Abstract

Wie genau arbeitet eigentlich das Europäische Parlament, wie viele Sterne hat die europäische Flagge und was haben Haie mit dem Fischereiausschuss zu tun? Diesen und anderen Fragen geht die Fernsehserie Parlament auf den Grund. Dabei arbeitet sie neben vielen filmischen Mitteln vor allem mit einem: Humor.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

„Es gibt eine Fernsehsendung über Europa? Wie langweilig“, findet der Hauptcharakter von Parlament und setzt damit den selbstironischen Ton, der auch alle anderen Folgen durchziehen wird.

Die inzwischen zwei Staffeln umfassende Serie, eine belgisch-deutsch-französische Produktion von Noé Debré, erzählt mit Witz und Humor die Abenteuer des neu angestellten Parlamentsassistenten, Samy Kantor. Er arbeitet für den französischen Abgeordneten Michel Specklin, der jedoch keine große Hilfe in der Unübersichtlichkeit der Bürokratie im Europäischen Parlament ist. Stattdessen erhält der unerfahrene junge Mann Unterstützung von deutscher und englischer Seite: Torsten arbeitet für die deutsche politische Beraterin Ingeborg, Rose für die Brexit-Abgeordnete Sharon. Gemeinsam arbeiten sie an einem Änderungsantrag für die Finning-Vorlage (die das Abschneiden von Haifischflossen zum Verkauf auf dem chinesischen Markt verhindern soll), für die Samy als Folge eines Missverständnisses Verantwortung übernimmt. Obwohl die Verabschiedung der Vorlage von verschiedener Seite zu verhindern versucht wird, gelingt Samy diese am Ende der ersten Staffel.

Tatsächlich soll die fiktive Serie in Brüssel spielen, während der Drehort aus Platzgründen in das Parlament in Straßburg verlegt wurde.[1] Parlament wird insgesamt in drei Sprachen gespielt: Abwechselnd sprechen die Darsteller*innen Französisch, Englisch oder Deutsch, abhängig davon, an wen sie sich gerade wenden.[2]

Politsatire – eine Annäherung

Die Politische Satire oder Politsatire steht für die Behandlung politischer Themen mit satirischen Mitteln. Es handelt sich um eine Variante der Satire, die politischen Gegebenheiten und Institutionen mit Spott und Systemkritik begegnet. Im Gegensatz zur Komödie, die für ein befreiendes Lachen sorgen möchte, will die Politsatire Einsicht in die Fehler oder die Lächerlichkeit des politischen Systems beim Publikum sorgen. Dabei nimmt sie deutlichen Bezug zur karikierten Wirklichkeit und tätigt Aussagen oftmals so geschickt versteckt, dass sie damit die Zensur passieren kann. Zu guter Letzt arbeitet die Politsatire mit einem bewussten Verzicht auf psychologische Konfliktentwicklungen, wodurch die Möglichkeit einer emotionalen Identifikation verhindert wird.[3] In den folgenden Szenenanalysen soll geschaut werden, inwieweit sich die hier genannten Kriterien auf die Serie Parlament anwenden lassen.

Szenenanalyse

Erste Szene: Episode 3, 00:00-02:02 (Hauptsprache: Französisch)

Samy bittet den politischen Beamten Eamon um Hilfe mit seiner Finning-Vorlage. Dieser beginnt seine Erklärung mit den Worten „Ab hier wird es ganz einfach“, nur um dann auf komplizierte Art und Weise den Kompromiss F zu erklären (der wiederum aus verschiedenen kontroversen Änderungsanträgen besteht). Als Samy fragt, wie er die verschiedenen Beteiligten mit diesen kontroversen Vorschlägen zu einer Einigung bringen soll, erwidert Eamon gelassen, dass er diese Frage nicht beantworten könne. Auf Samys Nachfrage, weshalb nicht, zieht er ein Beispiel mit einer Wurst heran (frz. Original: « Vous voyez une saucisse? »). Eamon sei als Verwaltungsorgan die Wurstfüllmaschine und die Abgeordneten würden darüber entscheiden, womit die Wurstfüllmaschine gefüllt wird. Als Samy fragt, was denn als Füllung in Frage käme, antwortet Eamon: „Ich bin nicht befugt, Ihnen Wurstrezepte zu liefern. Es ist Aufgabe Ihres politischen Beraters, Ihnen da Orientierung zu schaffen.“

