
Eine Einführung in die belgische Staatsstruktur könnte Gegenstand eines mehrere hundert Seiten langen Werkes sein, da die Erklärung eines Aspekts fast unausweichlich die eines anderen erfordert. Im Rahmen dieses Beitrages können somit nur die Grundzüge der belgischen Staatsstruktur erläutert werden. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf der Föderalstruktur liegen (I), die sich Belgien mit der Bundesrepublik teilt, auch wenn die Art und Weise, wie diese beiden Strukturen aufgebaut sind, sich grundlegend unterscheidet. Kurz erwähnt wird im Anschluss eine Eigenschaft, die das Königreich Belgien dem Anschein nach von der Bundesrepublik Deutschland unterscheidet (II). Hinweis: Die Entwicklung Belgiens von einem unitarischen zu einem föderalen Staat wird in dieser Infografik erklärt.
1. Der Föderalstaat Belgien
1. 1 Föderalbehörde, Regionen und Gemeinschaften
Aus den ersten Artikeln der belgischen Verfassung geht hervor, dass das Königreich Belgien ein Föderalstaat ist, der sich, zusammengefasst, in folgender Art und Weise zusammensetzt:
- eine Föderalbehörde, die sozusagen das Gegenstück des Bundes der Bundesrepublik Deutschland ist;
- zwei verschiedene Arten von Teilstaaten, die den Ländern der Bundesrepublik Deutschland entsprechen. So gibt es drei Regionen (die Brüsseler Region, die Flämische Region,[1] die Wallonische Region) und drei Gemeinschaften (die Deutschsprachige Gemeinschaft, die Flämische Gemeinschaft, die Französische Gemeinschaft).[2]
Die Föderalbehörde und die verschiedenen Teilstaaten verfügen sowohl über ein gewähltes Parlament, als auch über eine Regierung, durch die sie Gesetzgebungs- und Ausführungsbefugnisse in verschiedenen Materien und verschiedenen Teilen Belgiens ausüben.
Terminologisch sei erwähnt, dass die Normen mit Gesetzeskraft der Föderalbehörde „Gesetze“ genannt werden und die der Teilstaaten „Dekrete“, mit Ausnahme der Brüsseler Region, bei der man – aus verschiedenen Gründen – von „Ordonnanzen“[3] spricht. Besonders wichtig ist, dass die von der Föderalbehörde und den Teilstaaten erlassenen Normen – darunter vor allem die Bestimmungen mit Gesetzeskraft – in ihrem jeweiligen Anwendungsgebiet in der Regel gleichwertig sind[4].
1.2 Territoriale und materielle Zuständigkeiten im Föderalstaat Belgien
a) Territoriale Zuständigkeiten
Die Föderalbehörde ist territorial für das gesamte belgische Königreich zuständig. Die verschiedenen Gemeinschaften und Regionen hingegen sind nur für einen Teil dieses Königreichs zuständig.
Die territoriale Zuständigkeit der Gemeinschaften orientiert sich generell anhand der sogenannten Sprachgebiete, die im Rahmen der Entwicklung des belgischen Föderalismus entstanden sind und in Artikel 4 der Verfassung verankert wurden.[5] Die Französische Gemeinschaft übt Befugnisse im französischen Sprachgebiet sowie im zweisprachigen[6] Gebiet Brüssel-Hauptstadt aus.[7] Die Flämische Gemeinschaft übt diese im niederländischen Sprachgebiet und im zweisprachigen Gebiet Brüssel-Hauptstadt aus.[8] Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist im deutschen Sprachgebiet zuständig.[9] Die genauen Umrisse der verschiedenen Sprachgebiete werden durch die am 18. Juli 1966 koordinierten Gesetze über den Sprachengebrauch in Verwaltungsangelegenheiten definiert.[10]
Die territoriale Zuständigkeit der Regionen orientiert sich generell anhand der Provinzen, in die Belgien seit 1831 aufgeteilt ist. Die Wallonische Region umfasst die Provinzen Hennegau, Luxemburg, Namur, Wallonisch-Brabant und Lüttich, welche auch das hiervor erwähnte Gebiet deutscher Sprache umfasst. Die Flämische Region umfasst die Provinzen Antwerpen, Flämisch-Brabant, Limburg, Ostflandern und Westflandern.[11] Die Brüsseler Region stimmt mit dem Verwaltungsbezirk Brüssel-Hauptstadt überein.[12]
b) Materielle Zuständigkeiten
Die materiellen Zuständigkeiten der Föderalbehörde und der verschiedenen Teilstaaten werden durch mehrere Artikel der Verfassung, sowie durch sogenannte Sondergesetze[13] und einfache Gesetze[14]
Eine komplette Übersicht bezüglich der materiellen Befugnisse würde den Rahmen dieser Einleitung weit überschreiten; [15] zusammengefasst kann man Folgendes hervorheben.
Im Gegensatz zur Situation in der Bundesrepublik Deutschland verfügt in Belgien die Föderalbehörde über alle Zuständigkeiten, die nicht explizit den Teilstaaten zugetragen wurden (Residualbefugnis)[16].
So verfügt die Föderalbehörde über ausgedehnte Zuständigkeiten im Bereich der Justiz, der Sicherheit (Föderalpolizei und Armee), der Asylpolitik, der sozialen Sicherheit, oder auch der Geldpolitik.
Wichtig ist aber auch, dass die meisten institutionellen Angelegenheiten – also die, die die Organisation der Teilstaaten und die Zuständigkeitsverteilung innerhalb Belgiens betreffen – auf Ebene der Föderalbehörde entschieden werden. Es wurden zwar Fortschritte bezüglich der konstitutiven Autonomie der Teilstaaten gemacht, man muss aber feststellen, dass beispielsweise das Finanzierungssystem der Teilstaaten (beinahe) vollkommen von der Föderalbehörde abhängig ist.
Die Gemeinschaften verfügen über Zuständigkeiten:[17]
- im kulturellen Bereich, unter anderem in Bezug auf den Schutz und die Veranschaulichung der Sprache, die schönen Künste, oder auch die Medien. So gibt es beispielsweise pro Gemeinschaft mindestens einen öffentlichen Fernsehsender: RTBF, VRT und BRF;
- im Schulwesen, welches einen Großteil des Budgets der Gemeinschaften ausmacht;
- in den personenbezogenen Angelegenheiten, darunter beispielsweise die Familienzulagen, die Sozialhilfe, die Seniorenpolitik oder auch die Jugendhilfe;
- im Bereich der Regelung des Gebrauchs der Sprache, beispielsweise bezüglich der Arbeitsverhältnisse.