Zwischen Immunität und Justiziabilität
König, Parlamentarier, Minister und
Richter vor den belgischen Gerichten
— Von Andy Jousten, Université Liège —
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Inhaltsverzeichnis
- Die königliche Unverletzlichkeit (Art. 88 und 106 der Verfassung)
- Die parlamentarischen Immunitäten
- Die Richterhaftungsklage und das Gerichtsbarkeitsvorrecht der Richter/innen
- Die Unverantwortlichkeit und das Immunitätskonstrukt der Minister/innen
- Schlussbetrachtungen
Abstract
Im belgischen Verfassungsrecht ist eine große Anzahl von Mechanismen vorgesehen, die die Möglichkeit beeinflussen, gerichtlich gegen den König, sowie gegen Parlamentarier/innen, Richter/innen und Minister/innen vorzugehen. Durch diese Mechanismen soll vor allem verhindert werden, dass diese Personen durch ungerechtfertigte Gerichtsverfahren in ihrer Arbeit gestört werden. Auch wenn die durch die Mechanismen verfolgten Ziele als solche legitim sind, schränken sie doch die Grundrechte der geschädigten Personen ein. Es empfiehlt sich deshalb, die betroffenen Regeln etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Einführung[1]
In den meisten Rechtsordnungen wurden im Laufe der Zeit verschiedene Arten von Schutzmechanismen zugunsten von Personen geschaffen, die im weitesten Sinne des Wortes staatliche Missionen ausüben. Diese Schutzmechanismen tragen die unterschiedlichsten Benennungen, wurden aus vielseitigen Gründen geschaffen und weisen vielfältige Merkmale auf. Selbst wenn man sich auf die Ebene der drei klassischen Staatsgewalten Belgiens fokussiert, also die Legislative, die Exekutive und die Judikative, birgt das belgische Verfassungsrecht viele solcher Schutzmechanismen. Dazu zählen beispielsweise die Unverletzlichkeit des Königs, die parlamentarischen Immunitäten, die Immunitäten und das Gerichtsbarkeitsvorrecht der Minister/innen, oder auch die Richterhaftungsklage und das Gerichtsbarkeitsvorrecht der Richter/innen. Der König und die belgischen Parlamentarier/innen, Minister/innen und Richter/innen werden nachfolgend zusammen unter dem Begriff „staatliche Würdenträger“ zusammengefasst.
Die besagten Schutzmechanismen erhalten vor allem dann Aufmerksamkeit, u.a. in den Medien, wenn ein/e Parlamentarier/in, ein/e Minister/in, ein/e Richter/in oder der König sich einen Fehltritt geleistet oder gar eine Straftat begangen hat, und gerichtlich gegen ihn/sie vorgegangen werden soll. Doch wird ihre Justiziabilität durch die Schutzmechanismen reduziert. Das bedeutet, dass die Möglichkeit, Ansprüche gegen die staatlichen Würdenträger gerichtlich geltend zu machen, reduziert wird, sei es auf zivilrechtlicher, z. B. Schadensersatz, oder auf strafrechtlicher Ebene. In manchen Fällen machen die Mechanismen es vollkommen unmöglich, gerichtlich gegen Würdenträger vorzugehen. In anderen Fällen wird die Justiziabilität beschränkt oder verzögert. Schlussendlich kann es ebenfalls vorkommen, dass außergewöhnliche Verfahrensregeln angewendet werden müssen.
Häufig wird der besondere Schutz, der diesen Personen zukommt, kritisiert: Sind nicht alle Bürger/innen vor dem Gesetz gleich? Ist es nicht ungerecht, dass eine Person, die durch eine/n Parlamentarier/in beleidigt wurde, nicht gegen diese/n Volksvertreter/in klagen kann? Werden Minister/innen oder Richter/innen bevorzugt, weil sie vor einem höheren Gericht verfolgt werden und nicht vor dem Gericht, das normalerweise zuständig ist? Sind die Schutzmechanismen nicht schlicht und ergreifend überholte Privilegien aus einer anderen Zeit?
Wie die genauere Betrachtung verschiedener Schutzmechanismen im weiteren Verlauf des Beitrags zeigen wird, können die Ziele, die durch diese Mechanismen verfolgt werden, grundsätzlich als legitim betrachtet werden. Es geht dabei vereinfacht darum, die unabhängige Funktionsweise von verschiedenen Staatsorganen zu schützen, die nicht durch ungerechtfertigte Gerichtsverfahren gestört werden soll. Es ist nicht Sinn und Zweck der Mechanismen, ein individuelles Privileg für Personen mit einer besonders hohen Stellung im Staatsgefüge zu schaffen.
Nichtsdestotrotz bergen die Schutzmechanismen der staatlichen Würdenträger ein großes Konfliktpotenzial, insbesondere hinsichtlich des Schutzes der Grundrechte von Dritten.[2] Mit der Intensität des Einflusses auf die Justiziabilität der staatlichen Würdenträger steigt nämlich auch das Risiko, dass die Grundrechte von Dritten eingeschränkt werden. Ein Beispiel: Während einer öffentlichen parlamentarischen Debatte bezeichnet ein Parlamentarier eine namentlich genannte Person als „Nachbarin aus der Hölle“ und beschreibt, wie diese Person ihre Nachbarschaft terrorisiere. Im Anschluss an die beleidigenden Aussagen des Parlamentariers möchte die betroffene Person eine Klage wegen Diffamation gegen den besagten Parlamentarier einreichen und zusätzlich einen gewissen Geldbetrag als Schadensersatz erhalten. Dies ist aber aufgrund der verfassungsrechtlichen Unverantwortlichkeit des Parlamentariers nicht möglich.[3] Die geschädigte Person erleidet somit einen Eingriff in ihr Recht auf Zugang zu einem Gericht, sowie in ihr Recht auf den Schutz ihrer persönlichen Ehre.
Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, den Lesern/Leserinnen die Grundzüge der vorher genannten Schutzmechanismen nach belgischem Recht in vereinfachter Form näher zu bringen,[4] ohne zu sehr auf rechtliche Details einzugehen.[5] Dabei wird die Gründe für die Schaffung der verschiedenen Mechanismen skizziert und anhand von Anwendungsfällen deren mögliche Vor- und Nachteile – insbesondere in Bezug auf den Schutz von Grundrechten – angezeigt. Zunächst wird die königliche Unverletzlichkeit behandelt (I). Im Anschluss daran wird die Situation der Parlamentarier/innen (II), sowie die der Richter/innen beleuchtet (III). Zum Schluss folgen einige Betrachtungen bezüglich der komplexen Schutzmechanismen der Minister/innen (IV).
I. Die königliche Unverletzlichkeit (Art. 88 & 106 der Verfassung)
Die königliche Unverletzlichkeit ist in Artikel 88 der belgischen Verfassung vorgesehen: „Die Person des Königs ist unverletzlich; seine Minister sind verantwortlich“. Es handelt sich dabei um einen Schutzmechanismus mit großer Tradition, die unter anderem durch das englische Verfassungsrecht und die Arbeiten von verschiedenen Rechtstheoretikern bzw. Rechtsphilosophen wie Montesquieu oder Benjamin Constant geprägt wurde.[6] Einen Ausdruck erhält der Schutzmechanismus in der Devise „The King can do no wrong“.
Die königliche Unverletzlichkeit gilt ausschließlich für den König bzw. die Königin, wenn Prinzessin Élisabeth von Belgien in Zukunft das Amt als Nachfolgerin König Philippes antreten sollte. Die Schaffung eines besonderen Gerichtsverfahrens für die „Prinzen“ wurde kurz im belgischen Nationalkongress, der 1830-1831 mit der Verabschiedung der belgischen Verfassung beauftragt war, besprochen. Diese Idee wurde aber u.a. aufgrund des Wunsches, die Gleichheit aller Bürger so weit wie möglich zu respektieren, verworfen.[7]
Auch wenn in Artikel 88 der belgischen Verfassung nur die Rede von der Unverletzlichkeit der Person des Königs ist, ist es möglich, eine Unterscheidung zwischen zwei Arten von Konzepten zu machen, die in dieser Bestimmung enthalten bzw. impliziert sind. Aus der besagten Verfassungsbestimmung resultiert nämlich einerseits die Unverletzlichkeit sensu stricto der Person des Königs auf gerichtlicher Ebene und andererseits – im Zusammenspiel mit Artikel 106 der Verfassung – seine politische Unverantwortlichkeit, die mit der Verantwortlichkeit seiner Minister einhergeht.[8] Sinn und Zweck der Artikel 88 und 106 der Verfassung liegen darin, für die Stabilität und Kontinuität zu sorgen, die der König im belgischen Staatsgefüge garantieren soll.[9] Die Zusammenstellung der Parlamente und der Regierung Belgiens variieren unter Einfluss der Wahlen und der politischen Geschehnisse, der König aber bleibt. Er ist die symbolische Inkarnation der Einheit und des Fortbestands der Nation und des Staates. Natürlich resultieren diese Stabilität und Kontinuität aus der Tatsache, dass der König nicht gewählt wird, sondern diese Eigenschaft sich durch vorher bestimmte Regeln vom König auf den/die Thronfolger/in überträgt.[10] Gestärkt werden diese Stabilität und Kontinuität durch den besonderen Schutz, den diese beiden Verfassungsbestimmungen dem König sowohl auf politischer als auch auf gerichtlicher Ebene bieten.
Auch wenn die politische Unverantwortlichkeit des Königs als solche nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist, wird diese kurz beleuchtet. Der König soll über den parteipolitischen Konflikten stehen, da er die gesamte Nation und nicht nur spezifische Interessengruppen repräsentiert . Deshalb ist es wichtig, dass die verschiedenen politischen Handlungen, die er im Rahmen seiner Zuständigkeiten verübt – beispielsweise einen Königlichen Erlass verabschieden oder eine politische Rede bei einem Auslandsbesuch halten – nicht persönlich zugesprochen werden und er für diese politisch zur Verantwortung gezogen werden kann. Diesen Schutz bieten ihm die Artikel 88 und 106 der Verfassung, da die Verantwortung auf einen oder mehrere Minister übertragen wird.[11] Gleichzeitig stellen diese Verfassungsbestimmungen auch eine Limitierung für ihn dar, weil er in der Regel nur eine politische Handlung ausführen darf, wenn ein/e Minister/in dafür durch die Gegenzeichnung die politische Verantwortung übernimmt und sich gegebenenfalls dafür vor der belgischen Abgeordnetenkammer rechtfertigen muss.[12] Ohne diese Begrenzung würde die politische Unverletzlichkeit zu einem gefährlichen Verantwortungsvakuum führen. Der König könnte dann nach Belieben politische Handlungen ausführen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Durch die Kombination der Artikel 88 und 106 der belgischen Verfassung ist dies nicht der Fall. Sind König und Minister/innen sich bezüglich einer politischen Handlung uneinig, überwiegt die Position der letzteren, da diese schlussendlich die politische Verantwortung tragen.[13] Eine Ausnahme zur Gegenzeichungspflicht durch eine/einen Minister/in für politische Handlungen besteht allerdings: die Abdankung des Königs.[14] Auch die ausschließlich privaten Handlungen des Königs benötigen keine Gegenzeichnung.[15] Beispielsweise kann er ohne Gegenzeichnung Verträge bezüglich seines Vermögens abschließen oder über diese per Testament verfügen.[16]
Auf gerichtlicher Ebene schützt die Unverletzlichkeit die Person des Königs vor jeglichem Prozess, sowohl auf strafrechtlicher als auch in geringerem Maße auf zivilrechtlicher Ebene. Strafrechtliche Verfolgungen, die sich gegen den König richten oder gar seine Festnahme sind nicht möglich, egal ob es sich um Straftaten handelt, die er in der Ausübung seines Amtes begangen hat oder nicht. Die Unverletzlichkeit wirkt auch dann, wenn es sich um besonders schwere Verbrechen handelt.[17] Dieser Schutz gilt auf Lebenszeit bzw. bis zur Abdankung des Königs. Somit könnte der König für eine Straftat, die er nach seiner Abdankung begangen hat, strafrechtlich verfolgt werden. Was eventuelle Straftaten betrifft, die er während seiner Amtszeit begangen hat, bleibt der Schutz auch nach seiner Abdankung bestehen.[18] Im Gegensatz zur politischen Ebene – wo die Minister/innen die Verantwortung für den König übernehmen – überträgt sich aufgrund des Persönlichkeitsprinzips in Strafsachen keine strafrechtliche Verantwortlichkeit auf die Minister,[19] es sei denn, sie haben persönlich an der Straftat teilgenommen.[20]
Auch gegen zivilrechtliche Gerichtsverfahren ist der König größtenteils davor geschützt, persönlich verklagt zu werden.[21] Daher war es beispielsweise der außerehelichen Tochter vom früheren König Albert II, Delphine von Belgien (ursprünglich Delphine Boël) während vieler Jahre nicht möglich, ihre Klage auf gesetzliche Anerkennung der Vaterschaft des ehemaligen Staatschefs Belgiens vor Gericht durchzuführen. Aufgrund der Unverletzlichkeit des Königs galten diese Klage und der DNA-Test, der in diesem Rahmen stattfinden sollte um die biologische Vaterschaft zu überprüfen, lange Zeit als unzulässig. Erst mit seiner Abdankung am 21. Juli 2013 verlor Albert II. seine Unverletzlichkeit. Dies führte zum im Anschluss an die Abdankung eingeleitete Gerichtsverfahren zur Anerkennung seiner biologischen und gesetzlichen Vaterschaft, sowie zur Namensänderung seiner Tochter Delphine.
Eine zivilrechtliche Klagemöglichkeit besteht bei Angelegenheiten, die nicht die Person des Königs, sondern das königliche Vermögen betreffen,[22] beispielsweise eine Streitigkeit über einen Vertrag, der bezüglich eines Vermögenswertes des Königs abgeschlossen wurde. In dem Fall würde die Klage aber nicht gegen den König selbst, sondern gegen den Intendanten oder den Verwalter der Zivilliste gerichtet.[23] (Mit Zivilliste bezeichnet man die finanziellen Mittel über die der König jährlich verfügt und die am Anfang seiner Herrschaft per Gesetz festgelegt wird.[24])
Abgesehen von dem stark mediatisierten Fall von Delphine von Belgien sind die Anwendungsbeispiele für die königliche Unverletzlichkeit in ihrer gerichtlichen Komponente Belgiens selten. Anders sieht die Lage bezüglich der Immunitäten der Parlamentarier/innen aus, die als nächstes betrachtet werden.
II. Die parlamentarischen Immunitäten
Die belgische Verfassung sieht zwei Arten von Schutzmechanismen für Parlamentarier/innen vor, die generell als „parlamentarische Immunitäten“ bezeichnet werden.[25] Diese umfassen einerseits die sogenannte parlamentarische Unverantwortlichkeit[26] und, andererseits, die parlamentarische Unverletzlichkeit.[27]
Die heutige Fassung dieser beiden Mechanismen findet ihren Ursprung im Kontext der Auseinandersetzung zwischen Parlamenten und absolutistischen Monarchen,[28] beispielsweise anlässlich der Französischen Revolution, wo die Assemblée nationale angesichts der ihr gegenüber drohenden Haltung des Königs die Unverletzlichkeit ihrer Abgeordneten proklamiert hat.[29] Sich des französischen Vorbildes bewusst[30] und von den Spannungen mit dem Herrscher des Vereinigten Königreichs der Niederlande geprägt, hat auch der belgische Nationalkongress parlamentarische Immunitäten in der belgischen Verfassung von 1831 vorgesehen, die in vielen Punkten trotz der 1997 erfolgten Reform[31] bis heute bestehen bleiben.
Im Belgien des 21. Jahrhunderts schützen diese Immunitäten die Autonomie, sowie die Arbeits- und Funktionsfähigkeit der verschiedenen Parlamente. Durch die Einrichtung einer konstitutionellen Monarchie, in der die Macht des Königs begrenzt ist, geht von letzterem jedoch nur eine geringe bzw. keine Gefahr aus. Wie vorher beschrieben kann der König nämlich keinerlei politische Handlung ohne das vorherige Einverständnis eines/einer Minister/in unternehmen. Vielmehr gilt es das Parlament vor ungerechtfertigten (gerichtlichen) Initiativen zu schützen, die ihren Ursprung bei der Regierung, bei der Strafverfolgungsbehörde oder bei unzufriedenen Bürgern finden.[32] Eine Rolle spielt dabei u.a. die sogenannte Judizialisierung, also – vereinfacht – die zunehmende Wichtigkeit der gerichtlichen Instanzen.[33] Diese manifestiert sich u.a. darin, dass die Bereiche der Gesellschaft, in denen Richter/innen eingreifen bzw. die Fälle, in denen Bürger/innen ihr Vertrauen in gerichtliche Instanzen setzen, um ihre Bedürfnisse und Kritiken auch gegen staatliche Instanzen geltend zu machen, steigen. [34] Die Gründe für diese Entwicklung sind vielseitig.[35] Der Eindruck, von Parlament und Regierung nicht gehört zu werden und durch einen Verfahren vor Gericht ein direktes und greifbares Resultat erreichen zu können, spielt dabei sicherlich eine Rolle.[36] Ohne hier näher auf diese Gründe einzugehen, kann man feststellen, dass sich durch die Judizialisierung eine Tendenz entwickelt hat, jede Handlung und jede Person – darunter auch die, die staatliche Missionen ausüben – einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.[37] Dies gilt auch für die Parlamentier/innen, wie verschiedene Beispiele, die hiernach kurz beleuchtet werden, zeigen. In diesen Fällen treffen die gerichtlichen Ansprüche dann auf die parlamentarischen Immunitäten.
II a. Die parlamentarische Unverantwortlichkeit (Art. 58 & 120 der Verfassung)
Die parlamentarische Unverantwortlichkeit verhindert, dass anlässlich einer in Ausübung des Amtes erfolgten Meinungsäußerung oder Stimmabgabe zivil- oder strafrechtlich gegen eine/n Parlamentarier/in vorgegangen wird. Als solche liefert sie ihnen einen weitgehenden Schutz des Rechtes auf freie Meinungsäußerung im Sinne möglichst freier, kontradiktorischer parlamentarischen Debatten.[38] Der Austausch von Meinungen beschränkt sich dabei nicht nur auf die Meinungen, die von der Mehrheit des Parlaments akzeptiert werden. Es soll auch Platz für Meinungen geben, die von Minderheiten vertreten werden oder gar solche, die von der Mehrheit der Parlamentarier/innen als inakzeptabel oder schockierend angesehen werden. Beispielsweise ermöglicht die parlamentarische Unverantwortlichkeit es den Parlamentarier/innen, darunter den Mitgliedern der Opposition, den Minister/innen im Rahmen der Regierungskontrolle kritische und möglicherweise unangenehme Fragen zu stellen. Grundsätzlich soll also jede/r Parlamentarier/in die Möglichkeit haben, seine/ihre Meinung zu vertreten und somit auch die der Wähler/innen, ohne Angst haben zu müssen, dass seine/ihre Meinungen außerhalb des Parlaments Anlass für Gerichtsverfahren werden könnten. Die parlamentarische Unverantwortlichkeit ist anwendbar, wenn es sich um „Meinungsäußerungen oder Stimmabgaben“ handelt, die in der „Ausübung des Amtes“ erfolgt sind. Nachfolgend wird zusammenfassend erklärt, wie die Rechtslehre und die Rechtsprechung den Inhalt dieser beiden Anwendungsbedingungen über viele Jahre hinweg ausgefüllt haben. Zuerst widmen wir uns dem Konzept der Stimmabgaben und Meinungsäußerungen und anschließend dem der Ausübung des parlamentarischen Amtes.