Diese Szene ist ein gutes Beispiel für das, was Politsatire unter anderem tut: ‚verhülltes‘ bzw. ‚verdecktes‘ Sprechen. Eamon ist in seiner Position nicht dazu befugt, Samy Hinweise darüber zu geben, was dieser in der Vorlage ändern soll, er kann ihn jedoch auf jemand anderen verweisen, der dies kann (in diesem Fall der zuständige politische Berater). Es wird eine kreative Analogie als verdeckter Hinweis zu Samys Frage gewählt – Wurst und/oder Politik machen –, aber auf eine Art und Weise, dass es später nicht mehr ‚rückverfolgbar‘ ist. Eamon nutzt das mitunter seltsam wirkende Beispiel, um im Zweifelsfall behaupten zu können, er habe mit Samy nur über Würste geredet. An dieser Stelle zeigt sich ein Element der Politsatire: Sie tätigt Aussagen oftmals so geschickt versteckt, dass sie damit die Zensur passieren kann. Ebenso bewertet die Serie das politische System an dieser Stelle humorvoll.

„Gesetze sind wie Würste“, schließt Eamon seinen Vortrag. „Man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“ Dieses Zitat von Bismarck wirkt in der Originalversion noch verstärkt, da Eamon an dieser Stelle von Französisch ins Deutsche wechselt und Samy letzteres nicht versteht.

Zweite Szene: Episode 5, 05:07-07:10 (Hauptsprache: Französisch)

In dieser Szene gibt Samy eine Führung für eine Gruppe pensionierter, aus Frankreich angereister Lehrkräfte, für die ihn Michel kurzerhand verantwortlich gemacht hat. Während Samy nach hier und dort deutet, kommen von hinten klischeehafte Fragen wie „Wann waren die ersten europäischen Wahlen?“ (die Samy nicht beantworten kann), „Wie viele Sterne hat die europäische Fahne?“ (Samy: „28?“ – „12. Wissen Sie auch warum?“) und „Stimmt es, dass Sie hier keine Steuern zahlen?“ (tut es nicht, das sei ein Klischee). Als Samy mit der Gruppe in den Plenarsaal gehen will, ist dieser unvorhergesehener Weise abgeschlossen. Es kommt zu einem Hin und Her zwischen ihm und den Lehrkräften, bis Samy widerwillig zugibt, er habe vergessen, die Mail abzuschicken, die über den Besuch informiert hätte. Eine Lehrerin fragt daraufhin empört: „Warum schieben Sie es der europäischen Union in die Schuhe?“ Samy weist dann daraufhin, dass er wegen seiner Vorlage in seinen Ausschuss muss, und nach der Erwähnung der deutschen politischen Beraterin Ingeborg und der fälschlichen Annahme, Samys Vorlage würde gegen deutsche Interessen gehen, zeigen sich die Lehrkräfte mehr als hilfsbereit.

Diese Szene ist aus filmwissenschaftlicher Perspektive interessant, da sie von vielen schnellen Schnitten und einer durchweg wackeligen Kamera geprägt ist. Am Anfang befindet sich die Kamera (und damit auch die zuschauende Person) vor der Gruppe mit Samy an der Spitze, und bewegt sich rückwärts vor ihr her. Nach dem Cut zur nächsten Szene sieht man, wie die Gruppe um eine Ecke kommt. Die Perspektive der Kamera vermittelt einem das Gefühl, man habe nur auf sie gewartet. Es folgt eine Sequenz mit vielen schnellen Schnitten, hin und her zwischen Samy und den verschiedenen Lehrkräften. Währenddessen bleibt die Kamera in Bewegung, sie steht also nicht auf einem Stativ, sondern wird von einer Person gehalten. Während der Diskussion um den verschlossenen Plenarsaal und als Samy seinen eigenen Fehler zugibt, wird viel mit Shot und Gegenshot gearbeitet sowie mit abwechselnd Frosch- und Vogelperspektiven. Damit wird nicht nur das Größenverhältnis, sondern auch das moralische Verhältnis vermittelt (zum Beispiel, als einer der Lehrer Samy vorhält, selbst schuld zu sein, wird Samys Sicht auf ihn aus der Froschperspektive dargestellt).

Mit der Zeit verändert sich die Position der Kamera, bis sie einen Teil in der Gruppe annimmt. Zunächst füllt sie die Lücke, die zwischen Samy und den anderen ist. Spätere Perspektiven können aber nur entstehen, wenn sich die Kamera innerhalb der Gruppe befindet. Gerade als Samy gegen Ende hin seine Vorlage erwähnt, scheint die Gruppe enger zusammenzurücken. Als Ingeborg in einem Gang in der Nähe auftaucht, versteckt Samy sich hinter den Lehrkräften und wird damit endgültig Teil der Gruppe. Während der Diskussion über die deutschen und französischen Interessen in der Vorlage, die so an sich gar nicht existieren, aber auch nicht von Samy korrigiert werden, ist die Kamera sogar noch dichter in der Gruppe. Sie vermittelt das Gefühl, Teil des Ganzen zu sein. Als wäre man Teil einer geheimen Planung, die niemand außerhalb der Gruppe mitbekommen darf.

