Magritte, René – belgischer Maler
Der Maler René Magritte: glatte Fassaden und unergründlicher Inhalt
Der Künstler René Magritte wird heute vor allem für seine ungewöhnlichen, exzentrischen und rätselhaften Gemälde geschätzt, doch seine Lebensgeschichte lässt anfänglich etwas anderes vermuten: 1898 in der belgischen Provinz Hainaut geboren, lernt der Sohn eines Geschäftsmannes an der Académie Royale des Beaux Arts zuerst konventionelle, klassisch-traditionelle Maltechniken.[1] Nach 5 Jahren der Ausbildung arbeitet er in Brüssel als Werbegrafiker und Plakatgestalter[2], wo er tagtäglich nicht nur zahlreiche Werbebilder, sondern auch die unablässig arbeitenden Maschinen der Industrieviertel zu Gesicht bekommt.[3] Nicht nur die glatten, großstädtischen Fassaden, sondern auch die der Plakate und der Maschinen werden sich in seinen Kunstwerken wiederfinden.
Künstlerische Anfänge: Surrealismus und Kubismus
Zuvor zieht es ihn jedoch nach Paris, wo er sich der aufkommenden surrealistischen Kunstbewegung um André Breton anschließt, als deren Schlüsselfigur Magritte häufig gesehen wird.[4] Deren Abbildungen des Irrealen und Rätselhaften faszinieren ihn ebenso wie der Kubismus und Picasso, der einen zweidimensional-flächigen Malstil pflegt, sodass Magritte beide Stile zu wenig analysierbaren, aus zerbrochenen Splittern bestehenden Figuren fusioniert.[5] Obwohl er von seinen späteren Werken noch weit entfernt zu sein scheint, weisen diese Bilder bereits deren wesentliche Charakteristika auf: eine glatt wirkende Oberfläche und Inhalte, die sich einer nur logischen Interpretation entziehen.
Glatte Oberflächen und unlösbare Rätsel
Von diesen Wurzeln her entwickelt er seinen eigenen, dynamisch wirkenden Malstil.[6] Seine Erfahrungen mit Plakaten[7] und maschineller Industrie erweisen sich dafür paradoxalerweise als paradigmatisch und konstitutiv, denn deren glatte Oberflächen werden sowohl in seinem künstlerischen Stil rezipiert als auch durch seine Inhalte durchkreuzt: Sehen wir zum Beispiel die Illusion eines zerbrechenden Fensters oder die Verwandlung eines Schuhs in einen Fuß - oder umgekehrt?
Dies kreiert die fast filmische Illusion einer Bewegung, da sich zwei Bilder gleichzeitig übereinander zu legen scheinen. Durch diese Bewegungsillusion verbleibt eine nicht auflösbare und unmöglich auf eine eindeutige Interpretation zu reduzierende enigmatische Rätselhaftigkeit. Magrittes Kunst wirft daher die Frage nach der menschlichen Wahrnehmung auf: Was stimmt, hängt von der individuellen Perspektive ab. Diese Doppeldeutigkeit[8], im Sinne einer Technik des Hintergründigen hinter einer glatt-normalen Fassade[9] perfektioniert der Künstler offensichtlich bis in sein eigenes Leben hinein, in dem er ein bürgerliches Äußeres pflegt.
Magritte zufolge ginge es in seinen Bildern vor allem um das Aufbrechen „absurder“, im Sinne von den Blick begrenzenden Denkkonventionen.[10] Ebenso widerspricht er der zur Simplifizierung neigenden Kunstauffassung damaliger Puristen, die das reale Objekt und die moderne Technik als Maßstab aller Kunst ansehen.[11] Diese Fixierung revidiert er deshalb nicht nur ästhetisch, sondern auch durch das permanente Umgestalten der von ihm gemalten Dinge.
„Ceci n’est pas une pipe“: sprachphilosophische Reflexionen
Große Aufmerksamkeit rufen auch seine visualisierten künstlerisch-sprachphilosophischen Reflexionen wie das bekannte Gemälde „Ceci n’est pas une pipe“ hervor. Hier hinterfragt Magritte eine als erstarrt wahrgenommene Verknüpfung von Bild, Wort und realem Gegenstand, was wahrscheinlich auf Saussure zurückzuführen ist.[12] Zum einen nimmt Magritte dadurch die heute in der Kulturwissenschaft als selbstverständlich betrachtete Auffassung einer Arbitrarität von Wort-und-Bild-Zuordnungen vorweg. Zum anderen reflektiert er dort auch seinen gesamten künstlerischen Stil: den gewollten und unauflösbaren Widerspruch zwischen der Gestaltung und dem rätselhaft-unergründlich Inhalt.
- von Sabrina Saskia Jordt -
Dieser studentische Glossar-Eintrag ist im Rahmen des Romanistik-Seminars "Das BelgienNet III - das Filmland Belgien" im Wintersemester 2022/2023 entstanden. Hier finden Sie die französische Fassung des Glossar-Eintrags.
Anmerkungen:
[1] Vgl. GOHR, Siegfried; Magritte, René [Illustrator], Magritte: das Unmögliche versuchen, Köln: DuMont 2009, S. 15.
[2] Vgl. Klingsöhr-Leroy, Cathrin; Grosenick, Uta (Hrsg.), Surrealismus, Köln [u.a.]: Taschen 2004, S. 64.
[3] Vgl. Belvisi, Fanny, Ceci n’est pas la Belgique. La Belgique de Magritte. Invitation Au Voyage. ARTE, in Youtube, 2022, https://www.youtube.com/watch?v=Ynm-Esj1U5Q [gesehen am: 01.02.2023].
[4] Vgl. GOHR, das Unmögliche, S. 9.
[5] Vgl. ebd., S. 16.
[6] Vgl. ebd., S. 20.
[7] Vgl. Klingsöhr-Leroy, Cathrin; Grosenick, Uta (Hrsg.), Surrealismus, S. 64.
[8] Vgl. ebd., S. 64.
[9] Vgl. ebd., S. 66.
[10] Vgl. Görgen-Lammers, Annabelle; Gaßner, Hubertus (Hrsg.), Surreale Begegnungen: Dalí, Ernst, Miró, Magritte ... : aus den Sammlungen Roland Penrose, Edward James, Gabrielle Keiller, Ulla und Heiner Pietzsch, München: Hirmer 2016, S. 152.
[11] Vgl. GOHR, das Unmögliche, S. 20.
[12] Vgl. Klingsöhr-Leroy, Cathrin; Grosenick, Uta (Hrsg.), Surrealismus, S. 62.
Quellenverzeichnis
GOHR, Siegfried; Magritte, René [Illustrator], Magritte: das Unmögliche versuchen, Köln: DuMont 2009.
Görgen-Lammers, Annabelle; Gaßner, Hubertus (Hrsg.), Surreale Begegnungen: Dalí, Ernst, Miró, Magritte ... : aus den Sammlungen Roland Penrose, Edward James, Gabrielle Keiller, Ulla und Heiner Pietzsch, München: Hirmer 2016.
Klingsöhr-Leroy, Cathrin; Grosenick, Uta (Hrsg.), Surrealismus, Köln [u.a.]: Taschen 2004.
Audiovisuelle Quellen:
Belvisi, Fanny, Ceci n’est pas la Belgique. La Belgique de Magritte. Invitation Au Voyage. ARTE, in Youtube, 2022, https://www.youtube.com/watch?v=Ynm-Esj1U5Q [gesehen am: 01.02.2023].