Das Konzept der Stimmabgaben und insbesondere der Meinungsäußerungen wird generell breit ausgelegt. Die Meinungsäußerungen können schriftlich, mündlich oder gar auf symbolische Art und Weise erfolgen.[39] Reicht ein/e Parlamentarier/in einen Gesetzesvorschlag ein oder stellt er/sie eine Frage an ein Regierungsmitglied, kann er für die in diesem Rahmen geäußerten Meinungen nicht gerichtlich belangt werden. Auch eine Geste, die im Rahmen der Ausübung des parlamentarischen Amtes erfolgt, ist durch die Unverantwortlichkeit geschützt, solange es sich nicht um einen gewalttätigen Akt handelt.[40] Gleiches gilt ebenfalls für das Tragen von spezieller, beispielsweise religiös inspirierter Kleidung, das ebenfalls als eine geschützte Meinungsäußerung betrachtet werden kann.[41]
In der traditionellen Auslegung der parlamentarischen Unverantwortlichkeit besteht der Schutzanspruch unabhängig vom Inhalt der geäußerten Meinung. Hier unterscheidet sich die belgische Unverantwortlichkeit von ihrem deutschen Pendant, der parlamentarischen Indemnität,[42] die nicht für „verleumderische Beleidigungen“ gilt. In Belgien fallen auch äußerst kontroverse oder gar beleidigende Meinungen in den Anwendungsbereich der Unverantwortlichkeit. Selbst schlimme Aussagen, beispielsweise solche, die durch Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus oder Hass bzw. Abneigung gegenüber der sexuellen Orientierung geprägt sind. Wie bereits in der Einleitung aufgezeigt, werden die Grundrechte von Dritten, die beispielsweise durch eine/n Parlamentarier/in beleidigt wurden, dadurch eingeschränkt. Besonders betroffen sind dabei wie erwähnt das Recht auf Zugang zu einem Gericht, sowie das Recht auf den Schutz der persönlichen Ehre.[43]
Doch in einem Entscheid des Appellationshofes Lüttich vom 28. Januar 2021[44] wurde diese traditionelle Auslegung der parlamentarischen Unverantwortlichkeit weitestgehend ignoriert.[45] Worum handelte es sich? 2016 wurde in der belgischen Abgeordnetenkammer ein Untersuchungsausschuss in der sogenannten „Kazakhgate-Affäre“ eingesetzt.[46] Dieser sollte u.a. die Umstände untersuchen, in denen 2011 ein Gesetz bezüglich des Strafvergleichs zustande gekommen ist. Ein Strafvergleich – auf Französisch „transaction pénale“ – ermöglicht einer Person, die strafrechtlich verfolgt wird, unter gewissen Bedingungen durch eine Geldzahlung die Einstellung des Verfahrens zu bewirken. Das besagte Gesetz von 2011 hat die Möglichkeiten für den Abschluss eines solchen Vergleichs ausgeweitet. Dadurch war es dem Unternehmer Patokh Chodiev möglich einen Vergleich abzuschließen, durch den die Strafverfolgung gegen ihn im Gegenzug zur Zahlung einer hohen Geldsumme eingestellt wurde. Durch verschiedene Presseberichte und Zeugenaussagen kamen Zweifel über die Umstände bezüglich der Verabschiedung dieses Gesetzes auf. Unter anderem wurde über eine mögliche Einflussnahme des damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy auf verschiedene Mitglieder des föderalen belgischen Parlaments gemutmaßt. Auch über den möglichen Einfluss von Patokh Chodiev wurde diskutiert. Einer der Parlamentarier, der maßgeblich an der Einsetzung des Untersuchungsausschusses beteiligt war, war der damalige Abgeordnete und heutige Minister Georges Gilkinet (von der frankofonen grünen Partei Ecolo). Er war nicht nur Vize-Präsident des Untersuchungsausschusses, sondern nahm auch intensiv an der öffentlichen Debatte zur Kazakhgate-Affäre teil, die ein großes mediales Interesse genoss. An verschiedenen Zeitpunkten hat er Aussagen bezüglich der möglichen Verwicklung von Patokh Chodiev in diesen politischen Skandal gemacht, die Letzterer als beleidigend aufgefasst hat. Unter anderem wirft er Gilkinet vor, ihm gegenüber Korruptionsvorwürfe gemacht zu haben. Er hat deshalb ein Zivilverfahren gegen den damaligen Abgeordneten anhängig gemacht, um u.a. Schadensersatz zu verlangen.
In erster Instanz wurde die Sache vor dem Gericht Erster Instanz in Namur verhandelt, wo der Antrag auf Schadensersatz zurückgewiesen wurde. Chodiev hat daraufhin von seiner Berufungsmöglichkeit Gebrauch gemacht und die Sache vor den Appellationshof Lüttich gebracht, der in dieser Angelegenheit als Berufungsgericht in Zivilsachen tagte. Der Appellationshof entschied, dass die parlamentarische Unverantwortlichkeit nicht für Tatsachenbehauptungen anwendbar ist, „die über eine Einzelperson oder im Rahmen von Privatangelegenheiten geäußert werden und die zu Themen von öffentlicher Bedeutung oder zu Themen, die Bestandteil der öffentlichen Debatte sind, keinen Bezug aufweisen“. Im vorliegenden Fall waren die geäußerten Korruptionsvorwürfe deshalb größtenteils nicht von der parlamentarischen Unverantwortlichkeit gedeckt, was schlussendlich zu einer Verurteilung von Gilkinet geführt hat. Mit dieser Auffassung hat der Appellationshof bei den ersten Kommentatoren des Entscheids für große Überraschung gesorgt, da man wie hiervor erwähnt davon ausgeht, dass der Inhalt der Aussagen für die Anwendung der parlamentarischen Unverantwortlichkeit unwesentlich ist.[47] Im Lichte dessen, was oben über die Judizialisierung geschrieben wurde, kann man den Gerichtsentscheid des Appellationshofes als ein Beispiel für einen Versuch ansehen, die Kontrollmöglichkeit der Gerichte auf Parlamentarier zu erhöhen.
Manche Autoren würden den Ausschluss verschiedener Aussagen vom Wirkungsbereich der parlamentarischen Unverantwortlichkeit – insbesondere im Sinne des Schutzes der Grundrechte Dritter – begrüßen.[48] Andere Autoren unterstreichen die Gefahren einer solchen Relativierung der Unverantwortlichkeit. Sie könnte nämlich einen „chilling effect“ auf die parlamentarische Redefreiheit und die Debattenkultur des Parlaments haben.[49] Das Risiko eines Gerichtsverfahrens könnte zu einer Selbstzensur der Parlamentarier/innen führen um mögliche langwierige, kostenintensive und mediatisierte Prozesse zu vermeiden. Auch die Auffassung des Appellationshofes Lüttich erhöht dieses Risiko insofern, als dass Tatsachenbehauptungen über eine Einzelperson nicht mehr gedeckt wären. Parlamentarischen Debatten, die häufig eine oder mehrere Personen betreffen, wären nicht mehr durch die Unverantwortlichkeit geschützt.[50] Ob man für oder gegen eine Relativierung der Unverantwortlichkeit ist ändert aber grundlegend nichts an der Tatsache, dass diese im Prinzip nur durch eine Verfassungsrevision erreicht werden könnte.[51] Im Fall Chodiev gegen Gilkinet ist jedenfalls noch alles offen, denn gegen den Entscheid des Appellationshofes Lüttich besteht noch die Möglichkeit einer Kassationsbeschwerde. Sollte der Kassationshof den Entscheid kassieren, wird das Verfahren vor einem anderen Appellationshof aufs Neue verhandelt.
Nun folgt der zweite Anwendungsbedingung der parlamentarischen Unverantwortlichkeit, das Konzept der Ausübung des parlamentarischen Amtes. Damit eine Meinungsäußerung oder eine Stimmabgabe geschützt ist, muss sie nämlich in der Ausübung des parlamentarischen Amtes erfolgen. Traditionell sind die Stimmabgaben oder Meinungen, die in den durch die Verfassung, das Gesetz oder die Geschäftsordnung geschaffenen Parlamentsorganen erfolgen, geschützt.[52] Das gilt z. B. für das Plenum oder einen parlamentarischen Ausschuss. Im Gegensatz dazu werden in dieser traditionellen Auffassung der Unverantwortlichkeit Kontakte von Parlamentarier/innen mit Medien, wie z. B. bei einem Interview, nicht als die Ausübung des parlamentarischen Amtes angesehen,[53] es sei denn sie erfolgen im Auftrag oder im Namen des Parlaments.
Die vorher erwähnte „Kazakhgate-Affäre“ bietet auch zu diesem Konzept interessante Einsichten. In einem bisher unveröffentlichten Gerichtsentscheid des Appellationshofes Gent vom 17. Dezember 2020 wurde eine weitere Klage, die Chodiev gegen ein anderes Parlamentsmitglied eingereicht hatte, verworfen. In diesem Fall richtete sich die Klage gegen Dirk Van der Maelen (von der flämischen sozialdemokratischen Partei Vooruit, ehemals sp.a). Auch ihm wurden verschiedene Aussagen vorgeworfen, die Chodiev geschädigt haben sollen. Teilweise wurden diese im Rahmen der Sitzungen des Ausschusses getätigt, teilweise aber auch in den Medien. Van der Maelen war Präsident des parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der „Kazakhgate-Affäre“. Aus der Geschäftsordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse der Abgeordnetenkammer geht hervor, dass er als solcher den Auftrag hatte, im Namen dieses Untersuchungsausschusses das Wort zu ergreifen. Nachdem in erster Instanz nur verfahrenstechnische Aspekte behandelt wurden und Chodiev in Berufung ging, musste der Appellationshof Gent die Klage des Unternehmers bewerten. Der Hof hat entschieden, dass die Aussagen, die Chodiev dem Abgeordneten Van der Maelen vorgeworfen hat, von ihm größtenteils als Präsident bzw. im Namen des Ausschusses getätigt wurden und deshalb durch die parlamentarische Unverantwortlichkeit geschützt sind. Im Übrigen ging das Berufungsgericht davon aus, dass die nicht von der Unverantwortlichkeit gedeckten Aussagen keine Grenzen der Meinungsfreiheit des Parlamentariers überschritten habe, sei es auch ohne Schutzmechanismus.[54]
Im Streitfall zwischen Chodiev und Gilkinet kam ebenfalls die Frage nach der Bedeutung des Konzepts der Ausübung des parlamentarischen Amtes auf. Einige der Aussagen die Gilkinet getätigt hatte und die von Chodiev als beleidigend aufgefasst wurden, wurden nämlich auch in den Medien getätigt. Da Gilkinet nicht Präsident des Untersuchungsausschusses war, konnte er sich nicht auf die traditionelle Auslegungsweise der parlamentarischen Unverantwortlichkeit berufen. Der Appellationshof von Lüttich hat sich hier jedoch von dieser traditionellen Auslegungsweise distanziert. Zusammengefasst hat der Hof entschieden, dass Meinungsäußerungen von Amtsträgern/innen in der Presse oder den sozialen Medien durch die parlamentarische Unverantwortlichkeit geschützt werden können, wenn sie Probleme von allgemeinem Interesse oder politischen Probleme betreffen.[55] Aussagen in der Presse oder den sozialen Medien können also durch die parlamentarische Unverantwortlichkeit geschützt werden. Der Appellationshof schließt hier an eine sucht modernere Auffassung der Ausübung des parlamentarischen Amtes an, die damit Rechnung trägt, dass die Parlamentarier/innen nicht mehr nur innerhalb des Parlaments tätig sind. Sie suchen auch über andere Medien den Kontakt mit den Wählern, um die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen und den politischen Entscheidungsprozess zu prägen.[56] Aus den oben genannten Gründen konnte diese moderne Auffassung der Ausübung des parlamentarischen Amtes Gilkinet im vorliegenden Fall allerdings nicht vor einer Verurteilung bewahren.
