Abstract

Image ist französisch für Bild, Vorstellung, Abbild. Der belgische Film, der 2014 unter der Regie von Adil El Arbi und Bilall Fallah unter diesem Titel erschienen ist, spielt im zweifachen Sinn mit der Bedeutung des Wortes: Hauptsächlich geht es um das Bild der Marokkaner in Belgien, die stereotypisiert werden und dementsprechend einer bestimmten Vorstellung entsprechen. Der Film thematisiert aber auch das individuelle ‚Image‘ bzw. den Ruf der beiden Protagonisten: der Journalistin Eva und des Marokkaners Lahbib. Der Film wurde dementsprechend nach seinem Hauptthema benannt. Eva möchte einen Dokumentarfilm über das einwanderungsstarke Molenbeek, das zur Region Brüssel-Hauptstadt gehört, drehen und wird von Lahbib herumgeführt. Der Film nimmt zum Schluss eine unerwartete Wendung, die den Titel Image und seine Bedeutung nochmals kritisch darstellt und das marokkanische Stereotyp hinterfragt, es sogar aufbricht.

Inhaltsverzeichnis

Stereotypie

Um das Bild des Marokkaners in diesem Film genauer zu analysieren, muss zuerst der Begriff „Stereotyp“ definiert werden:

Die einen denken zuerst an vorurteilsbehaftete Vorstellungen über Fremde, wie sie gesellschaftlich verbreitet sind, andere assoziieren bei ‚Stereotypen‘ sprachliche Fertigformeln in der Art standardisierter Redewendungen, wieder andere normierte Bilder oder auch eingebürgerte narrative Wiederholungsformen.[1]

Das bedeutet, dass eine Person nicht mehr als solche wahrgenommen wird, sondern sie generalisiert, sogar ent-individualisiert wird.[2] Die beiden Psychologen Daniel Katz und Kenneth Braly beschreiben das Stereotyp als Phänomen, bei dem eine normierte Vorstellung über Menschen entsteht, die sich durch ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe kennzeichnen. Dies kann sich auf die Nationalität, Herkunft, Berufsrolle, soziale Klasse, Geschlecht etc. oder auch auf ein die jeweilige Kategorie symbolisierendes Merkmal beziehen.[3] Zudem werden dem Stereotyp in sozialwissenschaftlichen Konzepten sieben wichtige Qualitäten zugesprochen, die von Katz und Braly zusammengetragen wurden und welche oft sehr nah beieinander liegen bzw. sich zum Teil überschneiden. Man findet diese Qualitäten im Film Image wieder, sodass sie im Folgenden mithilfe von Beispielen erörtert werden.

Die sieben Qualitäten des Stereotyps

Die erste Qualität ist die Stabilität: Das Stereotyp sei dauerhaft mental bei dem wahrnehmenden, bewertenden Individuum fixiert. Als zweite Qualität wird die Konformität genannt: Stereotype „seien intersubjektiv innerhalb bestimmter sozialer Formationen verbreitet, für die sie Konsens stiftende oder normierende Funktionen besitzen.“[4] Dies bedeutet vereinfacht gesagt, dass man mit der Einstellung der anderen, im Sinne seiner sozialen Gruppe, meist übereinstimmt. Dazu passend ist der Second-Hand-Charakter als dritte Qualität: Das Stereotyp, das im Kopf des Individuum existiert, beruht meist nicht auf den eigenen Erfahrungen, sondern es wurde innerhalb der Gesellschaft vermittelt bzw. weitergegeben.[5] Diese drei Qualitäten lassen sich in der Anfangsszene (00:04:00 – 00:05:55) des Films erkennen, in der eine Sequenz aus Schlagzeilen und Nachrichten verschiedener Medien gezeigt wird, in denen es um Gewaltverbrechen geht, die von Menschen mit afrikanischem bzw. marokkanischem Hintergrund ausgeführt wurden. Diese ausschließlich in Bezug zur Kriminalität stehenden Informationen werden der Gesellschaft vermittelt, sodass sich dies in den einzelnen Köpfen verankert, ohne möglicherweise selbst jemals in einen Konflikt mit Menschen marokkanischen Ursprungs gekommen zu sein. Diese einleitende Szene soll an dieser Stelle außerdem zeigen, weshalb Eva die Dokumentation über Molenbeek drehen möchte: Sie möchte das Negativimage der Marokkaner bzw. des Viertels entkräften und eine andere, positive Perspektive zeigen, um das Stereotyp aufzubrechen.

