Struktur der Erzählung in einigen Filmen von Van Dormael ist die Tatsache, dass jene nicht gradlinig verläuft, sondern die Szenen in mehreren Erzählsträngen dargestellt werden oder auch antichronistische Elemente enthalten. Der Film Mr Nobody liefert hier, neben Toto le héros, ein besonders eindrückliches Beispiel.[18]
Außerdem spielen in seinen Werken bestimmte wiederkehrende Motive und Bilder eine wichtige Rolle. Im Film Mr Nobody sind jene Motive zum Beispiel das Unterwassersein oder auch ein Ahornblatt.[19] Die unterschiedlichen Szenen werden durch die gleichen Motive miteinander verbunden: „Nemo’s life often ends in water: he commits suicide in the swimming pool, he is shot in the bathtub, he falls into a lake, Anna’s number ist erased by rain.“[20] Letztlich ist zu sagen, dass Van Dormael mit seinen Filmen Eindrücklichkeit erreichen möchte: „Le succès d'un film c'est pas le nombre de spectateurs, mais combien de temps il reste dans la tête [….]“ [21] Für ihn sind Film besonders dann reizvoll, wenn sie starke Kontraste enthalten und im Ganzen eine gewisse Schönheit abbilden.[22]
- von Debora Kran-Heinemann -
Dieser studentische Glossar-Eintrag ist im Rahmen des Romanistik-Seminars "Das BelgienNet II - medienpraktische Perspektiven auf die Kultur Belgiens" im Wintersemester 2021/2022 entstanden.
Hier finden Sie die französische Fassung des Glossar-Eintrags mit begleitender Audiodatei auf Französisch.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Dolphijn, Frédérique, Jaco Van Dormael, écrire le chaos. Dialogue avec Frédérique Dolphijn, Noville-sur-Mehaigne: Esperluète Editions 2017, S. 5.
[2] Vgl. Van Dormael, Jaco, Le huitième jour, Paris: Gallimard Jeune 1996, S. 123.
[3] Vgl. Dolphijn, Jaco Van Dormael, S. 26.
[4] Vgl. ebd., S. 5.
[5] Vgl. Van Dormael, Le huitième jour, S. 123.
[6] Vgl. Francisco, Jairon, Storyline Toto le héros, URL: https://www.imdb.com/title/tt0103105/plotsummary?ref_=tt_ov_pl (13.12.2021).
[7] Vgl. Van Dormael, Le huitième jour, S. 123.
[8] Vgl. ebd.
[9] Vgl. Van Dormael, Jaco, Mr Nobody, 2009, Pan Européenne.
[10] Vgl. Storyline Le tout nouveau testament, URL : https://www.imdb.com/title/tt3792960/?ref_=nv_sr_srsg_0 (13.12.2021).
[11] Vgl. Dolphijn, Jaco Van Dormael, S. 5.
[12] Vgl. Kiss and Cry - The show, UR: https://www.astragales.be/en/nos-spectacles/kiss-and-cry/ (13.12.2021).
[13] Vgl. Cold Blood – The show, URL: https://www.astragales.be/en/nos-spectacles/cold-blood/ (13.12.2021). Vgl. auch Amor, UR: https://www.theatrenational.be/en/activities/15-amor#presentation (13.12.2021).
[14] Vgl. Dolphijn, Jaco Van Dormael, S. 5.
[15] Vgl., ebd.
[16] Dolphijn, Jaco Van Dormael, 8f.
[17] Vgl. Van Dormael, Jaco, Toto le héros, 1991, Iblis Films, Metropolis Filmproduction, Philippe Dussart.
[18] Vgl. Van Dormael, Mr Nobody, 2009, Pan Européenne.
[19] Vgl. Dolphijn, Jaco Van Dormael, S. 5. Vgl. hierzu auch die weiterführende Literatur.
[20] Sanna, Debbie, Mr. Nobody explained, URL: https://www.youtube.com/watch?v=l_sCJjte-wQ (13.12.2021).
[21] Van Dormael, Jaco, Interview de Jaco Van Dormael - Mr Nobody, URL : https://www.youtube.com/watch?v=egtcJQyMZbk (13.12.2021).
[22] Vgl. ebd.
Quellenverzeichnis
Amor, URL: https://www.theatrenational.be/en/activities/15-amor#presentation (13.12.2021).
Cold Blood – The show, URL: https://www.astragales.be/en/nos-spectacles/cold-blood/ (13.12.2021).
DOLPHIJN, Frédérique und DORMAEL, Jaco Van, Écrire le chaos. Dialogue avec Frédérique Dolphijn, Noville-sur-Mehaigne: Esperluète Editions 2017.
FRANCISCO, Jairon, Storyline Toto le héros, URL: https://www.imdb.com/title/tt0103105/plotsummary?ref_=tt_ov_pl (13.12.2021).
Kiss and Cry - The show, URL: https://www.astragales.be/en/nos-spectacles/kiss-and-cry/ (13.12.2021).
SANNA, Debbie, Mr. Nobody explained, URL: https://www.youtube.com/watch?v=l_sCJjte-wQ (13.12.2021).
Storyline Le tout nouveau testament, URL : https://www.imdb.com/title/tt3792960/?ref_=nv_sr_srsg_0 (13.12.2021).
DORMAEL, Jaco Van, Interview de Jaco Van Dormael - Mr Nobody, URL : https://www.youtube.com/watch?v=egtcJQyMZbk (13.12.2021).
DORMAEL, Jaco Van, Le huitième jour, Paris: Gallimard Jeune 1996.
DORMAEL, Jaco Van, Mr Nobody, 2009, Pan Européenne.
DORMAEL, Jaco Van, Toto le héros, 1991, Iblis Films, Metropolis Filmproduction, Philippe Dussart.
Bildquelle
HENDRYCKX, Michiel, „Jaco Van Dormael“, URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jaco_van_Dormael_introduces_Mr_Nobody_%283960090738%29.jpg (20.7.2022), lizensiert unter CC BY-SA 2.0.
Weiterführende Literatur
ORTH, Dominik, "Splitting and Splintering of Reality in Jaco Van Dormael’s Mr. Nobody", in: Schlickers, Sabine / Toro, Vera [Hg.], Perturbatory Narration in Film. Narratological Studies on Deception, Paradox and Empuzzlement, Berlin : De Gruyter, 2018, S. 107-120.
THURESSON, Mattias, Storyline Le huitième jour, URL : https://www.imdb.com/title/tt0116581/?ref_=nv_sr_srsg_0 (13.12.2021).