Wichtig zu erwähnen ist, dass die parlamentarische Unverantwortlichkeit die Parlamentarier/innen zwar vor gerichtlichen Klagen schützt, nicht aber vor Disziplinarmaßnahmen innerhalb des Parlaments. Der/die Vorsitzende des Parlaments hat u.a. die Möglichkeit, Parlamentarier/innen, die die Grenzen dessen überschreiten, was in einer parlamentarischen Debatte als annehmbar gilt, zurechtzuweisen, ihnen das Rederecht zu entziehen oder sie ihn von der Sitzung auszuschließen. Ein Beispiel: In der Sitzung der Abgeordnetenkammer Belgiens vom 27. März 2014 ließ der Abgeordnete Laurent Louis (u.a. von der Partei Debout les Belges!) sich zu einer äußerst schwerwiegenden Beleidigung des damaligen Premierministers und heutigen Ministerpräsidenten der Wallonischen Region, Elio Di Rupo (von der frankofonen sozialdemokratischen Partei Parti Socialiste), hinreißen. Louis wurde vom Präsidenten der Kammer zweimal zurechtgewiesen und sein Rederecht wurde ihm für den Rest der Sitzung entzogen.[57] Aufgrund der parlamentarischen Unverantwortlichkeit hatte diese Beleidigung keine gerichtlichen Folgen für den Parlamentarier. Solange die innerparlamentarischen Disziplinarmaßnahmen nicht zu einer inhaltlichen Zensur von zulässigen Meinungen führen oder gar als ein verdecktes Mittel dafür genutzt werden, Stimmen der Opposition zu unterdrücken,[58] sind diese unproblematisch. Die parlamentarische Unverantwortlichkeit soll die Funktionsweise des Parlaments gewährleisten. Es wäre deshalb nicht annehmbar, dass ein/e Parlamentarier/in diese Unverantwortlichkeit benutzt, um die Funktionsweise des Parlaments sozusagen von innen heraus zu stören.[59]
II b. Die parlamentarische Unverletzlichkeit (Art. 59 & 120 der Verfassung)
Die parlamentarische Unverletzlichkeit setzt sich aus verschiedenen Verfahrensgarantien zusammen, die Parlamentarier/innen im Rahmen eines während der Sitzungsperiode gegen sie gerichteten Strafverfahrens zugesprochen werden. Durch diese Garantien soll die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments geschützt werden, die gestört werden könnte, wenn Parlamentarier/innen ohne weiteres festgenommen oder einem Strafgericht vorgeführt werden könnten.[60]
Im Gegensatz zur parlamentarischen Unverantwortlichkeit betrifft die Unverletzlichkeit ausschließlich Strafverfahren. Bei einem Vorwurf gegen Parlamentarier/innen, der sich nicht auf ein Ereignis im Rahmen der Ausübung des Amtes erfolgten Stimmangabe oder Meinungsäußerung bezieht – denn in dem Fall ist die hiervor erwähnte parlamentarische Unverantwortlichkeit anwendbar – steht es einem/einer Kläger/in vollkommen frei, den/die Parlamentarier/in auf zivilrechtlicher Basis zu verklagen. Auf strafrechtlicher Ebene müssen hingegen die Verfahrensgarantien der parlamentarischen Unverletzlichkeit, auf die im Anschluss näher eingegangen wird, respektiert werden. Darüber hinaus ist es für die Anwendung der parlamentarischen Unverletzlichkeit unbedeutend, ob die vermeintliche Straftat anlässlich der Ausübung des Amtes begangen wurde oder nicht.[61] Der Schutz gilt also nicht nur, wenn die Straftat in Verbindung mit einem parlamentarischen Mandat steht, wie beispielsweise bei Korruptionsverdacht, sondern auch bei Vergehen, die ein/e Parlamentarier/in in seinem/ihrem Privatleben begeht.
Ein Beispiel: Nach einer privaten Feier fährt ein/e Amtsträger/in alkoholisiert mit dem Auto nach Hause. Auf dem Weg dorthin kommt er/sie von der Straße ab, verwüstet eine Gartenanlage und begeht Fahrerflucht, ohne zu bemerken, dass das Nummernschild vor Ort verloren ging. Der betroffene Gartenbesitzer, der den/die Parlamentarier/in anhand des Nummernschilds identifiziert hat, kann in diesem Fall ohne jegliche Formalität eine zivile Klage auf Schadensersatz einreichen: Die parlamentarische Unverantwortlichkeit betrifft nur Stimmabgaben und Meinungsäußerungen in der Ausübungen des Amtes, was hier nicht der Fall ist. Die Unverletzlichkeit gilt nur auf strafrechtlicher Ebene. Sollte der Besitzer also eine strafrechtliche Verfolgung wegen des Tatbestands der Fahrerflucht anstreben, muss mit der parlamentarischen Unverletzlichkeit Rechnung getragen werden.
Abbildung 3 mit der Unterschrift „Don’t drink and drive (© Tim Mossholder via Unsplash) einfügen.
Des Weiteren kann gemäß der belgischen Verfassung nur die Staatsanwaltschaft eine strafrechtliche Verfolgung gegen Parlamentarier/innen trotz der parlamentarischen Unverletzlichkeit einleiten.[62] Im ordentlichen belgischen Strafprozessrecht hat das Opfer unter gewissen Voraussetzungen u.a. die Möglichkeit, den/die vermutlichen Täter/in einer Straftat durch eine sogenannte direkte Ladung vor ein Strafgericht zu bringen.[63] Ist der/die vermutliche Täter/in aber ein/e Parlamentarer/in ist diese Möglichkeit durch die Verfassung ausgeschlossen. Das Opfer muss sich in diesem Fall an die Staatsanwaltschaft wenden, die sozusagen als Filter funktioniert, um ungerechtfertigte Klagen zu vermeiden.
Die wohl bekannteste Garantie, die mit der parlamentarischen Unverletzlichkeit einhergeht, ist die prinzipielle Verpflichtung, eine Genehmigung des Parlaments einzuholen, bevor ein/e Parlamentarier/in an einen Gerichtshof oder ein Gericht verwiesen, vorgeladen oder festgenommen werden kann.[64] Wenn die Staatsanwaltschaft der Auffassung ist, eine/n Parlamentarier/in vor das Strafgericht laden oder verweisen zu müssen, muss in der Regel vorab die Autorisierung des Parlaments eingeholt werden. Dabei liegt die Aufgabe des Parlaments nicht darin, zu entscheiden, ob der/die Parlamentarier/in schuldig oder unschuldig ist. Aufgrund der Teilung der Staatsgewalten liegt diese Mission einzig und allein bei den Gerichten. Das Parlament muss ausschließlich bewerten, ob die Strafverfolgung gegen den/die Parlamentarier/in ernsthaft und seriös ist.[65]
Statistisch geben in den meisten Fällen Urkundenfälschungs- und Verkehrsdelikte Anlass für die Anwendung der parlamentarischen Unverletzlichkeit und insbesondere der prinzipiellen Genehmigungspflicht der hiervor genannten Handlungen.[66] Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie wurden zwischen 1999 und 2019 vor den belgischen Parlamenten insgesamt 44 Anträge für eine solche Genehmigung eingereicht,[67] von denen mindestens 60 % angenommen wurden.[68] Im Februar 2020 wurde beispielsweise die direkte Ladung des Abgeordneten Georges Dallemagne (von der frankophonen christlich-demokratischen Partei cdH) vor ein Brüsseler Polizeigericht aufgrund einer Geschwindigkeitsübertretung von der Abgeordneten-kammer genehmigt.[69] Dries Van Langenhove von der flämischen rechtsradikalen Vlaams Belang-Fraktion werden verschiedene Straftaten vorgeworfen, die er als Täter oder Mittäter begangen haben soll. Zu den angeführten Straftaten, für die er vor das Strafgericht vorgeladen werden soll, zählen Aufrufe zum Fremdenhass und zum Rassismus, die Verbreitung von rassistischem Gedankengut, die Teilnahme an der rechtsextremen flämischen Jugendbewegung Schild & Vrienden sowie ein Verstoß gegen die belgische Waffengesetzgebung.[70] Hier erteilte die Abgeordnetenkammer im März 2021 die Genehmigung für einen Verweis vor das Strafgericht.[71]
Erwähnenswert ist ebenfalls, dass die besagte Genehmigungspflicht, die in der Regel mit der parlamentarischen Unverletzlichkeit einhergeht,[72] nicht bei einer auf frischer Tat entdeckten Straftat gilt.[73] Der Fall, der diesbezüglich in den letzten Jahren für das größte Aufsehen gesorgt hat, ist jener von Bernard Wesphael (Mouvement de gauche, auf einer Ecolo-Liste gewählt).[74] Am Abend des 31. Oktobers 2013 wird die Ehefrau Wesphaels, damals Mitglied des Parlaments der Wallonischen Region und der Französischen Gemeinschaft, tot in einem Hotelzimmer in Ostende aufgefunden. Wesphael, der den Tod seiner Frau selbst an der Rezeption des Hotels gemeldet hatte, wird festgenommen und die Haft am nächsten Tag von einem Untersuchungsrichter ohne vorherige parlamentarische Genehmigung bestätigt. Im Anschluss an diese Vorgehensweise entstand eine Debatte über die Frage, ob Wesphael überhaupt auf frischer Tat ertappt wurde, da es keine direkten Zeugen eines eventuellen Verbrechens gab.[75] Wesphael verblieb zehn Monate in Haft und wurde wegen Zweifeln an seiner Schuld vom Hennegauer Assisenhof am 6. Oktober 2016 freigesprochen.
