Ein Gespräch mit Nic Van der Marliere, Generaldelegierter der Regierung Flanderns in Deutschland
Die Redaktion des BelgienNets führte am 28. September ein Gespräch mit Nic Van der Marliere (hiernach: NM), dem Generaldelegierten der Regierung Flanderns in Deutschland. Das Gespräch fand im Rahmen des Dialogprogramms statt, das die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen am gleichen Tag an der Universität Paderborn veranstaltete. Während des Gesprächs fragten wir vor allem nach den Aufgaben eines Generaldelegierten, nach dem Ansehen Flanderns in Deutschland, sowie auch nach Herrn Van der Marlieres Meinung über das BelgienNet. Das Video zum Interview finden Sie unten.
YH: Was sind die Aufgaben eines Generaldelegierten der flämischen Regierung in Deutschland und welche Prioritäten setzen Sie persönlich?
NM: Der Generaldelegierte vertritt alle Kompetenzen der Flämischen Regierung in Deutschland. Ich tue für die flämische Regierung, was der belgische Botschafter für die Bundesregierung Belgiens tut. Wir sind aber gleich befugt, da es im belgischen System keine hierarchischen Unterschiede zwischen der flämischen und der Bundesregierung gibt. Der Schwerpunkt der Befugnisse liegt seit der letzten Staatsreform aber zunehmend bei den Teilstaaten Belgiens. Meine Befugnisse konzentrieren sich seit der letzten Staatsreform auf Unterricht, Jugend, Sport, Mobilität, Wissenschaft, Studium, Agrikultur oder Fischerei.
YH: Was beinhaltet Ihre Mission konkret? Können Sie Beispiele Ihrer Aktivitäten nennen?
NM: Es ist ein sehr interessanter Job, weil man gerade mit diesen unterschiedlichen Kompetenzen beschäftigt ist. An einem Tag setzt man sich mit der akademischen Zusammenarbeit auseinander, wie hier an der Universität Paderborn, am nächsten Tag geht es um eine Ausstellung über Rubens oder Van Dyck oder man unterstützt Forschung, zum Beispiel nach der Bedeutung von Henri van de Velde in Deutschland. Am nächsten Tag geht es wieder um Mobilität, wie zum Beispiel das überaus wichtige 3RX-Trajekt, das die wichtigen Häfen Flanderns mit der deutschen Industrie verbindet und das alte "IJzeren Rijn"-Trajekt ersetzt. Hier entsteht eine wichtige Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Flandern und den Niederlanden. Generaldelegierter zu sein, ist ein vielseitiger Job: Man muss multidisziplinär sein und von allem etwas wissen, aber nicht alles von allem.
YH: Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Bekanntheit Flanderns in Deutschland? Kennt der durchschnittliche Deutsche Flandern (und Belgien überhaupt)?
NM: Doch. Ich denke, dass der durchschnittliche Deutsche Belgien kennt. Es hängt aber von der Region ab. Man könnte die Frage umdrehen und fragen, wie gut jemand aus Mecklenburg-Vorpommern etwa Paderborn kennt. Geografische Distanz spielt eine Rolle, denn benachbarte Bundesländer kennen Belgien und Flandern bestimmt gut. Viel mehr Menschen kennen Flandern, meine ich aber, wegen der flämischen Kunst und Kultur. Wenn man Rubens, Bruegel, Van Eyck und Van Dyck nennt, dann weiß jeder, dass die Flamen große Kunst fortgebracht haben. Warum sollte man die flämische Kunst nicht kennen?
YH: Sie gaben im Newsletter „Kultur aus Flandern“ zu erkennen, die Verbreitung flämischer Kunst in Deutschland fördern zu wollen. Was sind Ihre Strategien?
NM: Selbstverständlich ist es nicht Aufgabe eines Botschafters, Privatinitiative zu ersetzen. Unsere Mission besteht darin, Ausschau danach zu halten, wo in Deutschland Interesse an flämischen Künstlern, Kunst und Literatur besteht und wo wir unterstützen können. Wir unterstützen hauptsächlich, das heißt: Dass Räume gemietet werden können, dass Museen unterstützt werden, dass Konzertsäle unterstützt werden wo flämische Künstler auftreten. Das möchte ich in ganz Deutschland fördern, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Brandenburg und Bayern zum Beispiel.
YH: Wie gefällt Ihnen das Kunstwerk von Frau Christine Vanoppen, das hier in der Belgien-Lounge [in der Bibliothek der Universität Paderborn] zu sehen sein wird?
NM: Ich finde es großartig. Es wird wunderbar in die Leselounge passen, denn es hat Tiefgang und zeugt prächtig vom Können flämischer Künstler. Zudem ist es das schönste Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen einer flämischen Künstlerin und uralter Glaskunst der Firma Peters aus Paderborn, die enorme Erfahrung in Glaskunst vorweisen kann. Was für eine prächtige Zusammenarbeit zwischen Flandern und Deutschland, zwischen zwei Künstlern, die an dieser Universität Schönes verewigen.
YH: Was macht, Ihrer Ansicht nach, die flämische Kunst so besonders oder so attraktiv für Deutschland?
NM: Eine schwierige Frage. Ich kann nur feststellen, dass unsere Kunst seit dem Mittelalter überall geschätzt wird. Man könnte sagen, wir sind in allem Pioniere: In Theater, Ballet und definitiv was Malerei betrifft. Ich wage zu behaupten, dass Jan van Eyck die Fundamente für die italienische Malerei gelegt hat oder dass Rubens den Barock in Deutschland, besonders in Nordrhein-Westfalen, introduziert hat. Wenn flämische Kunst damals innovativ war, dann ist sie es heute immer noch. International weiß man zu schätzen, dass die flämische Kunst innovativ ist und sich weiterentwickelt, neue Grenzen aufsucht.
YH: Sie haben bestimmt vernommen, dass die Plattform BelgienNet online gegangen ist. Wie sind Ihre Eindrücke bisher?
NM: Es ist ein sehr guter Start und eine schöne Initiative. Ich denke, dass es auch enormes Wachstumspotential hat. Definitiv könnten mehr Partner dem BelgienNet auch mehr Material zur Verfügung stellen. Aber es ist ein prächtiges Forum für jeden, der mehr über Belgien vernehmen möchte.
YH: Gibt es Themen, die Sie persönlich gern auf BelgienNet erörtert sehen möchten?
NM: Ich denke, dass man vor allem noch besser erklären soll, was Belgien ist und wie Belgien funktioniert. Meine langjährige Erfahrung in der Diplomatie ist, dass Belgier noch zu oft annehmen, dass man uns im Ausland kennt und genau beobachtet. Dem ist aber nicht so. Das ist vielmehr eine Idee Fixe. Es gibt besonders viele Vorurteile. Wir müssen vielmehr aktiv erklären, was wir heute sind: Dass Belgien ein Land in der Mitte von Europa ist, das sich in eine bestimmten Richtung entwickelt. Wir sind kein einfaches Land, um es aus der Fremde verstehen zu können. Wir gehen davon aus, dass wir keiner Erklärung bedürfen. Wir müssen wesentlich aktiver auftreten, um uns „auf die Karte zu setzen“.
Das Gespräch führte Yves Huybrechts (YH).
Das Video zum Interview: