Die heutige Demokratische Republik Kongo mit ihrer Hauptstadt Kinshasa ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eng mit dem Königreich Belgien verbunden. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die belgische Kolonisierung der Gebiete in Subsahara-Afrika, die unter König Leopold II. (1835-1909) ihren Anfang nahm und vom belgischen Staat ab 1908 fortgeführt wurde. Nach der internationalen Kritik an Leopolds II. ausbeuterischem Kolonialsystem sollte die Führung der Kolonie unter belgischer Flagge dafür sorgen, dass sich die Lebensumstände der indigenen KongolesInnen verbesserte. Doch der belgische Staat führte den Ansatz Leopolds II. insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fort und konzentrierte sich dabei auf den Abbau von Kupfer, Zink, Diamanten und Blei. Auch wenn die Sklaverei offiziell verboten wurde, existierten flächendeckend Formen der Zwangsarbeit. Demnach hatte sich an den Mechanismen der kolonialen Ausbeutung auch unter belgischer Führung nichts geändert.

 

Die Gründung des Congo belge (1908)

Nach der Gründung des Congo belge richtete Belgien eine staatliche Kolonialverwaltung ein, die vom ebenfalls neu gegründeten belgischen Kolonialministerium in Brüssel bestellt und auch weiterhin vom belgischen König – ab 1909 hatte Leopolds II. Neffe Albert I. (1875-1934) die königliche Macht inne – kontrolliert wurde. Die 1908 verabschiedete Charte coloniale diente als Rechtsgrundlage für den Aufbau der Kolonialverwaltung im Congo belge. Laut dieser ‚Verfassung‘ benötigte der belgische König für jede wichtige staatsrechtliche Entscheidung zwar die formale Zustimmung eines belgischen Ministers. Allerdings besaß der Monarch die Alleinbefugnis, das Amt des belgischen Kolonialministers ohne weitere Zustimmung der Regierung oder des Parlaments zu besetzen. Die Charte coloniale sah darüber hinaus zunächst keine Beteiligung von KongolesInnen an den Verwaltungsstrukturen vor. Im Jahre 1916 erhielt Belgien zudem die Kontrolle über die ehemalige deutschen Kolonie Rwanda-Urundi (heute: Rwanda und Burundi), die das Territorium des Congo belge ab 1925 als Völkerbund-Mandatsgebiet erweiterte.

 

Wirtschaftliche Ausbeutung durch die Bergbaugesellschaft Union Minière du Haut-Katanga

Zwar verbot die Kolonialverwaltung im Jahre 1910 jegliche Formen von Sklaverei, doch die wirtschaftlichen Strukturen im Congo belge basierten auch weiterhin auf praktizierten Formen der Zwangsarbeit. Die bereits 1906 gegründete Union Minière du Haut-Katanga (UMHK) erhielt als belgisches Staatsunternehmen das Monopol für den Abbau der Erz- und Mineralienvorkommen zugesprochen und setzte hierfür flächendeckend Zwangsarbeiter ein. Die UMHK wurde rasch zum größten und mächtigsten Unternehmen im Congo belge, da die militärische Aufrüstung im unmittelbaren Vorfeld des 1. Weltkrieg den Bedarf an Kupfer, Blei und anderen Rohstoffen in Europa hatte übermäßig ansteigen lassen.

Eine Bergbauhütte zur Gewinnung von Kupfer in Elisabethville (1917), die heute den Namen ‚Lubumbashi‘ trägt (Public Domain)

Fortan war die Förderung des lukrativen Bergbauwesens – neben dem Ausbau der Kautschuk-, Kaffee-, Kakao- und Palmölplantagen – wesentlicher Bestandteil der belgischen Kolonialpolitik. Auch wenn hohe Investitionen in Infrastruktur wie Straßen, Bahnlinien und Flusswege nötig geworden waren, so lautete die Leitlinie der Belgier im Congo belge, dass die Kolonie finanziellen Profit einbringen müsse. Betrachtet man die Ausrichtung der Transportwege vor diesem Hintergrund genauer, so wird rasch deutlich, dass sich die belgische Kolonialverwaltung bei der Infrastruktur einzig um den direkten Abtransport der Rohstoffe in Richtung der atlantischen Häfen sorgte. Ziel war es, die Rohstoffe auf schnellstem Wege nach Belgien zu verschiffen, um sie in der Industrie weiterzuverarbeiten.

Der Ausbau der Infrastruktur war ein wesentliches Ziel der belgischen Kolonialverwaltung, dass mit dem Einsatz von kongolesischen ZwangsarbeiterInnen erreicht werden sollte (Public Domain)

Der Bahnhof von Kinshassa, einem indigenen Ortsteil der kolonialen Hauptstadt Leopoldville. Seit 1965 trägt die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo nicht mehr den Namen Leopoldville, sondern wurde nach dem Ortsteil in ‚Kinshasa‘ umbenannt (Public Domain)

Nicht zufällig entwickelte sich Belgien während jener Zeit zur ‚Schokoladennation‘: Namhafte belgische Chocolatiers, die ihre Kakaobutter als Ausgangsrohstoff für Pralinen, Schokolade und Co. größtenteils aus der Kolonie Congo belge bezogen, gründeten Unternehmen zur Schokoladenherstellung, wie bspw. Callebaut (1911), Leonidas (1913) oder Godiva Chocolatier (1926).

 

Koloniale Propaganda in Belgien

Trotz der zunehmenden Profite war das koloniale Kongo-Bild in Belgien zunächst außerordentlich negativ: Aufgrund der scharfen Kritik an Leopolds II. Kolonialismus’, die insbesondere von der Congo Reform Association (CRA) in internationalen Zeitungen veröffentlicht wurde, lehnte ein Großteil der belgischen Bevölkerung die Eingliederung des Etat Indépendant du Congo (EIC) in belgisches Staatsgebiet ab. Ausschlaggebend waren hierbei die Furcht vor weiteren Skandalen sowie die fehlende Bereitschaft, größere Geldsummen in die unbeliebte Kolonie zu investieren.

Ein Propaganda-Plakat aus dem Jahre 1922, das auswanderungswillige BelgierInnen ansprechen sollte (Public Domain)

Um die Meinung der belgischen Bevölkerung in Bezug auf die koloniale ‚Unternehmung‘ positiv zu stimmen, betrieben Staat und Königshaus aufwendige Propaganda: Dabei wurde die zurückliegende Kolonisierung des Kongo durch Leopold II. mit dem Hinweis auf die angebliche ‚Rückständigkeit‘ und das ‚barbarische‘ Wesen der KongolesInnen gerechtfertigt, was die Anwesenheit der königlichen Kolonialbeamten, Militärs und Missionare notwendig gemacht hätte.

Dass Leopolds II. ‚Unternehmung‘ durch den Verkauf der Privatkolonie an den belgischen Staat unterbrochen worden war, nahm die Kolonialpropaganda zum Anlass, die Fortführung von Leopolds II. ‚Zivilisierungsmission‘ zu postulieren. In der Folge wurden indigene KongolesInnen in der belgischen Presse, im Film sowie in Kunst und Literatur als ‚naive Wilde‘ mit ‚kindlicher Seele‘ inszeniert, die einer erzieherischen Hand der ‚zivilisierten‘ BelgierInnen bedürfen. Dabei basierte diese soziale Abwertung der indigenen Bevölkerung auf zeitgenössischen, pseudowissenschaftlichen Rassentheorien, die vom eurozentrischen Konzept einer ‚europäischen Überlegenheit‘ ausgingen. Das im Jahre 1897 von Leopold II. gegründete Musée Royal de l’Afrique Central (MRAC) fachte diese Debatte mit massiven Auswirkungen auf die belgische Gesellschaft weiter an, da das Museum den einzigen Bezugspunkt vieler BelgierInnen zur afrikanischen Kolonie darstellte.