III. Die Richterhaftungsklage und das Gerichtsbarkeitsvorrecht der Richter/innen
Auch für Richter/innen sind spezielle Schutzmechanismen vorgesehen, die formal allerdings nicht ihre Quelle in der belgischen Verfassung, sondern in einfachen Gesetzen finden. Dabei handelt es sich um die Richterhaftungsklage[76] und um das Gerichtsbarkeitsvorrecht der Richter/innen.[77] Für beide Schutzmechanismen ist der Begriff des/der Richter/in im weitesten Sinne zu verstehen und wird hier auch für die Mitglieder der Staatsanwaltschaft benutzt.[78]
Ihren Ursprung finden beide Mechanismen im französischen Recht. Das Gerichtsbarkeitsvorrecht – auf Französisch „privilège de juridiction“ – der Richter/innen entspringt sogar direkt dem unter Napoleon verabschiedeten Strafprozessgesetzbuch – Code d’instruction criminelle – das in abgeänderter Fassung noch heute in Belgien anwendbar ist. Ziel dieser beiden Mechanismen ist es, die Unabhängigkeit des Gerichtswesens und die geordnete Rechtspflege zu sichern.[79] Insbesondere geht es darum, die Richter/innen vor Gerichtsverfahren zu schützen, die darauf abzielen, sie in ihrer Entscheidungsfindung zu beeinflussen oder ihnen aufgrund von bereits gefällten Urteilen Schaden zuzufügen.[80]
III a. Die Richterhaftungsklage (Art. 1140-1147 des Gerichtsgesetzbuches)
Aus den hiervor genannten Gründen beschränken die Bestimmungen bezüglich der Richterhaftungsklage auf bedeutende Weise die Fälle, in denen ein/e Richter/in persönlich für seine/ihre Amtshandlungen auf zivilrechtlicher Ebene haftet.[81] In diesem Hinblick ähnelt die belgische Regelung dem deutschen Richterspruchprivileg, das in § 839 Abs. 2 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches vorgesehen ist.[82] Nach belgischem Recht ist es beispielsweise nicht möglich, gegen eine/n Richter/in zivilrechtlich zu klagen, nur weil er/sie einen Fehler bei der Urteilsfindung begangen hat, z. B. dadurch, dass er/sie eine gesetzliche Bestimmung falsch ausgelegt hat. Eine Haftungsklage gegen ein/e Richter/in ist nämlich nur in den vier Fällen möglich, die Artikel 1140 des Gerichtsgesetzbuches limitativ auflistet. Betrachten wir zwei von diesen vier Fällen genauer.
Im ersten Fall hat sich „[der / die Richter/in] im Laufe der Untersuchung oder beim Urteil der arglistigen Täuschung oder des Betrugs schuldig gemacht“.[83] Laut der Rechtsprechung des Kassationshofes setzen die Begriffe der arglistigen Täuschung oder des Betrugs voraus, dass der/die Richter/in Manöver oder Tricks verwendet hat, um entweder die Justiz zu täuschen oder um eine Partei zu begünstigen oder zu schädigen oder um einem persönlichen Interesse zu dienen.[84] In einer Angelegenheit von 2009 wurde den Richter/innen vorgeworfen, aus artifiziellen Gründen zusätzliche Untersuchungsmaßnahmen abgelehnt zu haben. Der Kläger konnte aber nicht beweisen, dass die Richter/innen besagte Manöver oder Tricks benutzt hatten, weshalb die Richterhaftungsklage verworfen wurde.
Ein weiterer Fall, in dem eine Richterhaftungsklage eingereicht werden kann, ist „bei Rechtsverweigerung“[85]. In einer im Februar 2002 behandelten Angelegenheit wurde den Richter/innen vorgeworfen, einen in weiter Zukunft liegenden Sitzungstermin festgelegt zu haben, obwohl es sich eine Angelegenheit handelte, die laut Gesetz wie hochdringlich behandelt werden müsste. Der Kläger sah darin eine Rechtsverweigerung durch die betroffenen Richter/innen und hat eine Haftungsklage gegen diese eingereicht. Der Kassationshof hat diese Kritik verworfen und entschied zusammengefasst, dass man nur von einer Rechtsverweigerung sprechen kann, die Gegenstand einer Richterhaftungsklage sein kann, wenn ein/e Richter/in sich unter irgendeinem Vorwand – nach dem niederländischen Wortlaut des Entscheids „onder gelijkwelk voorwendsel“ – weigert, ein Urteil zu fällen.[86] Der Hof sah keine Rechtsverweigerung in der Tatsache, dass der/die Richter/in sich die Prüfung der Begründetheit dieser Rechtssache nicht schneller vorgenommen hatte als die der anderen Rechtssachen, über die er zu entscheiden hatte auch wenn diese schnellere Behandlung gegebenenfalls besser dem Sinn des Gesetzes oder den Interessen einer oder mehrere Parteien entspräche, oder effizienter wäre.
Das Verfahren bezüglich der Richterhaftungsklage findet vor dem Kassationshof statt, was bemerkenswert ist, da der Kassationshof in der Regel nur als höchste Revisionsinstanz tagt. Dieses Verfahren obliegt speziellen, recht strengen Verfahrensregeln.[87] So sieht Artikel 1146 des Gerichtsgesetzbuches unter anderem vor, dass der/die Kläger/in im Falle der Ablehnung der Klage zu Schadensersatz zugunsten des/der betroffenen Richter/s/innen verurteilt wird. Das Einreichen einer Haftungsklage gegen eine/n Richter/in sollte also wohlüberlegt erfolgen. Neben den Kosten, die normalerweise mit einem Gerichtsverfahren verbunden sind, z. B. Anwaltskosten, besteht auch die Gefahr, dass er/sie den/die Richter/in im Anschluss entschädigen muss. Wird der Haftungsklage jedoch stattgegeben, verurteilt der Kassationshof den/die Beklagte/n je nach Umständen zur Ersetzung des erlittenen Schadens, oder erklärt das Urteil für nichtig und verweist die Sache an ein anderes Gericht.[88]
Angesichts der begrenzten Fälle in denen die Richterhaftungsklage möglich ist und des Risikos das für den/die Kläger/in mit einer solchen Klage einhergeht, sind die Anwendungsfälle selten und führen noch seltener zu einer Verurteilung.[89] Somit gilt für die Richter/innen, zumindest auf zivilrechtlicher Ebene, eine "Quasi-Unverantwortlichkeit" für ihre Amtshandlungen.
III b. Das Gerichtsbarkeitsvorrecht der Richter/innen (Art. 479-503bis des Strafprozessgesetzbuches)
Unter dem Begriff Gerichtsbarkeitsvorrecht[90] versteht man eine Anzahl von besonderen Bestimmungen des Strafprozessgesetzbuches, die – vereinfacht zusammengefasst – ein vom gewöhnlichen Recht abweichendes Strafverfahren für Richter/innen und einige andere Personen vorsehen.[91] Die Bezeichnung dieser Bestimmungen als „Vorrecht“, auf Französisch als „privilège“, ist irreführend. Keineswegs zielen diese Bestimmungen nämlich darauf ab, die Richter/innen im Rahmen eines Strafverfahrens zu bevorteilen.[92] Neben den Zielen, die bereits vorher erwähnt wurden, sollen sie vielmehr dafür sorgen, dass die Fälle der Richter/innen vor ihren direkten Kollegen behandelt werden und somit entweder zu streng oder zu lasch beurteilt würden.[93] In diesem Sinne soll durch das Gerichtsbarkeitsvorrecht nicht nur die Straflosigkeit der Richter/innen als solche vermieden werden, sondern auch der eventuelle Eindruck einer solchen Straflosigkeit, der entstehen könnte, wenn Richter/innen von ihren direkten Kollegen beurteilt werden.[94]
Das Gerichtsbarkeitsvorrecht hat beeinflusst nur die Strafverfolgung von Richtern/Richterinnen. Auf ziviler Ebene sind Richter/innen den gewöhnlichen Regeln unterworfen, allerdings unter Vorbehalt der Bestimmungen bezüglich der Richterhaftungsklage, wenn es sich um Amtshandlungen von Richter/innen handelt. Anwendbar sind diese Regeln sowohl für Straftaten, die in der Ausübung des Amtes begangen wurden, als auch für solche, die Richter/innen außerhalb ihres Amtes begehen. Das wohl bekannteste Merkmal des Gerichtsbarkeitsvorrechts ist, dass das Strafverfahren in der Regel vollständig vor dem Appellationshof stattfindet, der ansonsten nur als Berufungsgericht tagt. Aufgrund dieser Regelung ist es den Richtern/Richterinnen nicht möglich, den Gerichtsentscheid im Rahmen eines Berufungsverfahrens überprüfen zu lassen,[95] was beweist, dass das Vorrecht nicht unbedingt von Vorteil für die Richter/innen ist. Ähnlich wie bei Parlamentarier/innen besteht darüber hinaus ein Strafverfolgungsmonopol der Staatsanwaltschaft, in der Person des Generalprokurators am Appellationshof.[96] Das bereits erwähnte Beispiel der Fahrerflucht ist auch auf die Richter/innen anwendbar. Verwüstet ein/e Richter/in beim alkoholisierten Autofahren auf dem Heimweg von einer privaten Feier eine Gartenanlage und flieht im Anschluss, kann der/die Besitzer/in ihn/sie nicht direkt wegen des Tatbestands der Fahrerflucht vor ein Strafgericht laden, sondern muss eine Klage einreichen und hoffen, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Angelegenheit strafrechtlich verfolgt. Auf zivilrechtlicher Ebene besteht jedoch auch hier die Möglichkeit, einen Schadensersatz vor Gericht zu fordern.[97]
Strafverfolgungen von Richtern/Richterinnen werden in Belgien mit äußerster Diskretion behandelt. Häufig werden diesbezügliche Informationen erst zugänglich, wenn im Laufe des Verfahrens zumindest ein Urteil gefällt wurde. Ein Fall, der in den letzten Jahren für Aufmerksamkeit gesorgt hat, betrifft ein Mitglied der Antwerpener Staatsanwaltschaft, das im Rahmen des Todes von Jonathan Jacob der Urkundenfälschung verdächtigt wurde. Die Vorwürfe wurden durch die Generalstaatsanwaltschaft des Antwerpener Appellationshofes im Rahmen des Gerichtsbarkeitsvorrechts untersucht und von dieser verworfen. In der Presse wurde die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Verfahrens angezweifelt, obwohl das Vorrecht solche Zweifel gerade vermeiden will.[98] Diese Zweifel stießen eine Untersuchung des Verfahrens durch den belgischen Hohen Justizrat, sowie für eine Evaluierung des Gerichtsbarkeitsvorrechts an, die mit mehreren Reformvorschlägen einhergingen,[99] die bisher noch nicht vom Gesetzgeber verabschiedet wurden.
Schlussendlich bleibt noch das Immunitätskonstrukt der Minister/innen zu betrachten, welches sich größtenteils aus einer Kombination aus verschiedenen Aspekten der Schutzmechanismen der Parlamentarier/innen und der Richter/innen zusammensetzt.
IV. Die Unverantwortlichkeit und das Immunitätskonstrukt der Minister/innen
Auch für die belgischen Minister/innen bestehen eigene Schutzmechanismen. In Belgien sind die Minister/innen sogar die staatlichen Würdenträger, für die die meisten Mechanismen vorgesehen sind. Diesbezüglich unterscheidet sich das belgische Verfassungsrecht also vom bundesdeutschen, wo den Regierungsmitgliedern zusammengefasst nur der Schutz durch die parlamentarische Indemnität und die parlamentarische Immunität im Sinne von Art. 46 des Grundgesetzes zukommen kann, falls sie ebenfalls Mitglieder des Bundestages sind.[100]
IV a. Die Unverantwortlichkeit der Minister (Art. 101 Abs. 2 & 124 der Verfassung)
Die Minister/innen genießen eine Unverantwortlichkeit für anlässlich einer in der Ausübung seines/ihres Amtes erfolgten Meinungsäußerungen.[101] Dieser Schutzmechanismus ähnelt der parlamentarischen Unverantwortlichkeit, die weiter oben behandelt wurde. Dies erklärt sich aus seiner Entstehungsgeschichte. Geschaffen wurde diese Unverantwortlichkeit 1993, als das Ministeramt – zumindest auf föderaler Ebene – für unvereinbar mit einem parlamentarischen Amt erklärt wurde und die Minister/innen deshalb nicht mehr als Parlamentarier/innen tagen durften.[102] Dadurch wurden sie dem Wirkungsbereich der parlamentarischen Unverantwortlichkeit entzogen.[103] Das ursprüngliche Ziel der Schaffung einer neuen, ministeriellen Unverantwortlichkeit war es, den Minister/innen eine den Parlamentariern / Parlamentarierinnen gleichwertige Meinungsfreiheit zuzusprechen, wenn sie sich im Parlament zu bestimmten Themen äußern, beispielsweise um einen Gesetzentwurf zu erklären oder auf die Frage eines/einer Parlamentier/in zu antworten.[104]
IV b. Das Immunitätskonstrukt der Minister/innen (Art. 103 & 125 der Verfassung)
Artikel 103 und 125 der belgischen Verfassung sehen ein kompliziertes Immunitätskonstrukt für die Minister/innen vor.[105] Dieses Immunitätskonstrukt, das 1998 das ursprünglich 1831 geschaffene System für die Anklage der Minister/innen ersetzt hat,[106] ist stark von der vorher erwähnten parlamentarischen Unverletzlichkeit und dem Gerichtsbarkeitsvorrecht der Richter/innen inspiriert.[107] Ähnlich wie die anderen Schutzmechanismen zielt es darauf ab, die Unabhängigkeit und die Funktionsfähigkeit der Regierung vor ungerechtfertigten gerichtlichen Einflüssen zu schützen.[108] Gleichzeitig sollen die Minister/innen aber keinesfalls über dem Gesetz stehen und weder strenger, noch milder als andere Personen behandelt werden.[109]
Das Immunitätskonstrukt ist in erster Linie auf Straftaten anwendbar, die Minister/innen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Ausübung ihres Amtes begehen. Für Straftaten, die sie innerhalb der Ausübung des Amtes begehen, bleibt das Immunitätskonstrukt auf Lebenszeit anwendbar. Handelt es sich um Straftaten, die außerhalb der Ausübung des Amtes begangen wurden, wie etwa das oben angeführte Verkehrsdelikt im Privatleben, ist es nur anwendbar, wenn die Strafverfolgung während der Amtszeit stattfindet. Die auffälligsten Merkmale des Immunitätskonstrukts entsprechen wie angekündigt denen der parlamentarischen Unverletzlichkeit und des Gerichtsbarkeitsvorrechts der Richter/innen. So bedarf es einer vorherigen parlamentarischen Genehmigung für den Verweis der Minister/innen vor ein Strafgericht oder für deren Festnahme, es sei denn, es handle sich um eine auf frischer Tat entdeckten Straftat.[110] Besagtes Strafgericht ist, wie für die Richter/innen, der Appellationshof, wodurch auch die Minister/innen keine Berufungsmöglichkeit haben.[111]
Das Immunitätskonstrukt beeinflusst ebenfalls die Möglichkeit, zivilrechtlich gegen die Minister/innen vorzugehen, inwieweit ist allerdings. Artikel 103 Abs. 8 und 125 Abs. 8 der belgischen Verfassung sehen nämlich vor, dass „[d]as Gesetz bestimmt, in welchen Fällen und nach welchen Regeln die geschädigten Parteien eine Zivilklage erheben können“. Dieses Gesetz wurde allerdings noch nicht verabschiedet. Die genauen Konsequenzen dieser fehlenden Gesetzgebung sind nicht einzuschätzen.[112] Der oben behandelte Streitfall zwischen Chodiev und Gilkinet bleibt diesbezüglich zu beobachten. Im Rahmen der Bildung der föderalen Regierung unter Alexander De Croo (von der flämischen liberalen Partei Open Vld) ist Gilkinet nämlich Minister geworden. Der Appellationshof Lüttich hat ihn wie bereits erwähnt zivilrechtlich verurteilt, ohne aber das Immunitätskonstrukt der Minister/innen anzuwenden. Ein eventuelles Kassationsverfahren gegen den Entscheid des Appellationshofes Lüttich könnte interessante Einblicke bezüglich der zivilen Folgen des Immunitätskonstrukts der Minister/innen liefern.
Aus unterschiedlichen Gründen sind die konkreten Anwendungsfälle des Immunitätskonstrukts der Minister/innen selten. Im Mai 2020 schien es so, dass verschiedene Personen im Rahmen der Bewältigung der Coronapandemie versuchen würden, ähnlich wie in Frankreich Gerichtsverfahren gegen Minister persönlich zu richten. Seitdem sind diesbezüglich in der Presse aber keine weiteren Informationen veröffentlicht worden. Kommt es zu einem Prozess mit Anwendung dieser Bestimmungen, generiert dieser häufig eine hohe Aufmerksamkeit. Noch unter Anwendung der Vorgängerregelung zum heutigen Immunitätskonstrukt kam es in den 1990er Jahren beispielsweise zur Verurteilung verschiedener, auch ehemaliger, Minister für eine Vielzahl von Straftaten, die sie in den sogenannten Inusop- und Agusta-Dassault-Affären begangen hatten. Unter dieser Vorgängerregelung war es bereits 1865 zur Verurteilung des damaligen Kriegsministers Félix Chazal (Parti libéral) gekommen, nachdem er sich unerlaubt mit einem Parlamentarier duelliert hatte.
V. Schlussbetrachtungen
Aus diesem kurzen und vereinfachten Beitrag geht hervor, dass es in Belgien sehr viele Schutzmechanismen gibt, die die Justiziabilität des Königs, der Parlamentarier/innen, der Richter/innen und der Minister/innen beeinflussen. Auch wenn die Bezeichnungen variieren und die Mechanismen ihre eigenen Entstehungsgeschichten und -gründe haben, verfolgen sie grundsätzlich ein gemeinsames Ziel, das man als legitim bezeichnen kann. Zusammengefasst geht es nämlich darum, die Funktionsfähigkeit der staatlichen Gewalten als solche zu schützen, insbesondere dadurch, dass die Handlungen der staatlichen Würdenträger nicht systematisch Gegenstand von gegebenenfalls ungerechtfertigten Gerichtsverfahren sein sollen. Keinesfalls zielen die Mechanismen darauf ab, die Würdenträger als Individuen bevorzugt zu behandeln. In Fällen, die dem Gerichtsbarkeitsvorrecht unterliegen, trifft sogar das Gegenteil zu.
Nichtsdestotrotz beeinträchtigen die Schutzmechanismen die Rechte von Dritten, insbesondere von Personen, die durch Handlungen von staatlichen Würdenträgern einen Schaden erlitten haben. Diesen Personen ist es nur erschwert möglich, gerichtlich gegen diese Würdenträger vorzugehen. Im belgischen Beispiel ist die Einleitung eines Gerichtsverfahrens durch eine Privatperson nur in wenigen Fällen vollkommen frei möglich. So kann eine Person frei zivilrechtlich gegen eine/n Parlamentarier/in vorgehen, falls die besagte Handlung keine Meinungs- oder Stimmäußerung in der Ausübung des parlamentarischen Amtes darstellt. Auch gegen Richter/innen ist eine zivilrechtliche Klage frei möglich, insofern sie keine Amtshandlung betrifft. Anträge auf Scheidung, auf Zahlung eines Kaufpreises oder eine Schadensersatzzahlung im Rahmen eines Verkehrsunfalls, der keine Straftat darstellt, wären möglich. Auch wenn es um Klagen geht, die das Vermögen des Königs betreffen, besteht die Möglichkeit, gegen den Intendanten oder den Verwalter der Zivilliste vorzugehen. Bei Minister/innen sind die Aktionsmöglichkeiten auf zivilrechtlicher Ebene noch unklar. In den anderen Fällen, die im vorliegenden Beitrag zusammengefasst erläutert wurden, sind die Aktionsmöglichkeiten begrenzt oder gar inexistent.
In den kommenden Jahren bleibt zu beobachten, wie sich das Verhältnis zwischen gerichtlichem Schutz der staatlichen Würdenträger und dem Schutz der Grundrechte Dritter möglicherweise verändert. Auch dem kurz erwähnten Phänomen der Justizialisierung muss Rechnung getragen werden, sowie mit der damit verbundenen Frage, inwiefern die Schutzmechanismen von der Tendenz zur Vergrößerung des Einflusses der Richter/innen beeinflusst werden. Die verschiedenen Streitigkeiten, die aktuell vor Gericht behandelt werden, bieten interessantes Material für Überlegungen zu dieser Problematik.
Anmerkungen
[1] Im vorliegenden Beitrag wird in der Regel die belgische Rechtsterminologie deutscher Sprache benutzt, die sich teilweise von der bundesdeutschen Rechtsterminologie unterscheidet. Siehe zur belgischen Rechtsterminologie deutscher Sprache: Jousten, Andy „Der rechtliche Rahmen macht‘s möglich? Variation in der deutschen Rechtsterminologie Belgiens aus der Sicht eines Juristen“, in: Nationale Variation in der deutschen Rechtsterminologie, Schriftenreihe der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Bd. 13, Eupen, 2019, S. 13-48.
[2] Es bestehen ebenfalls Spannungen zwischen den belgischen Verfassungsbestimmungen und dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Art. 27 des Statuts sieht folgendes vor: „Dieses Statut gilt gleichermaßen für alle Personen, ohne jeden Unterschied nach amtlicher Eigenschaft. Insbesondere enthebt die amtliche Eigenschaft als Staats- oder Regierungschef, als Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments, als gewählter Vertreter oder als Amtsträger einer Regierung eine Person nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach diesem Statut und stellt für sich genommen keinen Strafmilderungsgrund dar. Immunitäten oder besondere Verfahrensregeln, die nach innerstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, hindern den Gerichtshof nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über eine solche Person“. In diesem Beitrag gehen wir nicht tiefer auf diese Spannungen ein. Siehe hierzu das Gutachten der Gesetzgebungsabteilung des belgischen Staatsrates vom 21. April 1999, S. 96-99 (Abrufbar unter: https://www.senate.be/www/webdriver?MItabObj=pdf&MIcolObj=pdf&MInamObj
=pdfid&MItypeObj=application/pdf&MIvalObj=33575029.