Dritte Szene: Episode 9, 18:00-23:20 (Hauptsprache: Deutsch)

Diese Szene könnte als Schlüsselszene der Serie bezeichnet werden. Schaut man sich Kritiken im Internet zu Parlament an, so wird sie oftmals als Ingeborgs Rede erwähnt.[4] Für ein besseres Verständnis sollte man sich aber zunächst den Teil davor anschauen.

Eamon steht in einem Badezimmer und wäscht sich gerade die Hände, als Ingeborg mit den Worten „Sie waren das!“ hereingestürzt kommt. Sie bezieht sich auf das Einreichen von Samys Vorlage zur Abstimmung in Straßburg, was sie durch eine letzte List zu verhindern versucht hatte. Da dies nicht geklappt hat, verdächtigt sie (zurecht) den Beamten des Europäischen Parlaments. Ingeborg wirft ihm vor, sich als Beamter nicht einmischen zu dürfen („Sie sind nicht einmal Teil dieses Spiels.“), doch Eamon reagiert gelassen. „Wir Beamte sind die Hüter der Institution. Dieses Spiel, wie Sie es nennen, hat Regeln. Wir sind hier, um sie zu bewahren. Sowohl deren Buchstabe als auch deren Geist. Das ist unsere Mission. Das ist meine Mission.“

Mit diesen Worten lässt Eamon die politische Beraterin alleine, die sich nach einem Wutausbruch am Waschbecken abstützt. An dieser Stelle „löst“ sich ihr Spiegelbild von ihr und entwickelt eine Art Eigenleben. Ingeborgs Rede wird von derjenigen im Spiegel geführt, während die ‚echte‘ etwas in den Hintergrund rückt. „Liebe die EU, huh? Wohl eher: Fuck die EU. Fuck die EU und alle, die dabei sind.“ Mit ähnlichen Worten gestaltet sich die fast vier Minuten lange Rede, die sich gegen die einzelnen europäischen Mitgliedstaaten, zuletzt aber auch gegen die EU-Bürger, die europäischen Beamten und Ingeborg selbst richtet. Sie ist herablassend, herausfordernd und provoziert. Während ihrer Rede werden im Hintergrund Realaufnahmen gezeigt, sowohl von verschiedenen Orten innerhalb der EU als auch von deren Politikern. Diese werden abwechselnd in Fernsehaufnahmen, Interviewausschnitten und Live-Übertragungen gezeigt, aber auch die entsprechenden Charaktere der Serie kommen zur Geltung. Insgesamt wird die Handlung der Serie für einen Moment pausiert, um Platz zu schaffen für Ingeborgs Rede. Nach ihrem Fazit: „750 Volksvertreter für 750 Versionen, was die Menschen eigentlich wollen. Hart, was? Willkommen in der Demokratie, Bitch“ werden Spiegelbild und Ingeborg wieder eins.

Was genau ist nun das Besondere an dieser Szene? Zum einen die Darstellung als innerer Monolog. Die Gedanken der Charaktere werden an keiner anderen Stelle so deutlich, und sonst nur über Gestik und Mimik vermittelt. Zum anderen die Asymmetrie durch den Spiegel. Die dabei entstehende doppelte Perspektive ist hier als Stilmittel bezeichnend. Ebenso nutzt die Serie nur selten realweltliche Referenzen, höchstens, wenn jemand einen kurzen Ausschnitt aus einem Interview im Fernsehen schaut. Dadurch entsteht eine gewisse Distanz in der fiktiven Serie: Es wird etwas gezeigt, das sich so in der Realität abspielen könnte, aber nicht muss. Die echten TV-Bilder in Ingeborgs Rede zerstören das, durchbrechen die vierte Wand und verhindern so das entspannte Zurücklehnen und Zuschauen. Verstärkt wird dies noch durch Ingeborgs Ansprache an die EU-Bürger: „Ihr seid es nicht wert, dass wir uns Mühe geben, euer Leben besser zu machen.“ Zuletzt wirkt diese Szene im Vergleich zum lustig leichten Ton der Serie sehr ernst. Sie regt zum Nachdenken an und fordert auf, genauer hinzuschauen. Aber auch hier werden die satirischen Aspekte beibehalten. Ingeborgs Rede ist umgangssprachlich, durchzogen von Beleidigungen und Schimpfwörtern. Im Gegensatz zum verhüllten Sprechen, wie in der ersten Szene, werden hier durch Übertreibung und Überdramatisierung stark explizite Aussagen getroffen. Damit wirkt auch diese Szene zum einen satirisch-beißend und theatralisch im wahrsten Sinne, zum anderen wird ein ‚wahrer Kern‘ durch das Anprangern von Missständen in der Politik der EU-Länder ersichtlich. Möglicherweise wird schließlich auch eine Empathisierung mit der bisher unnahbaren Figur Ingeborg erreicht, die hier psychologisiert wird: Der Rezipient erfährt von ihren Motiven und ihrer – sicherlich auch nachvollziehbaren – Frustration.

Die erste Staffel ist noch bis zum 18.04.2023 in der One-Mediathek verfügbar, die zweite bis zum 30.04.2023. Die dritte Staffel soll im Laufe diesen Jahres erscheinen.[5]

- von Svenja Lensch -

Dieser studentische Text ist im Rahmen des Romanistik-Seminars "Das BelgienNet III - das Filmland Belgien" im Wintersemester 2022/2023 entstanden. Hier finden Sie die französische Version dieses Artikels.

Anmerkungen:

[1] Vgl. BELSOEUR, Camille, „Une comédie politique assumée : comment la série „Parlement“ plonge dans les coulisses des institutions européennes“, in: franceinfo (09.05.2022), URL: https://www.francetvinfo.fr/culture/series/une-comedie-politique-assumee-comment-la-serie-parlement-plonge-dans-les-coulisses-des-institutions-europeennes_5127457.html (22.02.2023).

[2] Vgl. RIVALLAIN, Youna, „Parlement : enfin une série sur l’Europe“, in: La Vie (10.04.2020), URL: https://www.lavie.fr/ma-vie/culture/parlement-enfin-une-serie-sur-leuropenbsp-2575.php (12.02.2023).

[3] Vgl. BRUNNER, Philipp, „politische Satire“, in: Lexikon der Filmbegriffe (18.02.2022), URL: https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/p:politischesatire-2991, (12.02.2023).

[4] Vgl. NICOLAS, „Parlement : une série sur les coulisses de Bruxelles”, in: Regards d’un Européen (04.05.2020), URL: https://regardseuropeen.org/2020/05/04/parlement-une-serie-sur-les-coulisses-de-bruxelles/, (12.02.2023).

[5] Vgl., BONFILS, Margaux, „Parlement : la saison 3 de la série satirique des institutions européennes en tournage à Strasbourg”, in: franceinfo (07.12.2022), URL: https://www.francetvinfo.fr/culture/series/parlement-la-saison-3-de-la-serie-satirique-des-institutions-europeennes-en-tournage-a-strasbourg_5529375.html, (12.02.2023).

Quellenverzeichnis

BELSOEUR, Camille, „Une comédie politique assumée : comment la série „Parlement“ plonge dans les coulisses des institutions européennes“, in: franceinfo (09.05.2022), URL: https://www.francetvinfo.fr/culture/series/une-comedie-politique-assumee-comment-la-serie-parlement-plonge-dans-les-coulisses-des-institutions-europeennes_5127457.html (22.02.2023).

BONFILS, Margaux, „Parlement : la saison 3 de la série satirique des institutions européennes en tournage à Strasbourg”, in: franceinfo (07.12.2022), URL: https://www.francetvinfo.fr/culture/series/parlement-la-saison-3-de-la-serie-satirique-des-institutions-europeennes-en-tournage-a-strasbourg_5529375.html, (12.02.2023).

BRUNNER, Philipp, „politische Satire“, in: Lexikon der Filmbegriffe (18.02.2022), https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/p:politischesatire-2991, (12.02.2023).

NICOLAS, „Parlement : une série sur les coulisses de Bruxelles”, in: Regards d’un Européen (04.05.2020), URL:  https://regardseuropeen.org/2020/05/04/parlement-une-serie-sur-les-coulisses-de-bruxelles/, (12.02.2023).

RIVALLAIN, Youna, „Parlement : enfin une série sur l’Europe“, in: La Vie (10.04.2020), URL: https://www.lavie.fr/ma-vie/culture/parlement-enfin-une-serie-sur-leuropenbsp-2575.php (12.02.2023).

Audiovisuelle Quellen

Parlament (2020, Deutschland, Belgien, Frankreich), Regie: Emilie Noblet, Jérémie Sein.