Die Reduktion gilt als vierte Qualität des Stereotyps, was bedeutet, dass das Stereotyp nur auf wenige Merkmale beschränkt wird,[6] wie zum Beispiel Aggressivität. In einer U-Bahn-Szene (00:12:33 – 00:13:20) fordern Lahbib und seine zwei Freunde auf unhöfliche Weise einen Mann auf, den Sitzplatz freizugeben, obwohl alle anderen Plätze nicht belegt sind. Der Mann kommt dieser Aufforderung nicht nach, woraufhin Lahbib droht, seine Waffe herauszuholen, doch von seinen Freunden auf die Kameras hingewiesen wird. Lahbib reagiert aggressiv, indem er den Mann am Kragen packt. Lahbib schaut ihn für einen Moment an und behauptet dann, es wäre alles nur Spaß und sie würden nicht zum Stereotyp gehören, der Mann solle sich keine Sorgen machen. Mit diesem Satz verweist die Figur Lahbib nochmals auf den Sinn des Films: Der Mann erwartet möglicherweise aggressive, gewalttätige und eventuell kriminelle Marokkaner. Lahbib und seine Freunde nutzen dieses Vorurteil zu ihrem Spaß und provozieren den Mann. Das Stereotyp ist an dieser Stelle mit starken Gefühlen besetzt, was die fünfte Qualität, die affektive Färbung, bildet.[7] Der Mann in dieser Szene hat Angst, sagt jedoch nichts, da er vermutlich zugleich wütend über das Verhalten von Lahbib und seinen Freunden ist. Diese emotionale Reaktion kann außerdem auch beim Beobachter auftreten: Dieser weiß selbst nicht, was in der Szene passieren wird, doch man hat eine Vermutung, denn das Stereotyp ist auch im Kopf des Beobachters verankert und reduziert sich insbesondere in dieser Szene auf die Gewaltbereitschaft des Marokkaners. Man sorgt sich um den Verlauf und hofft, dass die Szene anders ausgeht, als man vermutet.

Als sechste Qualität folgt die sogenannte Schablonenwirkung: Stereotype „würden […] als Automatismen massiv in die Wahrnehmungs- und Urteilsprozesse eingreifen, sie leiten, ja überformen.“[8] Dies bedeutet, dass das Stereotyp die Wahrnehmung und dadurch die Urteilsbildung beeinflusst. Dementsprechend sind Stereotype als starres, festes Bild in der Gesellschaft verankert und folglich schwer veränderbar.[9] Als siebte und letzte Qualität wird die Inadäquatheit genannt, die mit der Schablonenwirkung einhergeht. Das Stereotyp wird folglich mit unangemessen Vorurteilen in Verbindung gebracht.[10] Hier passt eine Szene, in der Eva Lahbib in seiner Wohnung besucht (00:28:16 – 00:29:59). Er spielt ihr eine gefühlvolle Melodie auf der Gitarre vor, was Eva gern filmen würde, Lahbib aber nicht möchte. Daraufhin erklärt er, dass nur Gangsta-Rap unter seinen Freunden als cool gelte. Eva entgegnet daraufhin, dass sie dachte, er habe ein aufregenderes Hobby wie Schießen. Lahbib antwortet, dass er ihr auf der Stelle jegliche Art von Waffe besorgen könnte. Diese Konversation wird im Film als ein Gespräch zwischen Freunden dargestellt, doch greift sie das Thema der Kriminalität unter Marokkanern erneut auf: Durch verschiedene Medien werden die Marokkaner als gewalttätig dargestellt und in Verbindung zum Waffenbesitz gebracht. Folglich hat sich, obwohl Eva Stereotype aufbrechen möchte, diese Information in ihrem Kopf verankert und sie hat Lahbib automatisch den Besitz einer Schusswaffe zugeordnet.

Diese Qualitäten findet man während des gesamten Films wieder. Die angesprochenen Szenen weisen außerdem nicht nur eine ‚Haupt-Qualität‘ auf, sondern stehen auch in Bezug zu den restlichen Qualitäten. Diese sind hier allerdings in jeder Szene in etwas unterschiedlicher Ausprägung vorhanden.