[3] Für einen ähnlichen Fall, siehe Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, 17. Dezember 2002, A. / Vereinigtes Königreich von Großbritannien.
[4] Nicht behandelt wird die eventuelle Verantwortlichkeit des Staates für die Handlungen der betroffenen Organe.
[5] Da sich der Beitrag an ein breites Publikum richtet, werden verschiedene Aspekte nicht behandelt oder nur zusammengefasst bzw. vereinfacht präsentiert. Auch die Verweise in den Endnoten werden bewusst auf eine limitierte Anzahl von Werken begrenzt.
[6] Für einen kompakten historischen Einblick, siehe Bouhon, Frédéric und Miny, Xavier, Éléments de droit public: Considérations générales et particularités belges, Lüttich, 2020, S. 79, Anm. 314.
[7] Vgl. jedoch Art. 510 des Strafprozessgesetzbuches bzgl. der Notwendigkeit einer Erlaubnis des Königs damit Prinzen/Prinzessinnen vor Gericht als Zeugen geladen werden können.
[8] Für diese Unterscheidung, siehe u.a. Bouhon/Miny, Éléments, S. 79-80. Die Autoren zeigen, dass in manchen Verfassungen, wie z. B. in der dänischen, die Unverantwortlichkeit und die Unverletzlichkeit im Übrigen terminologisch getrennt werden (siehe Art. 13 der dänischen Verfassung).
[9] Für einen präziseren Überblick, siehe Behrendt, Christian und Vrancken, Martin, Principes de droit constitutionnel belge, Brüssel, 2019, S. 248-249.
[10] Bouhon/Miny, Éléments, S. 78.
[11] Behrendt/Vrancken, Principes, S. 248. Manche Autoren sprechen bezüglich dieser politischen Komponente auch von der „Unverantwortlichkeit des Königs“ (Bouhon/Miny, Éléments, S. 79-80).
[12] Dies kann formell durch eine Unterschrift geschehen, wenn es zum Beispiel darum geht, ein Gesetz zu sanktionieren (Art. 109 der Verfassung). Bei einer Rede kann sich das ministerielle Einverständnis aber auch durch die simple Präsenz eines Ministers/einer Ministerin manifestieren. Siehe hierzu Behrendt/Vrancken, Principes, S. 249-250.
[13] Behrendt/Vrancken, Principes, S. 249.
[14] Behrendt/Vrancken, Principes, S. 250.
[15] Behrendt/Vrancken, Principes, S. 251.
[16] Bouhon/Miny, Éléments, S. 99.
[17] Bouhon/Miny, Éléments, S. 79.
[18] Siehe Kuty, Franklin, Principes généraux du droit pénal belge, Bd. 1 (La loi pénale), Brüssel, 2018, S. 477-478.
[19] Orban, Oscar, Le droit constitutionnel de Belgique, Bd. 2, Lüttich-Paris, 1908, S. 225.
[20] Kuty, Principes généraux, S. 477.
[21] Siehe Marchetti, Romain, „L'« immunité » en droit de la responsabilité civile : état des lieux et concepts voisins“ in: Andrea Cataldo et al. (Hrsg.), Trois conditions pour une responsabilité civile, Limal, 2016, S. 245-246.
[22] Siehe insbesondere Stangherlin, Katrin, Le patrimoine royal, Brüssel, 2004, S. 106-109.
[23] Behrendt/Vrancken, Principes, S. 248. Siehe auch Art. 41 des Gerichtsgesetzbuches.
[24] Behrendt/Vrancken, Principes, S. 253-257.
[25] In der belgischen Rechtsterminologie wird der Begriff „Immunität“ in der Regel als Überbegriff verwendet und ist deshalb nicht notwendigerweise als Synonym der parlamentarischen Immunität i.S.v. Art. 46 Abs. 2-4 des deutschen Grundgesetzes zu verstehen.
[26] Art. 58 und 120 der belgischen Verfassung. Art. 58 ist auf föderaler Ebene anwendbar und Art. 120 auf der Ebene der Teilstaaten.
[27] Art. 59 und 120 der belgischen Verfassung. Art. 59 ist auf föderaler Ebene anwendbar und Art. 120 auf der Ebene der Teilstaaten.
[28] De Nantois, Christophe, Le député : Une étude comparative, France, Royaume-Uni, Allemagne, Paris, 2010, S. 212-215 ; Beaud, Olivier, „L’immunité du chef de l’État en droit constitutionnel et en droit comparé“, in: Joe Verhoeven (Hrsg.), Le droit international des immunités : contestation ou consolidation ?, Brüssel, 2004, S. 166-167.
[29] Guérin-Bargues, Cécile, Immunités parlementaires et régime représentatif : L’apport du droit constitutionnel comparé (France, Royaume-Uni, États-Unis), Paris, 2011, S. 24-34.
[30] Van Overloop, Isidore, Exposé des motifs de la constitution belge, Brüssel, 1864, S. 364-366.
[31] Verfassungsrevision vom 27. Februar 1997, in: Belgisches Staatsblatt, 1. März 1997.
[32] Siehe u.a. Hayoit de Termicourt, Raoul, „L’immunité parlementaire“, in : Journal des Tribunaux, 1955, S. 613.
[33] Siehe u.a. Garapon, Antoine, „La question du juge“, in: Pouvoirs, 1995, S. 24; Grandjean, Geoffrey, „Les fonctions politiques des juges. Propos introductifs sur le pouvoir politique des juges dans l’exercice de leur fonction“ in: Geoffrey Grandjean und Jonathan Wildemeersch (Hrsg.), Les juges : décideurs politiques ? Essais sur le pouvoir politique des juges dans l’exercice de leur fonction, Brüssel, 2016, S. 21.
[34] Grandjean, „Les fonctions politiques des juges“, S. 21.
[35] Siehe beispielsweise François, Lucien und Thirion, Nicolas, „Les juges dans la politique“ in: Geoffrey Grandjean und Jonathan Wildemeersch (Hrsg.), Les juges : décideurs politiques ? Essais sur le pouvoir politique des juges dans l’exercice de leur fonction, Brüssel, 2016, S. 53-77.
[36] Rosanvallon, Pierre, La contre-démocratie. La politique à l’âge de la défiance, Paris, Seuil, 2006, S. 23, 232-233 und 236.
[37] Siehe beispielsweise Garapon, „La question du juge“, S. 17 oder auch kürzlich Miny, Xavier, „Au nom de l’État de droit“, in: Administration publique (trimestrielle), 2020, S. 629-641.
[38] Siehe u.a. Thonissen, Jean-Joseph, La Constitution belge annotée, 2. Auflage, Brüssel-Paris, 1876, S. 156.
[39] Siehe beispielsweise Jousten, Andy, „La révision de l’irresponsabilité parlementaire (articles 58 et 120 de la Constitution“, in: Chroniques de Droit Public - Publiekrechtelijke Kronieken, 2019, S. 306.
[40] Jousten, „La révision“, S. 306.
[41] Behrendt/Vrancken, Principes, S. 157.
[42] Art. 46 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes.
[43] Siehe Solbreux, Marie und Verdussen, Marc, „Le statut pénal des parlementaires“, in: Courrier hebdomadaire du C.R.I.S.P., Nr. 2436-2437, 2019, S. 17-18 und 28-32 und Jousten, Andy, „Une conception singulière de l’irresponsabilité parlementaire : voie à suivre ou début de la fin pour la liberté de parole des députés ?“, in: Revue de Jurisprudence de Liège, Mons et Bruxelles, 2021, S. 633-634.
[44] Veröffentlich in: Revue de Jurisprudence de Liège, Mons et Bruxelles, 2021, S. 615.
[45] Für einen ausführlicheren Kommentar zu diesem Entscheid und für weitere Referenzen, siehe Jousten, „Une conception“, S. 626-638. Die nachfolgenden Erklärungen sind an diesen ausführlicheren Kommentar angelehnt und überschneiden diesen teilweise.
[46] Für eine detailliertere Übersicht, siehe Muylle, Koen, „Kroniek Parlementair Recht“, in: Tijdschrift voor Bestuurswetenschappen en Publiekrecht, 2018, S. 254-258.
[47] Verdussen, Marc, „L’irresponsabilité parlementaire en débat après la condamnation du député Gilkinet pour des commentaires du Kazakhgate“ in: Justice-en-ligne (wird demnächst veröffentlicht) und Jousten, „Une conception“, S. 633-634.
[48] Siehe beispielsweise Solbreux/Verdussen, „Le statut pénal“, S. 28-32.
[49] Siehe beispielsweise Behrendt/Vrancken, Principes, S. 157-158 und Velaers, Jan, De Grondwet. Een artikelsgewijze commentaar, Bd. 2, Brügge, 2019, S. 235-236.
[50] Jousten, „Une conception“, S. 633 und 635-636.
[51] Siehe auch Verdussen, „L’irresponsabilité parlementaire en débat“.
[52] Siehe u.a. Solbreux/Verdussen, „Le statut pénal“, S. 19.
[53] Siehe insbesondere Kass., 11. April 1904, Pasicrisie belge, I, p. 199.
[54] Über die große Meinungsfreiheit der Parlamentarier, unabhängig von der Anwendung der parlamentarischen Unverantwortlichkeit, siehe: Vuye, Hendrik und Renuart, Noémie, „Le libre débat politique, une valeur essentielle de la démocratie“, in: Chroniques de Droit Public - Publiekrechtelijke Kronieken, 2014, S. 219-243.
[55] Unter Ausschluss der vorher erwähnten Tatsachenbehauptungen.
[56] Siehe Jousten, „Une conception“, S. 631-632 und, über die Risiken einer solchen Auffassung, Jousten, „La révision“, S. 309-310.
[57] Parl. Dok., Kammer, Compte rendu intégral, 27. März 2014, S. 9-10.
[58] Für genauere Informationen, siehe Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, 17. Mai 2016, Karácsony / Ungarn.
[59] Vuye, Hendrik, „Les irresponsabilités parlementaire et ministérielle : les articles 58, 101, alinéa 2, 120 et 124 de la Constitution“ in: Chroniques de Droit Public - Publiekrechtelijke Kronieken, 1997, S. 20-21.
[60] Siehe u.a. Solbreux/Verdussen, „Le statut pénal“, S. 40.
[61] Sollte die vorgeworfene Straftat allerdings in einer im Amt erfolgten Meinungsäußerung bestehen, gilt die vorher erwähnte parlamentarische Unverantwortlichkeit (Art. 58 und 120 der belgischen Verfassung).
[62] Solbreux/Verdussen, „Le statut pénal“, S. 52-53.