Das Musée Royal de l’Afrique Centrale wurde 1897 als Propaganda-Instrument durch Leopold II. gegründet. Bis heute sorgt das Museum wegen der ausgestellten Objekte für reichlich Diskussion (CC Platonides)

Das MRAC nahm (und nimmt bis heute) in Bezug auf die Propagierung von Afrika-Bildern eine durchaus zweifelhafte Position ein, da es innerhalb der Ausstellungen versuchte, die Brutalität des Kolonialismus’ zu verharmlosen und die Anwesenheit der BelgierInnen im Congo belge zu rechtfertigen: Die KongolesInnen wurden als geschichtslose, ‚wilde‘ ‚Barbaren‘ inszeniert, die erst durch Leopolds II. ‚Heroismus‘ zur ‚Zivilisation‘ gelangen konnten. Ziel dieser geschichtspolitischen Propaganda war es, die brutalen Folgen der Kolonisation im EIC unter Leopold II. zu relativieren, um die Kolonialherrschaft im Congo belge weiterhin rechtfertigen zu können.

Doch auch abseits des MRAC wurde Leopolds II. Ansehen nachträglich korrigiert und in der kollektiven belgischen Erinnerung positiv umgewandelt: In den 1920er- und 1930er-Jahren wurden dem verstorbenen belgischen König zu Ehren zahlreiche Denkmäler erbaut, darunter das Reiterstandbild in der belgischen Hauptstadt Brüssel am Place du Trône (1926) oder das Monument an der Strandpromenade im belgischen Seebad Ostende (1931).

Das Reiterstandbild von Leopold II. an der Place du Trône in Brüssel (CC Panoramio)

 

Die ‚pax belgica‘ als ‚Modellkolonie‘

In der Folge wurde die Überzeugung, dass Belgien das ‚Werk‘ Leopolds II. weiterführen müsse, von vorwiegend von der wallonischen Bevölkerung getragen, während die herrschende Meinung in Flandern gegenüber den belgischen Kolonialbesitztümern noch immer kritisch eingestellt war. In Flandern dominierte eine grundsätzliche Ablehnung des frankophonen Königshauses sowie der Unmut in Bezug auf die Bevorzugung der französischen Sprache bei der Kolonisierung des Congo belge. Nichtsdestotrotz entwickelte sich in Belgien eine paternalistische Grundhaltung, wonach Belgien die ‚wilden‘ KongolesInnen auch weiterhin ‚zivilisieren‘ müsse. Die Kolonisation wurde in der staatlichen Kolonialpresse, in der Literatur und im populär werdenden Kino als ‚exotische‘, ‚abenteuerliche‘ und ‚harmonische‘ Unternehmung verklärt. Auch der bekannte Comic-Zeichner Hergé beteiligte sich mit seinem Werk Tintin au Congo (1931) an der kolonialen Propaganda: Die stark stereotypisierte Darstellung der KongolesInnen und der paternalistische Umgang Tintins mit den Bewohnern der Kolonie beeinflussten das Kongo-Bild der belgischen Gesellschaft bis in die 1950er-Jahre.

Das Titelbild des Comics Tintin au Congo von Hergé (CC Gundan)

Das Bild der ‚pax belgica‘ entstand, die sich als selbstinszenierte ‚Modellkolonie‘ an der wirtschaftlichen ‚Entwicklung‘ des afrikanischen Kontinents beteiligte.

Die Realität im Congo belge sah während der 1930er- und 1940er-Jahre allerdings anders aus: Auch, wenn die Weltwirtschaftskrise die belgischen Aktivitäten in der Kolonie kurzzeitig bremste, wuchs der Bedarf an Rohstoffen im ‚Westen‘ beträchtlich an. Der belgische Staat profitierte enorm von der immensen Nachfrage: Der Abbau der Rohstoffe erfolgte landesweit unter der Aufsicht der UMHK, die weiterhin die Wirtschaft des Congo belge dominierte und die kongolesischen ArbeiterInnen unter widrigen Arbeitsbedingungen und meist ohne geregeltes Einkomme ausbeutete. An erster Stelle stand der wirtschaftliche Profit. Die Kolonialverwaltung des Congo belge belieferte u.a. auch das US-amerikanische Verteidigungsministerium mit Uran, das die US-Amerikaner im Rahmen des Manhattan-Projektes zum Bau der Atombomben von Hiroshima (6. August 1945) und Nagasaki (9. August 1945) verwendeten.