Abb. 1: Die 7 Qualitäten des Stereotyps nach Jörg Schweinitz (©Larissa Schneider)

Vertauschung der Rollen

Am Ende des Films gibt es eine große Wendung: Die Dokumentation von Eva wird ohne ihr Wissen und ihr Einverständnis von ihrem vorurteilsvollen Chef Herman Verbeek dahingehend verändert, dass Lahbib vor Publikum als Verbrecher und Mörder dargestellt, inszeniert wird. Als Herman sie nachträglich darüber informiert, verliert Eva die Kontrolle und wird ihm gegenüber gewalttätig. Bisher wurde sie im Film als eher schüchterne Journalistin gezeigt, die in Konfliktsituationen meist ruhig blieb. Damit soll suggeriert werden, dass nicht jeder Mensch einem Stereotyp entspricht.

Als Abschluss wird erneut eine Sequenz von Nachrichtensendern gezeigt, die ähnlich zu der Sequenz am Anfang ist und einen Rahmen für den Film Image bildet. In diesen Nachrichten geht es um den Mord an Herman Verbeek, der Verdächtige ist Lahbib. Außerdem wird dieser beschuldigt, Eva entführt zu haben, da diese spurlos verschwunden ist. Die Nachrichtensprecher*innen und Journalist*innen, das suggeriert der Film, würden niemals auf die Idee kommen, dass Eva Herman umgebracht hat und aus freiem Willen mit Lahbib geflüchtet ist, welcher sie lediglich beschützt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieser Film versucht, mit dem Stereotyp des Marokkaners zu spielen: Der Film möchte darauf aufmerksam machen, wie schnell Stereotype und Vorurteile entstehen, die nicht gerechtfertigt sind, da sie Komplexität reduzierend sind, und nicht durchweg auf der ganzen Wahrheit bzw. auf der Realität beruhen. Stereotype sind sozial geteilte Wissensstrukturen, die stetig weitergegeben werden.[11] Dabei betrachtet man lediglich einen kleinen Teil der Erfahrungen der Gesellschaft, welche vervielfacht und (medial) verbreitet werden. Dies kann man nicht nur auf Marokkaner, sondern auf jegliche Menschengruppen übertragen, sodass der Film zum Nachdenken und zum Reflektieren anregen kann. Letztlich darf aber auch nicht vergessen werden, was der Hintergrund bzw. die Hauptmotivation hinter dieser Sorte Film ist: In erster Linie geht es um die Produktion eines Actionfilms, deren – dem Genre entsprechend meist oberflächlich bleibende – Figurenmotivation auf dieses Ziel, Action bzw. Handlung, hin zugeschnitten ist. Ein Spiel mit gängigen Narrativen der Stereotypie ist nichtsdestotrotz ersichtlich, soll vermutlich aber in erster Linie der Action förderlich sein, sodass letztendlich auch gefragt werden kann, wie gelungen dieser Film im Sinne eines kritisch-reflektierten Beitrags zur Stereotypie ist.

- von Larissa Schneider -

Dieser studentische Text ist im Rahmen des Romanistik-Seminars "Das BelgienNet III - das Filmland Belgien" im Wintersemester 2022/2023 entstanden. Hier finden Sie die französische Version dieses Artikels.

Anmerkungen:

[1] SCHWEINITZ, Jörg, Film und Stereotyp - Eine Herausforderung für das Kino und die Filmtheorie. Zur Geschichte eines Mediendiskurses, Berlin: Akademie Verlag GmbH 2006, S. 3.

[2] Vgl. HAß, Jessica, Stereotype im interkulturellen Training, Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden 2020, S. 89.

[3] Vgl. SCHWEINITZ, Film und Stereotyp, S. 4-5.

[4] Ebd., S. 5.

[5] Vgl. ebd.

[6] Vgl. ebd.

[7] Vgl. ebd.

[8] Ebd., S. 5.

[9] Vgl. HAß, Stereotype im interkulturellen Training, S. 89.

[10] Vgl. SCHWEINITZ, Film und Stereotyp, S. 5.

[11] Vgl. HAß, Stereotype im interkulturellen Training, S. 90.

Quellenverzeichnis

HAß, Jessica, Stereotype im interkulturellen Training, Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden 2020.

SCHWEINITZ, Jörg, Film und Stereotyp - Eine Herausforderung für das Kino und die Filmtheorie. Zur Geschichte eines Mediendiskurses, Berlin: Akademie Verlag GmbH 2006.

Audiovisuelle Quellen

Image (2014, Belgien), Regie: Adil El Arbi, Bilall Fallah.