[63] Michiels, Olivier und Falque, Géraldine, Principes de procédure pénale, Brüssel, 2019, S. 378-382.
[64] Art. 59 Abs. 1 und 120 der belgischen Verfassung.
[65] Siehe Solbreux/Verdussen, Le statut pénal, S. 69. Die beiden Autoren liefern einen klaren und umfassenden Einblick in die Funktionsweise der parlamentarischen Unverletzlichkeit (S. 37-108).
[66] Solbreux/Verdussen, „Le statut pénal“, S. 90, 92 und 93.
[67] Solbreux/Verdussen, „Le statut pénal“, S. 86.
[68] Solbreux/Verdussen, „Le statut pénal“, S. 88. In nur sieben Fällen wurde der Antrag abgelehnt. In neun Fällen fehlen die Angaben zur Entscheidung des Parlaments. Man kann davon ausgehen, dass der Anteil der angenommenen Anfragen also in Realität höher ausfällt.
[69] Siehe Parlementarische Dokumentation Abgeordnetenkammer, ordentliche Sitzungsperiode 2019-2020, Nr. 1008/1 (am 13. Februar 2020 in der Plenarsitzung bestätigt).
[70] Für eine genaue Beschreibung siehe Parlementerische Dokumentation Abgeordnetenkammer, ordentliche Sitzungsperiode 2020-2021, Nr. 1837/1, S. 3-7 (am 18. März 2021 in der Plenarsitzung bestätigt).
[71] Parlementerische Dokumentation Abgeordnetenkammer, ordentliche Sitzungsperiode 2020-2021, Nr. 1837/1, S. 3-7 (am 18. März 2021 in der Plenarsitzung bestätigt).
[72] Art. 46 Abs. 2-4 des deutschen Grundgesetzes.
[73] Art. 59 Abs. 1 der belgischen Verfassung („[a]ußer bei Entdeckung auf frischer Tat“) und Art. 46 Abs. 2 des deutschen Grundgesetzes („es sei denn, daß er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird“).
[74] Unter anderem wird dieser Fall im Rahmen einer vom belgischen TV-Sender RTL-TVI und Netflix produzierten Dokumentation beleuchtet. Über diese Dokumentation, siehe Petit, Cédric, „Avec « Soupçons », Netflix et RTL plongent dans l’affaire Wesphael“ in: Le Soir.be, 30. November 2020.
[75] Über diesen Fall, siehe u.a. Behrendt, Christian und Vrancken, Martin, „L’affaire Wesphael : quelques observations sur les contours et les conditions d’application de l’immunité parlementaire, à la lumière d’événements récents“, in: Revue de la Faculté de droit de l’Université de Liège, 2014, S. 123-153; Verdussen, Marc und Uyttendaele, Marc, „Les aspects constitutionnels de l’affaire Wesphael“, Journal des tribunaux, 2014, S. 401-409 ; Solbreux/Verdussen, „Le statut pénal“, S. 79-80.
[76] Art. 1140-1147 des Gerichtsgesetzbuches.
[77] Art. 479-503bis des Strafprozessgesetzbuches.
[78] Siehe Art. 1140 des Gerichtsgesetzbuches sowie Art. 479 und 483 des Strafprozessgesetzbuches.
[79] Franchimont, Michel et al., Manuel de procédure pénale, Brüssel, 2012, 4. Auflage, S. 1355; Van Dooren, Eric, „Regeling van de rechtspleging bij voorrecht van rechtsmacht“, in: Rechtspraak Antwerpen Brussel Gent, 2019, S. 8.
[80] Franchimont et al., Manuel, S. 1355; Michiels, Olivier „Connexité et règlement de la procédure dans les hypothèses de privilège de juridiction“, in: Journal des Tribunaux, 2018, S. 395.
[81] Art. 1140 des Gerichtsgesetzbuches.
[82] Siehe u.a. Zantis, Christina, Das Richterspruchprivileg in nationaler und gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht, Frankfurt am Main, 2010, 243 S.
[83] Art. 1140 Nr. 1 des Gerichtsgesetzbuches.
[84] Kass., 19. Februar 2009, C.08.0563.F.
[85] Art. 1140 Nr. 4 des Gerichtsgesetzbuches.
[86] Kass., 28. Februar 2002, C.01.0540.N.
[87] Art. 1142-1147 des Gerichtsgesetzbuches.
[88] Artikel 1147 des Gerichtsgesetzbuches.
[89] Windey, Jeanine, „Synthèse de la responsabilité du juge“, in: Liber amicorum Georges-Albert Dal, Brüssel, 2014, S. 948.
[90] Siehe u.a. Schulze, Reiner, Bürgerliches Gesetzbuch – Handkommentar, 10. Auflage, Baden-Baden, 2019, Rn. 54.
[91] Siehe die Aufzählung in den Art. 479 und 483 des belgischen Strafprozessgesetzbuches.
[92] Hoher Justizrat, „Enquête particulière - Le privilège de juridiction dans le cadre du dossier Jonathan Jacob“, März 2015, S. 5; Van Dooren, Regeling van de rechtspleging, S. 8.
[93] Siehe u.a. VerfGH, Urteil vom 24. September 2020, Nr. 124/2020, B.5.1.
[94] De Coster, Tim, „Controle op en afsluiting van het gerechtelijk onderzoek inzake voorrecht van rechtsmacht: recente ontwikkelingen“, in: Rechtskundig Weekblad, 2018-2019, S. 442-443; Hoher Justizrat, „Enquête particulière - Le privilège de juridiction dans le cadre du dossier Jonathan Jacob“, März 2015, S. 5.
[95] Für sie besteht nur die Möglichkeit eines Kassationsverfahrens, bei dem aber nicht die Sache als solche analysiert wird, sondern nur die korrekte Anwendung des Rechts (vgl u.a. Art. 147 der belgischen Verfassung).
[96] Siehe Art. 479 und 483 des Strafprozessgesetzbuches. Der Generalprokurator leitet die Staatsanwaltschaft beim Appellationshof, die Generalstaatsanwaltschaft genannt wird.
[97] In diesem Sinne, siehe Schiedshof (heute Verfassungsgerichtshof), Urteil vom 4. November 1998, Nr. 112/98, B.5.2.
[98] Hoher Justizrat, „Enquête particulière - Le privilège de juridiction dans le cadre du dossier Jonathan Jacob“, März 2015, S. 1.
[99] Hoher Justizrat, „Enquête particulière - Le privilège de juridiction dans le cadre du dossier Jonathan Jacob“, März 2015, insbesondere S. 16-31.
[100] Siehe u.a. Butzer, Herman, Immunität im demokratischen Rechtsstaat, Berlin, 1991, S. 168-169; Wuttke, Julia, Die Verantwortlichkeit von Regierungsmitgliedern in Deutschland und Frankreich, Köln, 2005, S. 202-204; Magiera, Siegfried, „Artikel 46“, in: Wolfgang Kahl (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Ordner 11, 2017, Heidelberg, S. 53 und 67.
[101] Art. 101 Abs. 2, der belgischen Verfassung betrifft die föderalen Minister/innen und Art. 124 der belgischen Verfassung betrifft die Regierungsmitglieder der Teilstaaten.
[102] Siehe bezüglich der föderalen Ebene Art. 50 der belgischen Verfassung und Art. 1bis des Gesetzes vom 6. August 1931 zur Festlegung von Unvereinbarkeiten und Verboten für die Minister, ehemaligen Minister und Staatsminister und die Mitglieder und ehemaligen Mitglieder der Gesetzgebenden Kammern, Belgisches Staatsblatt, 14. August 1931. Der dritte Absatz dieser Bestimmung sieht im Übrigen eine Ausnahme bezüglich dieser Unvereinbarkeit vor, auf die wir hier aber nicht näher eingehen (siehe hierzu Behrendt/Vrancken, Principes, S. 151-156 und insbesondere S. 152-153). Für die Ebene der Teilstaaten sind ähnliche Bestimmungen in den sie betreffenden institutionellen Gesetzen bzw. in der Gesetzgebung der Teilstaaten vorgesehen. Siehe diesbezüglich auch Behrendt/Vrancken, Principes, S. 151-156.
[103] Siehe diesbezüglich insbesondere Solbreux/Verdussen, „Le statut pénal“, S. 13-17. Auf der Ebene der Teilstaaten resultiert diese Unvereinbarkeit aus vielen verschiedenen Bestimmungen, die hier nicht besprochen werden können.
[104] Für eine Kritik der Unverantwortlichkeit der Minister/innen als solche, sowie ihrer praktischen Anwendung: Solbreux/Verdussen, „Le statut pénal“, S. 15-16.
[105] Art. 103 betrifft die Minister/innen auf föderaler Ebene und Art. 125 betrifft die Regierungsmitglieder auf der Ebene der Teilstaaten. Siehe auch das Gesetz vom 25. Juni 1998 zur Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Minister (Belgisches Staatsblatt, 27. Juni 1998) und das Sondergesetz vom 25. Juni 1998 zur Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Mitglieder der Gemeinschafts- oder Regionalregierungen (Belgisches Staatsblatt, 27. Juni 1998).
[106] Verfassungsrevision vom 12. Juni 1998, Belgisches Staatsblatt, 16. Juni 1998 (Art. 103) und Verfassungsrevision vom 17. Juni 1998, Belgisches Staatsblatt, 18. Juni 1998 (Art. 125).
[107] Siehe u.a. Parlementarische Dokumentation Abgeordnetenkammer, ordentliche Sitzungsperiode 1997-1998, Nr. 1258/1, S. 2-5.
[108] Parlementarische Dokumentation Abgeordnetenkammer, ordentliche Sitzungsperiode 1997-1998, Nr. 1258/1, S. 2-3.
[109] Parlementarische Dokumentation Abgeordnetenkammer, ordentliche Sitzungsperiode 1997-1998, Nr. 1258/1, S. 5.
[110] Art. 103 Abs. 5 und 125 Abs. 5 der belgischen Verfassung. Genauer gesagt ist diese Genehmigung prinzipiell nicht nur für den Verweis vor das Strafgericht verpflichtend, sondern für jegliche „Regelung des Verfahrens“ die am Ende der „gerichtlichen Untersuchung“ stattfindet, auch wenn der zuständige Staatsanwalt die Verfahrenseinstellung fordert. Für weitere Informationen bezüglich des Strafverfahrens, siehe Maron, Éric, „Les nouvelles règles applicables à la responsabilité pénale des ministres : une réforme presque inattendue“, in: Revue de droit de l’ULB, 1997, S. 223-281.
[111] Abgesehen vom vorher erwähnten Kassationsverfahren.
[112] Siehe u.a. Velaers, De Grondwet, S. 542-544.