 

Kulturelle Unterdrückung durch die belgische Fremdherrschaft

Die KongolesInnen erfuhren während der belgischen Kolonialherrschaft darüber hinaus auch eine kulturelle Unterdrückung: Einheimische Religionen, regionale Kulturen und lokale Traditionen wurden von der Kolonialverwaltung oftmals verboten oder stark eingeschränkt. Das von Missionaren geprägte Schulsystem war rudimentär ausgeprägt und sah lediglich eine Ausbildung der KongolesInnen auf Grundschul-Niveau vor. Der Besuch von weiterführenden Schulen oder der Universität Lovanium, die 1954 in Leopoldville gegründet wurde, war lediglich den weißen Kolonialisten vorbehalten. Die urbanen Zentren wie Leopoldville oder Elisabethville wurden zweigeteilt: In den noblen Innenstädten wohnten die belgischen Kolonisatoren, während die indigene Bevölkerung der Kolonie in sogenannten ‚Eingeborenenviertel‘ unter z.T. prekären Bedingungen leben musste.

Die praktizierte ‚Rassentrennung‘ betraf bis zum Ende der 1950er-Jahre v.a. den kolonialen Alltag: Der Besuch von Kino-Vorführungen oder bestimmten Restaurants sowie der Kauf von Spirituosen wurden den indigenen Kongolesen untersagt. Sofern kongolesische Angestellte ein Gehalt für ihre Arbeit bezogen, erhielten sie stets einen Bruchteil des Entgelts, das ein ‚weißer‘ Arbeiter in der gleichen Position verdiente. Darüber hinaus waren rassistische Beleidigungen, körperliche Misshandlungen und Vergewaltigungen Teil des täglichen Lebens.

 

Protest und Widerstand ebnen den Weg für die Unabhängigkeit

Innerhalb der kongolesischen Bevölkerung entwickelte sich zunehmender Widerstand gegen die verschiedenen Formen der kolonialen Unterdrückung: Nach vereinzelten Arbeiteraufständen, die regional ab den 1910er-Jahren auftraten, äußerten Intellektuelle wie Paul Panda Farnana (1888-1930) oder Kleriker wie Simon Kimbangu (1889-1951) den Wunsch nach sozialer Gleichbehandlung, kultureller Freiheit und politischer Selbstbestimmung.

Patrice Lumumba (1925-1961), Mitbegründer der Partei Mouvement National Congolais (CC Harry Pot, ANEFO)

Zunächst reagierte die Kolonialverwaltung mit Ablehnung gegenüber dem sich formierenden Widerstand. Doch mit dem Beginn der 1950er-Jahre war Belgien durch den größer werdenden politischen Druck zu Zugeständnissen gezwungen: Zunächst wurde das Eigentumsverbot für KongolesInnen aufgehoben. Dies führte in Verbindung mit der fortschreitenden Industrialisierung und der Verstädterung zur Bildung einer kleinen kongolesischen Mittelschicht, die über wirtschaftliches Kapital verfügte. Darüber hinaus konnten anpassungswillige KongolesInnen die Aufnahme in den Kreis der evolués beantragen und in den Genuss von gesellschaftlichen Privilegien kommen. Die Anwärter mussten im Hinblick auf Mode, Manieren, Wohnen und Sprache den Beweis erbrachten, dass sie sich besonders ‚angepasst‘ – d.h. ‚europäisch‘ – verhielten. Gemeinsam mit der Etablierung eines indigenen Klerus’ entwickelte sich eine kongolesische Elite, die zunehmend politisch aktiv wurde. Kongolesische Aktivisiten wie die Conscience Africaine kritisierten die vorherrschende Rassendiskriminierung und das ausbeuterische Wirtschaftssystem. Der politische Druck auf die Kolonialverwaltung stieg somit weiter an, sodass Belgien im Jahre 1958 die Gründung von politischen Vereinigungen in der Kolonie ‚erlaubte‘.

 

Joseph Kasavubu (1910-1969), Mitbegründer der Partei Alliance des Bakongo (CC ANEFO)

Zu den ersten gegründeten Parteien zählten der Mouvement National Congolais (MNC) von Patrice Lumumba (1925-1961) und die Alliance des Bakongo (ABAKO) von Joseph Kasavubu (1910-1969), die in Bezug auf die Erreichung der kongolesischen Unabhängigkeit am 30. Juni 1960 eine Schlüsselrolle einnehmen sollten.

- Von Julien Bobineau, Julius-Maximilans-Universität Würzburg -