Abstract

Dieser Beitrag stellt die Frage, ob die Einwohner der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (hiernach: Ostbelgier) eine eigene kulturelle Identität haben. Um Antworten zu finden, ist es erforderlich, die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Zunächst befassen wir uns mit wissenschaftlicher Literatur, u.a. zur Geschichte und Entwicklung Ostbelgiens sowie zur allgemeinen Definition von Identität, um zu analysieren, wieso die kulturelle Identität Ostbelgiens eine Besonderheit darstellt. Danach ist es notwendig, die tatsächlichen aktuellen Erfahrungen und Empfindungen der Einwohner Ostbelgiens einzubeziehen. Dabei stellt sich die Frage, ob die Wissenschaft in ihren Erkenntnissen wirklich das herausgefunden hat, was die Bürger vor Ort in ihrem alltäglichen Leben erfahren. Hierfür werden Befragungen herangezogen ("Vox Pop"). Zum Schluss folgt noch eine Analyse der Rolle der Ostbelgier als potentielle Kulturvermittler nach Michel Espagne.

Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung

"Ostbelgien". Was weiß man von dieser belgischen Region? Ist es überhaupt eine Region? Es fällt auf, dass gerade in Deutschland nicht viele Menschen wissen, dass es diesen deutschsprachigen Teil Belgiens gibt. Genau deshalb ist es erforderlich, hierüber aufzuklären. Wodurch ist die kulturelle Identität der Ostbelgier wirklich geprägt und woraus besteht sie? Die Betrachtung dieser Frage erweckt den Eindruck, Ostbelgien sei ein „Zwischenland“. Grundsätzlich kann konstatiert werden, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft, „die 1973 […] als 'deutsche Kulturgemeinschaft' entstand, ein Nebenprodukt des flämisch-wallonischen Konfliktes ist“.[1] Dieses Zitat enthält schon einen wichtigen Hinweis, denn die Region wirkt hierin als „Nebenprodukt“ unbedeutsam und ohne eigene kulturelle Identität. Aber stimmt das?

Zur Analyse der Fragestellung muss zunächst einmal verstanden werden, was Ostbelgien ist und wo es sich überhaupt befindet. Es handelt sich streng genommen um die Deutschsprachige Gemeinschaft, die aus verfassungsrechtlicher Perspektive keine eigene Region Belgiens ist, sondern als Sprachgemeinschaft innerhalb der Region Wallonien liegt. Ostbelgien erstreckt sich längs der belgisch-deutschen Grenze. Im Norden stößt es an die Niederlande und im Süden an das Großherzogtum Luxemburg. Es hat ein Territorium von ungefähr 80 km Länge und 20 bis 30 km Breite. Es besteht größtenteils aus den ehemals preußischen Kantonen (daher auch oft "Ostkantone" genannt) Eupen und Sankt-Vith, aber ohne Malmedy.[2]